zum Hauptinhalt

Polizeiruf 110: Im Herzen der Finsternis

Lars Eidinger und Matthias Brandt brillieren im ARD-Krimi: Ohne am Ende aufkeimende Hoffnung oder einen Witz im letzten Moment führt die Aufklärung des Todes einer Transsexuellen direkt hinein in ein System von Gewalt und Verschwiegenheit.

„Wie geht es Ihnen heute?“, fragt die Polizeipsychologin den Kommissar. Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) haucht ein „Ich ...“, dann verlässt ihn die Sprache. Hat man im deutschen Primetime-Krimi jemals ein bedrückenderes Ende gesehen? Im Normalfall triumphiert im öffentlich-rechtlichen Fernsehen am Sonntag um 21 Uhr 45 die Polizei, und selbst wenn der Fall noch so schaurig und schlimm war, muss mit dem letzten Zipfel der Geschichte Hoffnung aufkeimen oder ein Witz gerissen werden.

Aber Sprachlosigkeit? Finsternis? Dieser „Polizeiruf 110“ wird für Gesprächsstoff sorgen, denn „Der Tod macht Engel aus uns allen“ führt hinein in die Welt der Polizei, in ein System struktureller Gewalt und männerbündischer Verschwiegenheit. Hans von Meuffels und seine Assistentin Anna Burnhauser (Anna Maria Sturm) ermitteln gegen fünf Polizisten der Polizei-Inspektion 25. In der Ausnüchterungszelle ist eine junge Transsexuelle zu Tode gekommen. Herzversagen nach Drogenkonsum, heißt es. Doch es gibt Zweifel, die Inspektion ist verrufen und es gibt Anzeichen für fehlerhaftes Verhalten der Beamten. War Gewalt im Spiel? Die Lebensgefährtin der Toten Almandine Winter, eine Transsexuelle, die von Lars Eidinger gespielt wird, erhebt Beschuldigungen und von Meuffels taucht tief in ihre Lebenswelt, ja in ihr Körperempfinden ein, um den Fall zu lösen.

Der Körper- und Empfindungsdialog der beiden Schauspieler Matthias Brandt und Lars Eidinger ist äußerst spannungsvoll, weil beide fließende, im Übergang befindliche Männerbilder anbieten. Beide sind Monster der Sensibilität, aber während Brandt stets nach innen wütet, stülpt der andere, Eidinger, das Gefühl seiner Figuren meistens nach außen. In ihrer Generation sind diese Schauspieler Experten für den Mann, der kein Mann mehr sein kann oder nur noch auf Umwegen ein zersplittertes Bild von sich findet. Kein Wunder also, dass der Kommissar und die transsexuelle Nachtclubtänzerin sich nahekommen und sich doch verfehlen. Der Regisseur Jan Bonny hat aus der Geschichte von Günter Schütter eine Ballade gemacht, die sehr an die Münchner Polizeifilme von Dominik Graf erinnert, an dessen lyrische Soziologie, mit der er die Stadt seziert wie ein urbaner, ebenso unbarmherziger wie humorvoller Pathologe. An diesen Stil knüpft Bonny, dessen Blick vielleicht noch kälter ist, an. Die Stadt München, sonst gerne als lebensfrohe Biedermann-Metropole mit Herz und Gemüt ins Bild gesetzt, wird hier zu einem dunklen Kosmos voller Gewalt, Niedertracht, schuftigen Abhängigkeiten und unbarmherziger Ich-Verteidigung. Die Bilder, oft dokumentarisch anmutend, sind dunkel, der Schnitt springt, die Kamera (Nikolai von Graevenitz) ruckt, reißt und wütet. Das Herz der Finsternis schlägt laut und stark in diesem Film. Männer am und Männer mit Abgrund finden sich auch zuhauf in der Truppe der fünf Verdächtigen.

Das Besondere an diesem Film ist, dass die Nebenfiguren Konturen gewinnen, und mit dem Schauspieler Hans-Jochen Wagner betritt ein weiterer Spezialist für erschütterte Männeridentität die Bühne. Er spielt den Anführer des verdächtigen Trupps, der versucht, seine Jungs vor von Meuffels zu retten. Die Dynamik innerhalb dieser Gruppe ist mitreißend, sie ist destruktiv. Die Schauspieler Anne Müller, Shenja Lacher, Murathan Muslu und Mathias Kupczyk agieren hier als mimische Intensivtäter. Der psychosoziale Terror, den sie entfalten, richtet sich zunächst gegen andere, dann gegen sich selbst. Gegen Ende des Films schlägt das ansonsten exzellente Drehbuch ein paar Volten, die angestrengt wirken, doch genau auf diese Wendungen baut der dramatische, der wirkungsvolle, ja der erschütternde Schluss. Keine Versöhnung, nirgends.

„Polizeiruf 110: Der Tod macht Engel aus uns allen“, Sonntag, 20 Uhr 15

Zur Startseite