Von Mehmet Scholl bis Rolf Eden: Die Tops und Flops der WM im Fernsehen
Expertenbashing, Unrecht an Reportern, Social-Media-Rekorde und Playboys: Die WM im Fernsehen – Rückblick und Ausblick.
64 WM-Spiele, dazu gefühlt 10 000 Fernsehminuten, vorm Spiel, nach dem Spiel, gefüllt mit Expertenmeinung, Interviews, Schönheit, Scherz, WM-Songs, Toren in Endlosschleife, Folklore, Einfällen und Ausfällen, wichtigen und unwichtigen Informationen. ARD und ZDF haben in den vergangenen 30 Tagen ihre Muskeln spielen lassen. Was bleibt fernsehmäßig von dieser Fußball-WM haften, was sollte beim nächsten großen Turnier besser laufen? Fünf Vorschläge ans Fernsehen (und an seine Kritiker).
Kein „Halbzeit-Journal“ mehr
Fangen wir ohne Fußball an. Eine Nachrichtensendung ist eine Nachrichtensendung ist eine Nachrichtensendung. Ein Ärgernis – selbst für knallharte Fußballfans – sind diese zweckentfremdeten Mini-Ausgaben von „Tagesthemen“ und „heute-journal“ in den Halbzeitpausen während der vier Wochen Weltmeisterschaft. Wenn dann auch noch von elf Minuten Sendezeit vier Minuten darauf verwandt werden, nichtssagende WM-Berichte zu bringen, während auf Gaza und Israel Raketen niedergehen, ist das einfach nur eine öffentlich-rechtliche Bankrotterklärung. Vorschlag an ARD/ZDF: Sendet die Info-Magazine vor oder hinter den Fußball-Übertragungen. Oder lasst es am Spieltag ganz sein, der jeweils andere Sender übernimmt – fußballfrei, mit einer unverstümmelten Ausgabe.
Milde gegenüber den Kommentatoren
Béla Réthy hat keine Ahnung, Thomas Wark dampfplaudert oder ermüdet, Gerd Gottlob sagt „wir“ und „uns“, wenn er von der deutschen Mannschaft spricht – die allgemeine Kritik an den Fernsehreportern ist fast so alt wie die Fifa und die Turniere selbst. Lasst die Leute ihren Job machen. Wie am Sonntagabend Tom Bartels beim Finale am ARD-Mikrofon, mehr als 30 Millionen werden ihm zuhören. Nichts ist so schwer wie die schnelle Einordnung vom oft unübersichtlichem Geschehen auf dem Feld. Da rutschen schon mal Emotionen und Floskeln raus. Laut aktueller Umfrage vergaben denn auch drei Viertel des WM-Publikums für die beiden Sender die Noten „sehr gut oder „gut“. Den Reportern im Stadion wurde eine hohe Kompetenz attestiert. Fast 90 Prozent der Befragten sagen, die „verstehen was von der Sache“. Na gut.
Hochmut kommt vor dem Fall
Und die Experten? Haben ja deutlich mehr Zeit als die Kommentatoren, sich zu überlegen, was sie denn Hintergründiges zum Spiel sagen, mehr Zeit, das Geschehen einzuordnen. Keine Frage, ARD-Mann Mehmet Scholl ist ein Gewinn für diese Event-Begleitung (Oliver Kahn im ZDF steht dem kaum nach), in würdiger Nachfolge von Günter Netzer. Wenn die Augen nach den vielen Spätspielen, Verlängerung und Elfmeterschießen kaum noch aufzuhalten waren, kam Scholls Analyse. Man blieb dran. Allerdings ist auch ein so pointierter und rhetorisch begabter Experte nicht vor Fehlern, vor Hochmut gefeit. Scholl zog nach dem Aus der Niederlande im Elfmeterschießen gegen Argentinien heftig über Louis van Gaal her. Der Bondscoach stehe zu sehr im Mittelpunkt und schwäche seine Mannschaft. „Ich glaube, da will ein Trainer das ganz große Taktik-Ding drehen. Van Gaal wollte zeigen, ich habe nicht nur den Fußball-Keks gegessen, sondern ich habe den allergrößten Fußball-Keks gegessen. Und dann kommt der Fußball-Gott oder die Argentinier und sagen: ,Nee, warte mal, bleib mal hier.’“ Irgendwie wurde man das Gefühl nicht los, da war noch eine alte Rechnung aus Bayern-Zeiten zu begleiten. Das gehört nicht vor die Kamera. Das hat Mehmet Scholl nicht nötig.
Ende der Club-Kultur
Womit wir beim Unterhaltungswert der Fußball-WM im Fernsehen sind. Im „WM-Club“ mit Moderator Alexander Bommes wollte die ARD wieder mal beweisen, wie amüsant und sexy sie sein kann (Badeschiff! Berlin-Treptow! Cool!). Dazu lud sie unter anderem Steinzeit-Playboy Rolf Eden ein, mit zwei Frauen neben sich im Rolls-Royce. Ein Wunsch an die Programmdirektion: Lasst dieses sinnfreie Talk-und-Spiel-Gedöns sein. Es wird sowieso schon viel zu viel drumherum gequatscht. Es nervt. Dann schon lieber Katrin Müller-Hohenstein im ZDF: sanfte Spieler-Interviews für die ganze Familie, am Pool im Quartier der deutschen Nationalmannschaft.
Braucht ein Fan wirklich 20 Kameras?
Der Kurznachrichtendienst Twitter meldete beim Halbfinale Brasilien gegen Deutschland einen Weltrekord. Mit 35,6 Millionen Tweets, addiert ab 60 Minuten vor Anpfiff bis 30 Minuten nach Abpfiff, ist #GER – #BRA das meistdiskutierte Sportereignis aller Zeiten. Die Mediatheken von ARD und ZDF dürften bei dieser WM Rekordabrufe verzeichnet haben, weil sich viele die Spiele ab 22 Uhr nicht angetan haben. Laut Umfrage sollen 26 Prozent der Zuschauer die Spiele auf PC, Tablet oder Smartphone verfolgt haben. Fernsehen ist out, es lebe das Fernsehen.
Über den Sinn von Second Screen lässt sich streiten. Die ARD-WM-App, mit der das Spiel aus bis zu 20 Kamera-Perspektiven zu sehen ist, wurde über 1,6 Millionen Mal installiert. Klingt erst mal toll, aber das Spiel wird dadurch auch nicht besser. Vielleicht reichen die Bilder der Weltregie aus, die alle sehen. Ein Vorschlag an die ARD: Spart die Zusatz-Apps ein. Der Fan ist informiert genug. Wenn nicht, kann er ja noch twittern.
"Fußball-WM: Finale Deutschland – Argentinien, Sonntag, ab 20 Uhr 15, ARD"