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Alice Schwarzer
© dpa

Zum 75. Geburtstag von Alice Schwarzer: Der große Unterschied

Wie Alice Schwarzer kann nur Alice Schwarzer nerven. Ein Glückwunsch zum 75. Geburtstag der Feministin und Publizistin.

An Alice Schwarzer kann man sich trefflich reiben. Jede Kontroverse um ihre Person hat die Aktivistin und Publizistin, die Gerechtigkeitsfanatikerin und Grande Dame des Feminismus, dem Erreichen ihrer Lebensaufgaben einen Schritt näher gebracht: der Chancengleichheit und der Gewaltfreiheit für Frauen wie für Männer, dem Erfolg im Kampf gegen die Rollenzuweisung im Namen des Geschlechts genauso wie im Namen der Klassen-, Rassen- und Religionszugehörigkeit.

Man muss Alice Schwarzer nicht lieben, man kann sogar ihre Kritikerinnen und Kritiker verstehen, die die Frauenrechtlerin schon früh als „Oberemanze“ titulierten und ihr besonders in den vergangenen Jahren vorwarfen, in ihrer Umtriebigkeit ihre eigenen Interessen zu sehr in den Vordergrund zu stellen. Allerdings geht für mich und viele Frauen, die jung waren, als Alice Schwarzer jung war, in den 1970er Jahren also, kein Weg daran vorbei, anzuerkennen, dass sie DIE Vorreiterin im Kampf für unsere Gleichberechtigung war. Was sie gesät hat, haben wir weitergegeben an unsere Kinder und Enkel. Ihr streitbarer Feminismus ist für viele von uns die Initialzündung für die mittlerweile so weit verbreitete Solidarität unter Frauen gewesen.

An diesem Sonntag wird Alice Schwarzer 75 Jahre alt. Sie feiert in Paris, der Stadt, in der sie als Sinn suchende, vor Neugier und Ehrgeiz nur so strotzende junge Journalistin1970 eine der Pionierinnen der französischen Frauenbewegung wurde. Damals traf sie Simone de Beauvoir, die Autorin von „Das andere Geschlecht“, Ikone des Feminismus und ihre Heldin. Die beiden freundeten sich an; im Rückblick ist de Beauvoir wohl die Eroberung ihres Lebens, der sie viel, wenn nicht alles zu verdanken hat, die ihr in Dutzenden von langen Gesprächen Leitfigur wurde. Ihr gemeinsames Buch „Weggefährtinnen im Gespräch“ bleibt die Messlatte für alle Verdienste, die sich Alice Schwarzer danach erwarb.

Befreiung von einem tief verankerten Schuldkomplex

Persönlich habe ich Alice Schwarzer und ihren frühen Büchern wie „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“ einen wahren Selbstbewusstseinsschub und die Befreiung von einem tief verankerten Schuldkomplex zu verdanken. So hatte ich als 20-Jährige gerade eine Abtreibung hinter mir, die ich in aller Heimlichkeit, mit einem furchtbar schlechten Gewissen, voller Angst und im vollen Bewusstsein, eine Strafhandlung zu begehen, in London durchlitt, als der „Stern“ im Juni 1971 „Wir haben abgetrieben“ titelte.

Alice Schwarzer 1987 zur PorNO-Kampagne
Alice Schwarzer 1987 zur PorNO-Kampagne
© imago/bonn-sequenz

Auf Initiative von Alice Schwarzer hatten 374 prominente und nicht prominente Frauen mit ihrem Geständnis eine Lawine des Protests gegen den Abtreibungsverbotsparagrafen 218 ausgelöst. Noch am selben Tag vertraute ich mich einer Freundin an und fand Verständnis für meine Situation. Und am Tag darauf traute ich mich, wegen der andauernden Schmerzen einen Frauenarzt aufzusuchen, der mich sofort krankschrieb, wenn auch noch mit einer falschen Diagnose im Attest für die Krankenkasse. Ich bin sicher, dass diese Aktion von Alice Schwarzer mich vor weiterem seelischen und körperlichen Schaden bewahrt hat.

Damals war es auch, dass die deutsche Frauenbewegung Fahrt aufnahm und in Alice Schwarzer – die sich mittlerweile zum Hassobjekt für männliche und weibliche Chauvinisten emanzipiert hatte und in gleicher Weise die von ihr 1977 gegründete Frauenzeitschrift „Emma“ – war schnell das Feindbild gefunden, das der Bewegung allerdings eher einen Schub gab, als sie abwürgte. Die Medien schossen sich regelrecht auf sie ein – sie genoss das, stets auf Streit gebürstet, mit Stolz und einem gewissen Masochismus.

1975 mit Uschi Glas in der WDR-Talkshow „Je später der Abend“
1975 mit Uschi Glas in der WDR-Talkshow „Je später der Abend“
© picture-alliance / dpa

Als ich 1988 selbst Chefredakteurin wurde, der deutschen Ausgabe des Modemagazins „Elle“, deren Mutterblatt in Frankreich beheimatet war und in den 1970er Jahren dort die Frauenbewegung vehement unterstützt hatte, wollte ich für die erste Ausgabe eine Fotoproduktion und ein Interview mit Alice Schwarzer realisieren. Die Redaktion, ausschließlich aus jungen Frauen bestehend und wie ich um Themenkonsens bemüht, fand das keine gute Idee. Stattdessen brachten wir eine Exklusivproduktion mit Hannelore Kohl (fotografiert von Lord Snowdon). Zu meiner Ehrenrettung kann ich anführen, dass das Interview immerhin eine Intellektuelle und ausgesprochen emanzipierte Frau führte, Marianne Schmidt, die Gründerin und langjährige Chefredakteurin von „Transatlantik“.

Für sie wurde es der Beginn ihrer langjährigen Fernsehkarriere

So lernte ich Alice Schwarzer erst einige Jahre später persönlich kennen, als Gast in meiner wöchentlichen Fernseh-Talkshow „Zeil um zehn“ beim Hessischen Rundfunk. Wir trafen uns seitdem gelegentlich bei gesellschaftlichen Anlässen, mal im Umfeld von Angela Merkel, die damals Frauenministerin war, oder bei Gabriele Henkel, der Düsseldorfer Stilikone, ein Fan von Alice Schwarzer.

Als ich Chefredakteurin von „Bunte“ wurde und aus Zeitgründen meine Talkshow aufgeben musste, wurde Alice Schwarzer meine Nachfolgerin. Was mich zwar verblüffte, aber worauf ich schließlich regelrecht stolz war. Für sie wurde es der Beginn ihrer langjährigen Fernsehkarriere, unter anderem an der Seite von Joachim Fuchsberger in dem Ratespiel „Ja oder Nein“, für die sie selbstverständlich belächelt wurde, mit der sie sich und wohl auch ihren Anliegen aber ein wesentlich breiteres Publikum erschloss.

Das alles ist viele Jahre her. Aus der Ferne habe ich ihren Weg stets wohlwollend-kritisch begleitet und mit einer ordentlichen Portion Bewunderung für die Stringenz, mit der sie gegen alle Widerstände ihre Rolle in der Gesellschaft unter strenger Beobachtung der Medien und der Öffentlichkeit ausbaute.

Manche Kritik kann ich nachvollziehen (ihre Rolle als Kachelmann-Prozess-Beobachterin, die Schwarzgeld-Affäre). Verstehen kann ich allerdings nicht, wie aus dem Hassobjekt der verknöcherten Chauvinisten das Feindbild junger Feministinnen von heute wurde. Weil sie immer noch als erste Wahl gilt, wenn es um die Diskussion von Emanzipation geht?

Bilder eines kämpferischen Lebens. Alice Schwarzer 2008 vor einem Foto von Simone de Beauvoir.
Bilder eines kämpferischen Lebens. Alice Schwarzer 2008 vor einem Foto von Simone de Beauvoir.
© picture alliance / dpa

Leider ist keine vergleichbar eloquente Frau nachgewachsen, die sich auch nur annähernd kompetent für das Thema qualifiziert hat. Weil sie nicht weicher in ihrer Argumentation geworden ist? So geschmeidig, wie sich junge Feministinnen heute gerne darstellen, kann ein Charakter wie Alice Schwarzer nie und nimmer werden. Weil sie immer wieder neue Themen findet, die sie vereinnahmt, lange bevor andere das tun? Wie ihre kraft- und wirkungsvollen Kampagnen gegen sexuelle Gewalt, gegen Prostitution, gegen Pornografie und gegen die frauenverachtenden Auswüchse des Islamismus.

Zu ihrem 75. Geburtstag wünsche ich Alice Schwarzer, dass sie auf ihre alten Tage auch bei der neuen Generation der Feministinnen doch noch die Anerkennung findet, die ihr gebührt. Schließlich ist sie es, die die härtesten Schlachten der frühen Jahre geschlagen hat, von der seitdem schon zwei Generationen von Frauen profitieren.

Gern halte ich es mit Harald Schmidt, der in seiner Laudatio auf Alice Schwarzer, als sie zu ihrem 65. in der Frankfurter Paulskirche mit dem Ludwig-Börne-Literaturpreis ausgezeichnet wurde, sagte: „Alice Schwarzer kann nerven. Aber nicht jede, die nervt, hat deshalb schon die Qualitäten von Alice Schwarzer.“

In diesem Sinne: Bitte nerve weiter, liebe Alice. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.

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