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Nö, sagte die Kanzlerin. Angela Merkel wollte sich nur einmal mit SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz vor den Fernsehkameras auseinandersetzen. ARD und ZDF hätten lieber zwei Duelle übertragen, kuschten aber vor der Entscheidung der Kanzlerin.
© REUTERS

Programmauftrag von ARD und ZDF: Darstellung, nicht Selbstdarstellung

Was der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht, wenn er seine eigene Zukunft gewinnen will.

Früher hat man Institutionen reformiert. Heute erfindet man sich neu. So derzeit der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Befeuert von den Thesen einer Bund-Länder-Kommission wird darüber gestritten, was er künftig im Netz verbreiten darf. Wieder sind es vor allem die Zeitungsverleger, die schweres Geschütz auffahren. Mathias Döpfner spricht mit Blick auf weitere Rundfunkangebote im Netz von „gebührenfinanzierte(r) Staatspresse“.

Was auch immer aus dieser Übertreibung wird – es darf nicht dazu kommen, dass am Ende der Debatte dem Gesetzgeber für den Rundfunk zwar eine neue Struktur gelungen ist, aber durch diese neuen Schläuche nur der alte Wein fließt. Die bessere Hälfte einer Strukturreform ist eine Programmreform. Dazu hat die Bund-Länder-Kommission aus guten Gründen geschwiegen. Dafür sind Intendanten, Journalisten und Aufsichtsgremien zuständig. An ihnen ist es, das Programm auch für die Zukunft unverwechselbar gut zu machen.

Unverwechselbar heißt: Staatsferne, die Unabhängigkeit von Gruppen und von wirtschaftlichen Interessen und Professionalität. Wenn Mathias Döpfner eine Interessenallianz von Politik und öffentlich-rechtlichem Rundfunk beklagt, dann hat er wohl nicht nur den Parteieneinfluss gemeint, sondern auch die vielen kleinen roten Teppiche, die im Programm für Politiker ausgerollt werden, in Sommerinterviews, in Talkshows, in Features, in Shows. Und in Hinterzimmern. Dazu zählt auch die Bereitschaft, die Festlegung der spielentscheidenden Umstände eines TV-Auftritts einer Kanzlerin zu überlassen. Hier wieder das rechte Maß zu finden, ist nicht nur eine Frage der Fantasie, sondern der Haltung, der Professionalität. Ein altes Wort dafür heißt Berufsethos.

Programmauftrag: Information, Unterhaltung, Bildung

Es ist, Reformen im Blick, daran zu erinnern, dass der Programmauftrag Information, Unterhaltung und Bildung gleichermaßen umfasst. Um dem gerecht zu werden, muss man sich von der Quote als dem nahezu einzigen Kriterium für einen Programmerfolg verabschieden. Die Behauptung übertreibt gewiss, die Programme von ARD und ZDF seien inzwischen ein Mix der Quotenbringer Krimi, Sport und Quiz.

Doch was ist davon zu halten, dass der Vorabend von auswechselbaren Fragestunden über abstruse Fakten, die kein Mensch wissen muss, dominiert wird? Weshalb werden zugunsten einer Show mit übersichtlichem Unterhaltungswert, wenn sie überzieht, Nachrichten bis tief in die Nacht geschoben? Müssen immer öfter komplette Programmabende für keineswegs herausragende Fußballspiele geräumt werden, inklusive einer Stunde Aufwärmen und einer Stunde Ausbaden? Und dürfen darin Fifa, Uefa und DFB im Modus des social advertising kostenlos für sich werben, weil es sonst keine quotensichernden Fußballrechte mehr gibt?

Sonntag und Montag ist Krimiabend und man berühmt sich am Folgetag im Videotext in Form einer Meldung der Quoten. Neben dem Quiz herrscht am Vorabend „Soko“-Gedränge. Weitere Krimis werden in der Prime Time die Woche über platziert. Ist das noch verhältnismäßig? Muss man sich, wenn man nach Auszählung aller Quoten der Erste ist, dann auch noch, ohne rot zu werden, „Marktführer“ nennen? Der Führer welchen Marktes eigentlich?

Dies und mehr wäre zu reformieren. Die Vorarbeit dazu wäre eine kongeniale Reform der Ausbildung, die sich nicht damit abfindet, dass offenbar jede(r) im Zweifel alles kann. Hier kann der Rundfunk von großen Fußballklubs lernen. Der Journalismus ist nicht der letzte freie Begabungsberuf. Professionalität ist der Königsweg, der zum Vertrauen des Publikums führt, das höchste Gut in Zeiten des Netzes.

Niemand muss mit den privaten Wölfen heulen

Der Einwand, man müsse, leider, mit den privaten Wölfen heulen, man mache nicht Programm für niemand, verwechselt nicht nur eine unabweisbare Tatsache mit einer unwahrscheinlichen Möglichkeit. Er verkennt die Privilegierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch die Verfassung. Sie garantiert die Rundfunkfreiheit. Solange dieser Rundfunk die Würde des Menschen nicht verletzt, hat er fast alle Freiheiten, sogar gegenüber politischen Parteien. Er ist frei von der Sorge, politisch Unkorrektes zu senden. Er darf etwas riskieren. Es ist ihm erlaubt, im Hauptprogramm auch Minderheiten zu adressieren. Die Vorstellung, Programme ohne Unterhaltungsfaktor seien verschenkt, geht am Gründungszweck dieses Rundfunk voll vorbei. Die Programme müssen „nur“ jederzeit relevant und interessant sein.

Vor allem die Informationsprogramme. Sie gewährleisten nicht nur „eine journalistisch-redaktionelle Selbstbeobachtung der Gesellschaft im öffentlichen Interesse“ (so 50 Wissenschaftler in einem Brief an die Länder). Sie sichern auch die Zukunft, weil sie bringen, was andere, die Quote machen müssen, nicht haben können. Das Programm muss eine Darstellung der Wirklichkeit sein, nicht eine Selbstdarstellung derer, die sie vermitteln. Sollte man Talkshows zum Beispiel wirklich am besten nach den Eigennamen ihrer Gastgeber nennen?

Programm auf Höhe seiner Möglichkeiten?

Ein gutes Programm hat seinen Preis. Derzeit reicht das Geld. Doch es muss gewährleistet sein – das ist Aufgabe der Politik! – , dass es auch in Zukunft reicht. Am einfachsten wäre es mit einer Indexierung. Die Haushaltsabgabe ist nicht der „Brotpreis der Nation“, sondern der Preis, den die Bürger für einen Rundfunk bezahlen, der ihnen mit seinem Programm dient. Man kann die Annahme dieses Dienstes verweigern, etwa, indem man, wie es zur Zeit in der Schweiz diskutiert wird, die Gebühr per Volksentscheid und zum Entzücken der Medienmogule abschafft – und in eins damit den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Man kann so tun, als sei die Schließung dieses Rundfunks das Gleiche wie die Offenhaltung von Tegel. Um die Größe dieses Irrtums zu erkennen, muss man nur beobachten, wie labil die US-amerikanische Öffentlichkeit geworden ist, seit sie am Tropf einer total deregulierten Publizistik hängt. Dagegen helfen nur Professionalität, stabile Strukturen und – ein Programm, das sich, sicher finanziert, auf der Höhe seiner Möglichkeiten befindet.

Von dem alten Winzer wird erzählt, dass er am Ende seines Lebens seine Söhne um sich versammelt habe, um ihnen ein Geheimnis zu verraten. Man könne, so habe er geflüstert, Wein auch aus Trauben machen. Die Trauben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind sein Programm. Nur das ist sein Geheimnis. Man sollte es schon vor seinem Ableben lüften. Immer wieder.

Norbert Schneider war unter anderem Fernsehdirektor des Senders Freies Berlin und Direktor der Landesanstalt für Medien NRW in Düsseldorf.

Norbert Schneider

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