Polizeiruf 110: Die Einsamkeit der Profis
"Morgengrauen" ist kein großer Krimi. Dafür bietet der neue "Polizeiruf 110" großes Drama - weil Kommissar Meuffels sich verliebt.
Freunde des „hard boiled“-Krimis kennen das: Der Privatdetektiv verguckt sich Knall auf Fall in eine Wahnsinnsfrau. Aber es geht schief, furchtbar sogar, der harte Kerl und die Wahnsinnsfrau hatten tolle Momente, doch jetzt ist er wieder einsam und um einige Grade zynischer außerdem. Wenn er sieht, wie irgendeine Frau und irgendein Mann beginnen, sich abzuschlecken, zucken die Mundwinkel: Wieder zwei, die es besser wissen müssten...
Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) ist Kommissar bei der Münchner Polizei. So einer ist nicht „hard boiled“. Ein sensitiver, empfindsamer Fahnder, der Nähe nicht sucht und doch, kaum ist er in der Nähe eines Menschen, dessen Irrungen und Schwingungen aufnimmt – ein Menschenversteher vor dem Herrn. Das kommt ihm zupass. Ein junger Mann hat einen jungen Mann ermordet, kommt in die JVA, Meuffels bekommt Zweifel und Kontakt zum wahrscheinlichen Mörder. Dann begeht der junge Mann Selbstmord, offenbar Selbstmord.
Hanns von Meuffels hat da schon nicht mehr den ganz klaren Blick, er hat sich in Karen Wagner (Sandra Hüller) verliebt. Wagner leitet die JVA-Jugendabteilung, deren mysteriöse Selbstmordserie wiederum mit dem Anstaltspsychologen Max Steiner (Axel Milberg) zusammenzuhängen scheint. Steiner ist, so will es das Drehbuch von Alexander Adolph, ein früherer, sehr enger Freund von Meuffels. Und dann hat Meuffels auch noch einen sehr anhänglichen Kollegen, den LKA-Kotzbrocken Oberpriller (Andreas Lust), der seine Gewaltprobleme auch mit Onanie am Dienstschreibtisch bekämpft. Wenn er nicht gerade zu Hause seine Kinder aus geschiedener Ehe anherrscht, weil sie gar zu gerne Killerspiele spielen.
Meuffels verliebt sich. Und scheitert am beruflichen Misstrauen
Der Zuschauer ist bestens beraten, wenn er die Psychologen-und-Kollegen-Storys hin-, aber keinesfalls zu ernst nimmt. Autor Adolph, zugleich Regisseur des siebten Meuffels-„Polizeiruf 110“, hat diese Figuren wohl angebaut, um zu zeigen, was im deutschen Justiz- und Polizeiwesen nicht anzutreffen ist: „Normalticker“, 08/15-Beamte, Diensttuer und mittelehrgeizige Menschen mit Aussicht auf Pension. Steiner und Oberpriller, das ist dramaturgisches Hartholz, unfertig, Thesenfiguren, auf dass die Anleitung zum Unglücklichsein mehrere Kapitel hat.
Vergesst die Krimihandlung. Zu randständig, herbeigezwungen, sie ist nur der implantierte Magnetismus, der die Figuren zusammenführt und auseinandertreibt. Erst im Finale wird sie die Beziehungen nachhaltig definieren, dann, wenn das Morgengrauen sich in die Morgenröte verwandelt hat und sich wieder ins Nachtgrau zurückverwandelt.
Amor vincit omnia. Dass die Liebe alles überwindet, das bringt Wagner und Meuffels einander sehr nahe. Dieser verdammte Beruf, der immer davon ausgeht, dass sich hinter einer Wahrheit eine Lüge verbirgt, wird sie wieder voneinander wegtreiben. Autor und Regisseur Alexander Adolph hat dafür eine feine Szenen- und Bildersprache gefunden.
Es ist an Matthias Brandt, dass er mit Hanns von Meuffels den interessantesten Kommissar im deutschen Krimi-TV spielt. Intensiv wie extensiv, von der signifikanten Maserung bis zur überraschenden Weiterung. Ein Schauspieler, der seine Figur ernst nimmt, hermetisch bisher – jetzt im Taumel der Gefühle. Brandt hat in Sandra Hüller, Axel Milberg und Stefan Lust ebenbürtige Mit- und Gegenspieler. Verzweiflung und Zeit dehnen sich, der Polizeiruf wird zum Nachtstück, zum Seelendrama.
Verliebtes Glotzen, robustes Finale
Milberg und Lust exemplifizieren zwei Arschloch-Rollen, die Hüller ist die weiße Frau. Eine mehrdeutige Persönlichkeit, präsent, gepanzert, durchaus chaotisch. Es ist von zartem Charme, wie sich Wagner und Meuffels über Umwege und Missverständnisse annähern. Es ist von robustem Finale, wie sie sich entzweien. Der Beruf bringt Zweifel, wer welches Spiel spielt. Und Max Steiner, dieser flamboyante Nihilisator, träufelt sein Gift in die Beziehung. Dann sind Krimi und Liebe am Ende. Vielleicht war die Liebe unmöglich, vielleicht. Um das Vielleicht kreist der Film. Um die Einsamkeit der Profis.
Die Fallhandlung ist recht dürftig. Die Binnenliebelei ist es nicht. Mag sein, dass die Dame und der Herr an ein, zwei Stellen zu romantisch glotzen, mag sein. Trotzdem muss die Schauspielerei von Sandra Hüller und Matthias Brandt herausgestellt werden. Menschen in extremen Berufen zeigen sie, im amourösen Aufbruch, prall an Nuancen zwischen Werden und Vergehen. Die Regie von Adolph lässt sich Zeit, öffnet Räume, es wäre nicht verwunderlich, wenn der Kriminalfilm plötzlich anhält – im Morgengrauen.
„Polizeiruf 110: Morgengrauen“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15
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