Der neue Wiener "Tatort": Der belesene Lude
Nichts für schwache Gemüter: Die Wiener „Tatort“-Ermittler Moritz Eisner und Bibi Fellner schlagen sich wieder mit viel menschlicher Niedertracht herum.
Geschnappter Zuhälter sitzt lange im Knast ein, hat viel Zeit, kriegt ein Buch über die Kriegskunst in die Hand und setzt das Angelesene, wieder draußen, in die Tat um – so lapidar kann manchmal der Ausgangspunkt eines „Tatort“-Krimis sein. Und so drastisch, wenn dann noch der Widersacher, Oberstleutnant Moritz Eisner (Harald Krassnitzer), traurig zu Hause sitzt und Weltschmerz frisst. Seine Tochter hat ihn verlassen, ist mit ihrem Freund zusammengezogen.
Leichtes Spiel also für diesen Zuhälter namens Mittermeier, der in Wien mit ein, zwei brutalen Morden einen grausamen Krieg unter Schlepperbanden und Menschenhändlern anzettelt und seine Macht genießen will? Mitnichten. Da gibt’s ja noch Eisners herzensgute Kollegin Bibi Fellner (Adele Neuhauser). Eisner und Fellner sind so etwas wie die Seelen unter den „Tatort“-Kommissaren. Zum 15. Mal staunen sie in diesem Krimi bereits darüber, wozu menschliche Niedertracht alles fähig ist.
Frauen werden in Lastwagen regelmäßig nach Wien gebracht, um dort als Sexarbeiterinnen oder billige Aushilfskräfte zu schuften - ohne jede Selbstbestimmung und ohne jede Würde. Mögen sich andere „Tatort“-Ermittler mit Feinheiten in der virtuellen Welt herumschlagen (wie die Stuttgarter Kommissare in der vergangenen Woche), der Wiener Krimi serviert regelmäßig die ganz tiefen Abgründe der Spezies Mensch. Stets solide Krimi-Ware, mal weniger, mal mehr hard-boiled, wie diese Ausgabe.
Zunge bei lebendigem Leib aus dem Mund geschnitten
Eltern sollten ihre Kinder spätestens nach der „Tagesschau“-Fanfare ins Bett schicken. Ein blutverschmierter Vorhang, ein Mordopfer, ein türkischer Geschäftsmann, der in seinen letzten Minuten grausam gefoltert wurde. Die Zunge war ihm bei lebendigem Leib aus dem Mund geschnitten worden.
Da vergeht selbst Eisner und Fellner, sonst hartgesotten (die sich auch schon mit dem Mossad angelegt haben), der Humor. Sie dringen ein in die Welt von organisiertem Verbrechen und Menschenhändlern am Rande des Balkans und geraten dabei – die Verquickung von Privat- und Ermittlerleben hat auch beim ORF-„Tatort“ Methode – selbst ins Kreuzfeuer. Eine junge Ukrainerin (Janina Rudenska), die bei Bibi Fellner Unterschlupf findet, scheint die entscheidenden Hinweise zum mörderischen Unwesen des Zuhälters liefern zu können.
„Auf den Krieg folgt der Friede“, sagt der „Strizzi“, die belesene Rotlichtgröße Mittermeier (gruselig: Michael Fuith) und rechtfertigt so sein Vorgehen. Hintenraus lässt es dieser ebenso brutale wie solide, engagierte „Tatort“ an Logik mangeln (Buch und Regie: Thomas Roth). Macht aber nichts. Solange nur Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser mitspielen.
„Tatort - Die Kunst des Krieges“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15
Markus Ehrenberg