Smart Home: Die App zum Wohnen
Heizung, Waschmaschine – alles zentral gesteuert: Eine Berliner Familie lebt in einer digital hochgerüsteten Wohnung. Die Industrie sieht darin ein riesiges Potenzial
Die Eingangstür öffnet sich wie von Geisterhand, kaum dass wir die Klingel der Gegensprechanlage gedrückt haben. Diese ist mit einer Video-Kamera ausgestattet, eine Stimme aus der Tiefe heißt uns willkommen. Die Genossen der „Märkischen Scholle“, die nicht etwa in der Mark sondern nahe Ku’damm in der Düsseldorfer Straße neu gebaut haben, haben mächtig digital aufgerüstet. Bei der Eingangstür hilft allerdings der Zufall etwas mit: Der Hauswart hatte von innen den elektrischen Türöffner gedrückt, der älteren Bewohnern mit Rollstuhl das Leben erleichtert. Sonst wären wir nicht reingekommen.
Für die einen ist der gerne neudeutsch als „Smarthome“ verkaufte Trend, Wohnungen und Häuser mit Sensoren, Motoren und digitaler Steuerung zu vernetzen, nur „Schnickschnack“ – für die anderen ist es Wohnen 3.0. Spätestens, seit Google vor zwei Jahren den Hersteller von digitalen Rauchmeldern und Heizthermostaten „Nest“ für mehr als drei Milliarden Euro kaufte, sehen Insider im Smarthome das „nächste große Ding“. Und in das wird auch hierzulande mächtig investiert: Von Konzernen wie RWE bis zu Mittelständlern aus Berlin.
Im Flur von Familie Haschtmann in der Düsseldorfer Straße hängt das, was in Berlin zu den ausgeklügeltsten digitalen Hausdienern zählen mag: „der Riedel“, wie Sabine Haschtmann den Bildschirm nennt. Der Riedel lässt sich wie ein PC-Tablet bedienen und trägt seinen Namen von dessen Hersteller. Was der Riedel so alles kann, ist auf dem Bildschirm erst mal nicht ersichtlich. Sondern: die Außentemperatur (3 Grad), Innentemperatur (21,9 Grad), außerdem erkennt man unterschiedlich lange rote Balken mit der Kennzeichnung Wohnzimmer, Schlafzimmer, Bad. Und weil am Rande des Riedels die Uhrzeiten stehen, sind die Balken unschwer als Betriebszeiten der Heizung auszumachen.
Übersichtlich ist das und einfach zu bedienen, so wollte es der Hersteller. Schon macht sich Sabine Haschtmann am Bildschirm zu schaffen: Sie drückt und wischt und zeigt, wie sie mit zwei Fingern die Heizung durch Veränderung der Balkengröße länger oder kürzer in Betrieb nimmt, mit einem Druck auf die Anzeige für die Temperatur dieselbe hoch- oder runterdreht – und das alles bei Bedarf für Wochen oder Monate im Voraus auf einem digitalen Kalender. Es gibt außerdem eine Kurzwahltaste, die beim Verlassen des Hauses gedrückt wird, worauf die Heizung runterfährt.
Teurer Schnickschnack? Sagen wir so: Für Heizung und warmes Wasser zahlt das Paar 45 Euro im Monat und kontert den skeptischen Blick so: „Wir duschen täglich, wenn wir Tennis spielen auch zweimal.“ Außerdem ist es an diesem kalten Wintertag fast 23 Grad warm in der Wohnung. Andererseits ist der Neubau der Genossenschaft dicht mit Dämmplatten eingepackt und die Fenster vielfach verglast, was an sich schon viel Energie spart.
Energie sparen durch intelligente Steuerung der Haustechnik
„Durch den Einbau der Steuerung spart der Mieter 20 bis 30 Prozent Energie“, sagt Manfred Riedel – nicht das Terminal, sondern der Chef der gleichnamigen Firma für Automationstechnik, die nach eigenen Angaben mittlerweile 30 000 „Anwendungen“ installiert hat. Riedel wirbt außerdem mit der „standardisierten Schnittstelle“, geprüft von der Industrienormungsstelle VDI. Aus gutem Grund: Bisher kocht jeder Smarthome-Anbieter sein eigenes Süppchen, und die vielen unterschiedlichen Insel-Lösungen sind kaum zusammenzubringen. Riedels System kann dank der geprüften Schnittstelle mit allem und jedem kommunizieren – sogar mit Hausverwaltungsprogrammen.
Dadurch können auf dem Riedel Nachrichten der Hausverwaltung aufpoppen: Dass das Wasser gesperrt werden muss oder wann die Hoffeier steigt. Der Mieter kann seinerseits melden, dass der Wasserhahn tropft, und das System leitet die Nachricht gleich weiter an den Handwerker des Vertrauens.
Was das kostet? Riedel zufolge liegt die Grundausstattung bei 1500 Euro, die Genossenschaft investierte 3000 Euro pro Wohnung. Technikchef Jochen Icken sagt: „Ich würde das System überall einbauen, wenn ich könnte.“ Er kann aber nicht, denn wichtiger sei es, Wohnungen barrierefrei zu bauen, damit die Mieter auch im hohen Alter noch drin wohnen können. „Priorität“ hätten außerdem Technik zur Einsparung von Energie oder zur Erzeugung von Wärme oder Strom aus der Sonne. „Und dann sollen die Mieten auch noch günstig sein“, sagt Icken. Deshalb bleiben digital hochgerüstete Wohnungen die Ausnahme.
In der Düsseldorfer Straße regelt der Riedel auch die Waschmaschine im Gemeinschaftskeller. Genau genommen, schaltet er den Strom an und wieder ab. Das ist praktisch, weil kein Fremder den Strom anzapfen kann. Sogar die komplette Steuerung der Waschmaschine aus der Ferne würde funktionieren: Ein Modell des koreanischen Herstellers LG, das im Januar auf der Technikmesse CES in Las Vegas vorgestellt wurde, lässt sich ganz einfach von unterwegs per App bedienen.
Die CES ist die große Smarthome-Show. Samsung stellte einen Kühlschrank vor mit einem 21 Zoll großen Bildschirm auf der Tür, der den Inhalt des Geräts abbildet und ebenfalls eine App-Steuerung bietet. Weil der Konzern außerdem mit Kreditkartengigant „Mastercard“ und einem Netz regionaler Händler kooperiert, kann der Kühlschrank das fehlende Sixpack für das Champions-League-Finale selbst bestellen – der Smarthome-Besitzer muss es nur dem Smartphone zurufen.
Aber was ist mit den Daten? „Aus Datenschutzgründen“ hat Manfred Riedel einen geschützten Bereich für seinen „Wohnungsmanager“ aufgebaut, der zu Hause sicher hinter Firewalls verborgen ist. Sodass keiner mitbekommt, wie das System Sensoren und schaltbare Steckdosen steuert und damit Rollos, Licht, Ofen und andere ans Stromnetz angeschlossene Funktionen. Anwendungen dafür sieht der Hersteller vor allem für betagte Bürger, die mal vergessen, den Herd abzustellen. Aber auch den gedankenlosen Schussel, der im Winter vergisst, das Fenster zu schließen, oder das Licht auszuschalten, erinnert das System daran, wenn Bewegungsmelder die Abwesenheit der Hausbewohner feststellen.
Zum Nachrüsten bieten Energieriesen wie RWE spezielle Smarthome-Lösungen: Vom schaltbaren Stecker, Heizungsventil über die programmierbare Rolladensteuerung, Tür- und Fenstersensor, sowie Bewegungs- und Rauchmelder bis zur Smartcam und zum Türschlossentriegler lässt sich jedes elektrisch bedienbare Element ins Netz einbinden. Auch RWE bietet Apps an, damit alles von unterwegs bedient werden kann. Zusammengeführt werden Daten und Befehle in einer per W-lan erreichbaren „Zentrale“.
An der Technik will auch „AVM“ verdienen. Der Berliner Hersteller der „Fritzbox“ integriert die Smarthome-Funktionen in seine bestehenden Netzwerkrouter. So ist in vielen Haushalten eh schon ein digitales Netz ausgespannt. Smarte Steckdosen können über die Fritzbox geschaltet und programmiert werden und zeigen auch den Stromverbrauch sämtlicher angeschlossener Geräte. Heizkörperventile (Hersteller: Eurotronic), Türsprechanlagen und Cams können über die Fritzbox gesteuert werden. Kurzum, wer seinen Besuch schon mal in die Wohnung lassen will, weil er selbst nicht pünktlich da sein kann, dreht per App die Heizung hoch, betätigt den Türöffner und legt schon mal die passende Musik auf. Die wird vom Server an die Stereoanlage gesendet.
So gesehen sind amerikanische Verhältnisse nicht fern. Dort rollt Versand-Gigant Amazon gerade den Markt auf. Dessen bierdosengroße Smarthome-Zentrale „Echo“ ist ein Verkaufsschlager. Damit können Bestellungen per Sprachbefehl aufgegeben werden, und dank Kooperation mit Philips gehen auf Zuruf die Leuchten des Herstellers an oder aus. Auch die Steckdosen von Belkin hören auf „Echo“ und werfen die Kaffeemaschine oder den Fernseher per Zuruf an. Zur CES erklärte Ford-Chef Marc Fields, dass „Echo“ nun auch aus den neuesten Modellen des US-Herstellers befehligt werden kann. Noch gibt es „Echo“ aber nur in den USA.
Aber auch Apple arbeitet an einem „Homekit“. Und wie wir von der Einführung von Tablets und Smartphones wissen: Spätestens, wenn die Kultmarke aus Cupertino sich eines Digital-Trends annimmt und entsprechend befeuert, bedeutet das meist dessen Durchbruch.
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Ralf Schönball