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Weltberühmt in Österreich. Seit 2011 ermittelt Adele Neuhauser, 57, als Major Bibi Fellner im Wiener „Tatort“, zusammen mit Harald Krassnitzer.
© imago/Lumma

Adele Neuhauser im Interview: „Wir sind doch alle überfordert“

Kein „Tatort“ aus Wien ohne Adele Neuhauser. Ein Gespräch über Berlin, Depressionen und Wandern.

Frau Neuhauser, Ihr Sohn lebt in Berlin, Ihr Ex-Mann inzwischen auch – wann sind Sie bereit für die tollste Stadt der Welt?

Eine sehr gute Frage, die mir immer wieder gestellt wird. Aber ich bin noch nicht so weit, weil meine Mutter noch in Wien lebt.

Aber Berlin kann hoffen?

Immer! Auf jeden Fall auf einen Besuch.

Berlin ist bunter und flippgiger als Wien

Sie haben lange in Deutschland gelebt und Theater gespielt. Erklären Sie doch einmal einem waschechten Piefke, was die größten Unterschiede zwischen Berlin und Wien sind.

Berlin hat für mich ähnliche Schwingungen wie Wien, es ist allerdings bunter und flippiger. Wien ist irgendwie traditioneller und fühlt sich für mich griffiger an, was natürlich durch die Größe der Stadt bedingt ist. In Wien kann man zum Beispiel alles sehr gut zu Fuß erledigen. Das ist in Berlin schon etwas schwieriger.

Und die Wiener haben ihren Schmäh, der es ihnen erlaubt, die gröbsten Hässlichkeiten gemütlich zu verpacken.

Das stimmt. Daran müssten die Berliner vielleicht noch ein bisschen feilen. Aber beide Städte haben Humor, er äußert sich nur anders.

Der „Tatort“ aus Wien erreicht mit zu acht Millionen fast soviele Zuschauer wie Österreich Einwohner hat. Ein bisschen unheimlich, oder?

Ich würde eher sagen beglückend. Ein komisches Gefühl hätte ich, wenn ich mir die acht Millionen vorstelle, wie sie tatsächlich vor dem Fernseher sitzen.

Sind Sie in Österreich weltberühmt?

Es fühlt sich zumindest so an. Mir wird tagtäglich viel Sympathie und große Zuneigung entgegen gebracht. Das ist schon sehr schön.

Wie erklären Sie sich das?

Das mag an meiner Offenheit liegen, die sicher viel dazu beigetragen hat, dass die Menschen mich verstehen. Sie können etwas mit mir anfangen. Vielleicht auch, weil ich etwas in ihnen bewegt habe.

Sind die Österreicher auch vom „Tatort“-Virus erfasst wie die Deutschen?

Aber total! Das ist förmlich explodiert. Ich höre das immer wieder von Zuschauern und Fans. Eine schöne Sache.

Was ist das spezifisch Österreichische am Wiener „Tatort“?

Die Stimmung, der Humor. Und ein gewisser Charme.

Haben Sie die Til-Schweiger-„Tatorte“ gesehen? Da ging es ja reichlich zur Sache, viele Tote, jede Menge Action. Nichts für den Wiener „Tatort“, oder?

Wir sind nicht Los Angeles oder Hamburg, wir sind Wien. Und deshalb geht es bei uns anders zu. In Wien wird nicht geballert wie verrückt. Es macht doch überhaupt keinen Sinn, etwas zu beschreiben, was mit der Wirklichkeit rein gar nichts zu tun hat.

Der „Tatort“ ist Ihrer Meinung nach also nicht nur Unterhaltung, sondern auch Mittel zur Aufklärung?

Dafür ist er da. Der „Tatort“ ist eine der wenigen Plattformen im Fernsehen, wo aktuelle Themen behandelt werden können. Deshalb muss man diese Chance nutzen. Auch wir in Wien sind da sehr bemüht, nicht nur wir Schauspieler, auch die Redaktion, eigentlich alle Beteiligten.

Es gibt Wege aus seelischen Tiefs

Sie haben in Ihrem Leben schon einiges erlebt, und Sie reden freimütig darüber, zum Beispiel über Ihre Jugend mit sechs Selbstmordversuchen.

Ich verstehe das nicht als Makel, sondern als Vehikel, Menschen helfen zu können, die ähnliches durchmachen wie ich damals. Erfolgreichen Menschen wird ja gerne unterstellt, sie hätten ihr Leben voll im Griff und seien unantastbar. Aber das muss nicht immer so sein. Wenn ich aus meinem Leben erzähle, dann will ich Menschen zeigen, dass es Wege aus seelischen Tiefs gibt. Und dass es etwas Wundervolles ist, zu leben.

Aber die allermeisten Menschen, denen es hinter der Fassade nicht so gut geht, verbergen diese Seite so gut es geht.

Und genau das finde ich falsch. Jeder will stark und perfekt sein, aber es ist doch ein offenes Geheimnis, dass mindestens zwei Drittel unserer Gesellschaft unter Depressionen leiden. Wir sind doch alle überfordert. Und wenn wir es nicht lernen, uns als verletzliche Wesen zu akzeptieren, dann werden wir keinen Schritt voran kommen. Wer immer alles verdrängt, der kann nicht glücklich werden. Und darum geht es doch auch im Leben.

Helfen Ihnen Ihre persönlichen Erfahrungen in Ihrem Beruf als Schauspieler?

Manchmal, vielleicht. Aber es gibt auch Kollegen, die Verzweiflung spielen können, ohne jemals tief verzweifelt gewesen zu sein. Gute Schauspieler eben. Ich gehe vielleicht etwas anders mit solchen Themen um.

In Ihrem aktuellen „Tatort“, in dem Sie wieder mit Harald Krassnitzer spielen, geht es recht munter zu. Das Thema Sex im Alter scheint sie beide angeregt zu haben.

Das sind Zuckerln, mit denen sich herrlich spielen lässt.

Ich möchte keine Zwanzigjährige mehr sein

Apropos Alter. Sie sollen vor dem Alter keine Angst haben, sagt man. Wieso nicht?

Erstens weil man das Altern nicht aufhalten kann und weil es zweitens einige Vorteile mit sich bringt. Ich zum Beispiel möchte in dieser Welt keine Zwanzigjährige sein, mit diesem ganzen Druck, den man in diesem Alter noch stärker spürt. Diesen Druck habe ich jetzt nicht mehr. Und ich verzeihe mir mehr als ich es früher getan habe. Ich mag mich außerdem heute mehr als früher. Ich bin einfach entspannter geworden. Das ist ein sehr, sehr gutes Gefühl. Ich genieße das Leben.

Aber wann fängt das schöne Alter an?
Keine Ahnung, bei mir war es mit Anfang 50. Ab da habe ich angefangen, mich zu beruhigen.

Sie hatten 2008 eine Stimmband-Operation und mussten sechs Wochen lang schweigen ...

... ach, das war herrlich!

Für Sie – oder für Ihre Umgebung?

Vor allem für mich – hoffe ich jedenfalls. Ich habe festgestellt, wie viel Blödsinn man selbst redet. Wenn man alles aufschreiben muss, was man mitteilen will, dann fällt einem auf, dass man zwei Drittel von dem, was man gewöhnlich von sich gibt, auch weglassen könnte. Das war wie eine kleine Gehirnwäsche: Was ist wichtig, was nicht? Die sechs Wochen waren für mich eine sehr heilsame und reinigende Zeit.

Sie sollen in Ihrer Freizeit gerne Wanderwege markieren, liest man.

Gemacht hab' ich's leider noch nie! Aber ich würde gerne. Ich wandere gerne zügig, am liebsten schweigend und alleine. Ich kann das nur jedem empfehlen, dem etwas auf der Seele liegt. Wenn man wandert, relativiert sich vieles.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

„Tatort: Sternschnuppe“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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