"Gesicht zeigen!"-Geschäftsführerin zu Heidenau: "Die Mehrheit verdrängt den Rassismus“
Rebecca Weis ist Geschäftsführerin des Vereins „Gesicht Zeigen!“ und war in Heidenau. Ein Gespräch über Politik, stereotype Berichterstattung – und die 16 400 Einwohner.
Frau Weis, Sie waren in Heidenau. Was ist Ihr Eindruck, ist die sächsische Kleinstadt der Hotspot, in dem sich alle Aspekte des Flüchtlingsthemas bündeln?
Nein, das sind alle Orte, in denen gegenwärtig Flüchtlinge angegriffen und Unterkünfte angezündet werden. Aber Heidenau steht momentan für den dumpfen, platten Rechtsextremismus und Rassismus, der sich hier brachial Bahn gebrochen hat und tagelang die Straße regieren konnte. Dass es den gibt, verdrängt die Mehrheit der Gesellschaft gern. Es gibt ihn aber – einen organisierten Rechtsextremismus in Deutschland, und der ist durch die Flüchtlingsbewegung gerade wieder sehr sichtbar geworden.
Was Sie in Heidenau gesehen und erlebt haben, wird das von den Medien, insbesondere vom Fernsehen, angemessen berichtet?
Wir waren gestern mit unserem Projekt „Störungsmelder on tour“ an einer Schule in Heidenau. Das Projekt läuft bundesweit seit acht Jahren, hier kommen wir mit Prominenten an Schulen und diskutieren mit den Jugendlichen über Neonazis, Rechtsextremismus und Rassismus – immer bezogen auf aktuelle Ereignisse am Ort. Wir kamen am Donnerstag mit Bundesjustizminister Heiko Mass und der ZDF-Journalistin Dunja Hayali und haben 120 junge engagierte Schülerinnen und Schüler erlebt. Natürlich sind sie gerade sehr aufgewühlt von den Ereignissen in ihrer Stadt und haben viele Fragen. Fragen zum Umgang mit rechtsextremen Straftätern oder danach, wie sie den Flüchtlingen helfen können, aber auch danach, wie sie vor Rechtsextremen geschützt werden. Ansonsten haben wir einen normalen Tag in einer Kleinstadt erlebt.
Was stört Sie?
Die Medien sind gerade sehr präsent in Heidenau. Bei unserem Besuch am Donnerstag standen zehn Fernsehteams vor der Schule. Normalerweise interessieren die sich nicht so sehr für unsere Arbeit. Das ist schon sehr auffällig und schade, denn auch die kleinen Erfolge wären berichtenswert. Wir arbeiten seit 15 Jahren gegen Rechtsextremismus und Rassismus und machen diese Erfahrung immer wieder.
Rechtsradikale zeigen den Hitlergruß, auch das ist zu sehen. Gehören diese Motive zum ganzen Bild oder werden sie überbetont?
Natürlich gehören sie zum ganzen Bild. Das wirklich Alarmierende ist jedoch, dass sich an vielen Orten Rechtsextreme ungeahndet derart in Pose setzen können. Sie sind stolz auf diese Fotos und feiern sich als Sieger – ob in Freital, Dortmund oder Heidenau.
Von der Ferne und durch die Medien vermittelt gibt es in Heidenau vier Gruppen: die Rechtsradikalen, die Flüchtlinge, die Polizei, die Politiker. Heidenau aber hat 16 400 Einwohner. Wie denkt die Mehrheit, wird das ausreichend berichtet?
Wir waren auf Einladung des Bürgermeisters, Jürgen Opitz, in Heidenau, und wir haben ihn als wirklich sehr engagierten Politiker kennengelernt, der sich den Problemen in seinem Ort stellt. Wir haben eine sehr engagierte Schulleiterin getroffen, die auf Initiative der Schüler zukünftig Deutschkurse für die Flüchtlinge anbieten möchte. Wir wissen, dass sich sehr viele Ehrenamtliche im Flüchtlingswohnheim und drum herum engagieren. Die „Aktion Zivilcourage“ in Pirna koordiniert die Ehrenamtlichen für das Flüchtlingsheim und kann sich vor Hilfsangeboten kaum retten – auch das ist Heidenau. Diese Initiativen und Menschen müssen unterstützt werden.
Es gibt mittlerweile eine Art „Politikertourismus“ nach Heidenau. Aus der Sicht der Geschäftsführerin von „Gesicht Zeigen!“: Mehr Wallfahrt fürs eigene Bekenntnis oder die richtige Tat zum richtigen Zeitpunkt?
Wir sind nach Heidenau gefahren, um den Jugendlichen den Rücken zu stärken. Viele sind sehr verunsichert und fühlen sich bedroht – und zwar von den Rechtsextremen, nicht von den Flüchtlingen. Ich finde es wichtig, dass Politiker klar Stellung beziehen, auch vor Ort, und hätte es mir von der Kanzlerin früher gewünscht.
Den Blick geweitet: Geht die gesamte Medienberichterstattung über die Flüchtlinge in die richtige Richtung oder fehlen entscheidende Aspekte?
Ich finde, dass viele Medien sehr differenziert berichten, gerade auch über Fluchtursachen und die Zustände in den Aufnahmelagern. Aber ich finde auch, dass allzu oft die Katastrophenrhetorik überwiegt, von den „Massen“ und den „Fluten“ ist die Rede. Und was mich wirklich wütend macht, ist, dass neuerdings von „Asylkritikern“ gesprochen wird. Wer aktiv vor Heimen hetzt, sich mit Neonazis gemein macht, rassistische Parolen skandiert, der ist Rassist und Rechtsextremist – und das sollte man auch so benennen.
ARD und RTL wollen den kommenden Montag breit mit Sendungen zum Thema füllen. Notwendig und richtig?
Hängt natürlich von den Sendungen ab. Auch wir sind auf Facebook und erhalten Mails, auch wir müssen uns täglich mit dummen und unwissenden Kommentaren und Vorurteilen auseinandersetzen. Und es gibt Menschen, die Argumenten und Fakten gar nicht mehr zugänglich sind. Trotzdem sehe ich die Notwendigkeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen – und sei es auch nur, um mehr Menschen zu mobilisieren, sich zu engagieren und Gesicht zu zeigen.
Rebecca Weis ist Geschäftsführerin des Vereins „Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland“. Mit ihr sprach Joachim Huber.