Polens Trauma und Stolz: Der Warschauer Aufstand als Blockbuster
Der Film "Warschau 44" schildert den Aufstand im August 1944 aus der Perspektive junger Polen. Er ist die Antwort auf den ZDF-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter"
Mindestens so entscheidend wie Geschichte ist die Wahrnehmung von Geschichte. Und die kann sehr unterschiedlich sein. Der Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“, vom ZDF 2013 ausgestrahlt, fand bei Kritik und Publikum in Deutschland ein breites, ein positives Echo.
Erzählt wird die Geschichte einer Gruppe junger Deutscher auf ihrem Weg durch Nazizeit und Zweitem Weltkrieg. Empathisch, eindrücklich und – so der allgemeine Eindruck – angemessen. Eine Generation wird gezeigt, die sich dem Nationalsozialismus nicht verschlossen hatte, vielmehr aus Begeisterung, aus Berechnung Hitlers willige Helferinnen und Helfer wurde. Gelebt und geliebt haben sie, getötet haben sie, gebüßt und gelitten haben sie auch. „Ich bin’s nicht, Adolf Hitler ist’s gewesen“, das sagte der Film nicht. Das Maß von Schuld und von Mitschuld wurde individuell ermittelt.
Der Dreiteiler wurde auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Polens ausgestrahlt. An drei Abenden, zur besten Sendezeit, mit hervorragenden Einschaltquoten. Eine heftige Debatte folgte. Viele, so hat es der polnische Fernsehjournalist Tomasz Lis in der „Welt“ aufgeschrieben, hätten die Entscheidung der Ausstrahlung durch den Sender TVP kritisiert „und meinten, dass der Film die Polen im schlechtesten Licht zeigt und die Deutschen dort eher als Opfer und nicht als Täter abgebildet wurden“.
Heute, mehr als zwei Jahre nach den Ausstrahlungen von „Unsere Mütter, unsere Väter“ im deutschen und im polnischen Fernsehen, zeigt das ZDF die polnische Produktion „Miasto 44“ (Deutsch: „Die Stadt 44“). Der im Blockbustermaßstab aufgezogene Film konzentriert sich auf die 63 Tage des Warschauer Aufstands, der am 1. August 1944 begann.
Mit dem Atem der Roten Armee im Rücken (und auf der östlichen WeichselSeite) hatte die im Untergrund wirkende polnische Heimatarmee den Kampf gegen die NS-Besatzer gestartet. Es war ein ungleicher Kampf, es war ein Gemetzel. Die Sowjets ließen es geschehen, dass auf Hitlers und Himmlers Befehl Warschau systematisch zerstört wurde, rund 200 000 Einwohner, darunter 20 000 Aufständische, kamen ums Leben. Der Traum, den Willen eines Volkes zum Leben im eigenen Staat zu manifestieren, auf dass nicht die deutsche gegen die sowjetische Besatzung eingetauscht werde, wurde zum polnischen Trauma und blieb ein Trauma. „Und ein großer Stolz“, schrieb Lis nach der Vorführung im Nationalstadion in Warschau vor 10 000 Zuschauern.
Das hat einen enormen Reiz: Die Polen konnten sehen, wie die Deutschen entscheidende Phasen des von ihnen entfesselten Krieges darstellen, jetzt können die Deutschen die polnische Sicht erkennen. Was so nicht geplant war: Beide Produktionen entstanden ohne gegenseitigen Bezug. Die polnische Produktion hat Jahre der Vorbereitung und Durchführung gebraucht, Unsummen sollen ausgegeben worden sein, der Aufwand für die historisch genaue Szenerie beeindruckt in jeder Sequenz.
"Warschau 44" ist ein wahrer Mixtape filmischer Möglichkeiten
Blockbuster und mehr: „Warschau 44“ ist ein Mixtape aus realitätszugewandter Action, Slow-Motion-Elementen, ja Computerspiel, Sex, Rock ’n’ Roll, unterlegt mit Streichern, Pop, Elektro. Ein 120-minütiges Abenteuer vom 33-jährigen Regisseur und Autor Jan Komasa. Der Film richtet sich in seiner Machart an ein junges Publikum und nimmt dabei die Perspektive seiner Protagonisten auf. Es geht um Enthusiasmus und Emotionen, weniger geht es um Politik.
Der junge Warschauer Stefan Zawadaski (Józef Pawlowski) lebt noch zu Hause bei seiner verwitweten Mutter, einer Schauspielerin (Monika Kwiatkowska), und seinem kleinen Bruder. Nach dem Verlust seiner Arbeit und ohne jegliche Perspektive schließt er sich der polnischen Heimatarmee an. „Der Untergrund macht so viel Spaß“, sagt einer seiner Freunde. Vor allem Kampf kommen die Freuden des Sommers, es wird getrunken, getanzt, geschwommen, die bereits fünf Jahre dauernde Besetzung Polens durch die Deutschen scheint keinen Einfluss auf das Leben der jungen Leute zu haben.
Dennoch wollen sie kämpfen, Warschau befreien, sie wollen siegen, ehe die Rote Armee die Deutschen und damit vielleicht auch die Polen besiegt. Am 1. August 1944 beginnt der Aufstand. Stefan, Alicja „Ana“ Saska (Zofia Wichlacz) und Kamila „Kama“ Jedrusik (Anne Próchniak) sind dabei. Der Aufstand auch einer Generation, die hungrig ist nach Leben, nach Gegenwart, nach Zukunft. Erwachend wird sie erwachsen.
Nicht die feine Skizze, sondern das große Panorama einer Schlacht
Was folgt, ist ein mutiger Genremix, quälend realistische Darstellung und ein ironisches Spiel mit den Stilmitteln des Cinemascopekinos. „Warschau 44“ sucht nicht die feine psychologische Skizze, sondern das ganze, große Panorama einer Schlacht, in dem die Jugendlichen stellvertretend für die Einwohner der Stadt kämpfen und sterben, leiden, lieben und töten. Es gibt Szenen, die dem Zuschauer die Augen aufreißen. Einmal, da haben die Polen einen deutschen Panzer erobert, sie ahnen nicht, was er wirklich ist, eine Sprengfalle. Jene, die gerade noch jubeln, werden in die Luft gesprengt. Wer in der Nähe überlebt, auf den regnet es Blut, Leichenteile.
Menschen in einer Grenzsituation: Stefan, Ana und Kama frieren ihr Gefühlsleben nicht ein, sie sind herausgefordert wie überfordert, ihr Glauben an eine Zukunft in Freiheit, an ihre Freiheit in der Zukunft, der schwankt und wankt. Was sie treibt und antreibt: der atavistische Wunsch zu leben, gepaart mit der Bereitschaft zu sterben. Und die Deutschen, sind sie alle Teufel und Mörder? In jeder Gruppe gibt es zwei Gerechte, und wenn Venus auf Mars trifft, ist die Göttin nicht immer auf der Verliererseite.
„Warschau 44“ ist die filmische Darstellung des Warschauer Aufstandes 1944. Gedreht von Polen, gezeigt aus polnischer Sicht. „Unsere Mütter, unsere Väter“? Ihre Mütter, ihre Väter.
„Warschau 44“, ZDF, Sonntag, 22 Uhr; „Warschau 44 –Die Dokumentation“, 23 Uhr 55
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