Digitales Leben: „Viele Produkte stigmatisieren“
Sebastian Glende über Digitalangebote für Senioren
Herr Glende, über 50 Prozent der Älteren nutzen das Internet, Tendenz steigend.
Die Statistiken bilden die Realität nicht ab. Wir lassen mit unserer Firma „Youse“ Senioren neue Produkte testen und machen andere Erfahrungen. Die Leute antworten mit „Ja“, weil sie schon begleitet im Netz waren, aber oft benutzen sie dort aus Angst die immer gleichen drei Wege.
Der Markt wird in einer stetig alternden Gesellschaft ständig größer.
Allein der Markt für Robotik. Eine Studie geht von acht Millionen allein lebenden Senioren mit positiver Einstellung zur Robotik aus – nur in Europa. Wenn man dafür das passende Produkt hat, ist das ein Milliardenmarkt.
Heißt das, dass die anderen 23 Millionen allein lebenden Senioren in Europa zum Beispiel keine Pflegeroboter wollen?
Das Thema wird kritisch gesehen. Gerade die Deutschen wollen, dass Roboter auf keinen Fall zu menschlich sein sollen.
Viele Angebote für ältere Menschen befassen sich mit Sicherheit und Gesundheit. Es wurde zum Beispiel eine App entwickelt, die Demenz entgegenwirken soll.
Ja, leider stigmatisieren viele dieser Produkte oft ungewollt. Ein klassischer Hausnotruf, der sich automatisch mit der Feuerwehr verbindet, signalisiert vielen: Ich bin nicht mehr selbstständig. Die Anschaffung wird so lange vermieden, bis etwas passiert.
Gibt es nicht dezentere Systeme?
Doch, statt ein einzelnes, womöglich stigmatisierendes Produkt zu kaufen, kann zum Beispiel eine Notruf-Funktion in ein Smart-Home-System integriert werden.
Was heißt das genau?
Zum Beispiel kann man sich Bewegungsmelder vorstellen, die die Langzeitmuster eines Menschen aufzeichnen: Aufstehen, Kaffeekochen, Zeitunglesen. Bricht jemand aus seinem eigenen Muster aus, löst das System Alarm aus.
Gruselig. Da bin ich Gefangener meiner Bewegungen von gestern.
Es wird auch an einer einzelnen, drucksensitiven Matte gearbeitet, die man vor das Bett legt. Wenn nun einer herausfällt oder beim Aufstehen stürzt und länger liegen bleibt, löst die Matte Alarm aus.
Warum floppen eigentlich so viele digitale Produkte für Senioren?
Die Entwickler sind oft Mitte dreißig und denken nicht vom Benutzer her. Alte Leute haben zum Beispiel Angst, den Herd anzulassen. Das Problem könnte ein Junger mit einer Smartphone-App leicht lösen. Aber für Senioren wäre eine Lösung wie im Hotel besser: Ziehe ich beim Verlassen der Wohnung eine Karte aus dem Schlitz, geht alles Wichtige aus.
Sebastian Glende ist Mitbegründer des privaten Forschungsinstituts „Youse“, das Unternehmen hilft, digitale Produkte zielgruppenspezifisch und benutzerfreundlich zu entwickeln.
Weitere Beiträge der Serie "Digitales Leben" finden Sie auf unserer Themenseite.