Erdogan und die Pressefreiheit: Auswärtiges Amt warnt vor "politischen Äußerungen" in der Türkei
Sollte die Türkei eine Liste mit unerwünschten Reportern führen, müsse diese offengelegt werden - so Martin Schulz. Die Grünen beantragten eine aktuelle Stunde.
Noch in dieser Woche könnte der Umgang des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit der Presse Thema im Bundestag werden. Die Grünen haben eine aktuelle Stunde zum "Umgang mit der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei" beantragt. Britta Haßelmann, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, sagte der "Bild-Zeitung" am Dienstag, der Fraktionsvorstand habe eine entsprechende Entscheidung getroffen, nachdem erneut ein Reporter an der türkischen Grenze abgewiesen worden war. „Die Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei werden immer weiter eingeschränkt. Jedes kritische Wort über den türkischen Präsidenten Erdogan kann zu Repressionen führen", so Haßelmann. Am Mittwoch oder Donnerstag könnte die aktuelle Stunde stattfinden.
Der Fotojournalist Giorgos Moutafis war nach eigenen Angaben nach seiner Landung in Istanbul am Samstagabend am Weiterflug gehindert und ausgewiesen worden. Als Begründung sagte man ihm demnach, er stehe auf einer Liste. Der Grieche Moutafis hatte 2014 den "Press Freedom Award" von Reporter ohne Grenzen verliehen bekommen. Er ist Freelancer und arbeitet unter anderem für den Spiegel, den britischen Guardian, Al Jazeera, CNN und BBC. Wie die "Bild-Zeitung" schreibt, war er wohl auch für diese Unterwegs - dem Blatt zufolge ist der Mann "Bild-Fotograf".
Journalisten aus der Türkei ausgewiesen
Mit ähnlichen Worten war bereits zuvor der ARD-Reporter Volker Schwenck in der Türkei abgewiesen worden. Auch ihm sei mitgeteilt worden, er stehe auf einer Liste. Eine weitere Begründung gaben die türkischen Behörden dazu anscheinend nicht. Der Fernsehkorrespondent wollte aus Kairo über Istanbul in das türkisch-syrische Grenzgebiet reisen. Dort hatte er Gespräche mit Flüchtlingen geplant. Martin Schäfer, Sprecher des Auswärtigen Amtes, hatte am 16. April 2016 in der Regierungspressekonferenz Stellung zu dem Fall bezogen. Es sei schwer zu beurteilen, wie es in dem Fall weitergehen werde, "...weil ja nicht die Bundesregierung durch das, was da bei der Einreise in die Türkei geschah, womöglich in ihren Rechten beeinträchtigt wurde, sondern der betroffene Journalist."
Er beziehungsweise seine Redaktion müssten entscheiden, in welcher Weise sie dagegen vorgehen wollen. Die "politische Sensibilität" des Falls dürfte allen Beteiligten klar sein. Der Botschafter habe bereits sehr früh Kontakt zur Gesprächspartnern der zuständigen türkischen Behörden gesucht und deutlich gemacht "...doch alles Mögliche zu tun, um die Arbeitsmöglichkeiten deutscher Journalisten in der Türkei aufrechtzuerhalten und so großzügig wie möglich auszulegen." Es sei nicht das erste Mal gewesen, dass man in diesen Fragen mit den türkischen Behörden Kontakt aufgenommen habe.
Auswärtiges Amt sieht kaum Handhabe in der Türkei
Viele Journalisten würden sich mit der Bitte um Hilfe an das Auswärtige Amt wenden "...und zwar in der Hoffnung, auf diese Art und Weise die Chance zu erhalten, ihr Arbeitsvisum in der Türkei verlängert zu bekommen. Aber es ist und bleibt die Entscheidung eines souveränen Staates ‑ in diesem Fall der Türkei ‑, wie sie in diesen Dingen operiert. Wir können uns leider ‑ ob man das will oder nicht ‑ nicht an deren Stelle setzen." Dass es eben Länder gebe, in den denen die Pressefreiheit anders als in Deutschland verstanden werde, sei ein Faktum, das man nicht ohne Weiteres ändern könne.
Auch der US-Journalist David Lepeska war an der Einreise in die Türkei gehindert worden. Von einer Liste spricht dieser bisher nicht. Bereits zuvor musste Spiegel-Korrespondent Hasnain Kazim die Türkei verlassen. Er hatte keine neue Presseakkreditierung mehr bekommen und arbeitet derzeit von Wien aus.
Sollte die Türkei tatsächlich eine Liste mit Namen von unerwünschten Journalisten führen, müsse diese offengelegt werden, sagte der EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) der "Bild-Zeitung". „Listen mit Journalistennamen haben in Demokratien nichts zu suchen", so Schulz, welcher die Politik von Erdogan bereits öfter kritisiert hatte. Zu Gast bei der Talkrunde "Anne Will" hatte er einmal gesagt, Erdogans "Unterdrückungspolitik" und die Entwicklung zum "autoritären Staat" seien hochgefährlich.
Sahra Wagenknecht gibt Merkel die Schuld
Auch die SPD-Abgeordnete Michelle Müntefering nannte die Einschränkung der Pressefreiheit in der Türkei "besorgniserregend". Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht sieht die Schuld bei Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Es liegt nahe, dass es einen Zusammenhang zwischen den Schwarzen Listen und Merkels Kotau gegenüber Erdogan gibt. Merkels Unterwerfung führt schlicht zu weiteren Attacken des Despoten Erdogan auf die Pressefreiheit", sagte sie der "Bild-Zeitung".
Das Auswärtige Amt sagte, keine Kenntnis von einer "Schwarzen Liste" der Türkei zu haben. Trotzdem schickte man auch hier eine Warnung an die Regierung in Ankara: „Die Bundesregierung erwartet, dass deutsche Journalisten in der Türkei ihrer Aufgabe ungehindert nachgehen können." Dem Amt sei nicht bekannt, auf welcher Grundlage Betroffenen eine Einreise in die Türkei verweigert worden ist. Mit betroffenen Deutschen stehe das Auswärtige Amt und die Auslandsvertretungen in der Türkei in engem Kontakt.
Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes
Der Deutsche Journalistenverband (DJV) verlangt von der Bundesregierung Aufklärung: Existieren solche "schwarzen Listen" in der Türkei? Frank Überall, Vorsitzender des DJV, verfasste einen offenen Brief, der dem Tagesspiegel vorliegt, an Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und dem Auswärtigen Amt. In den offiziellen Reisewarnungen zur Türkei heißt es auf der Website des Auswärtigen Amtes: "Es wird dringend davon abgeraten, in der Öffentlichkeit politische Äußerungen gegen den türkischen Staat zu machen bzw. Sympathie mit terroristischen Organisationen zu bekunden." Überall vom DJV schreibt in seinem Brief, dem Auswärtigen Amt dürfte klar sein, was Erdogan "alles als Äußerung gegen den Staat auslegt".
Überall fragt, inwieweit diese Warnung auch für "professionelle Äußerungen" von Journalisten gilt, die vor Ort über die Türkei berichten. Weiter schreibt Überall, einige "journalistische Kolleginnen und Kollegen, die über die Türkei berichten", würden befürchten, in Sommer nicht mit ihrer Familie in die Türkei fahren zu können. Und dies, obwohl Deutschland intensiv die "attraktiven Tourismusangebote der Türkei" bewerben würde. Die Pressestelle des Auswärtigen Amtes sagte dem Tagesspiegel am Dienstag, diese Reisewarnung mit der Warnung vor öffentlichen politischen Äußerungen wäre bereits im Jahre 2007 auf der Website des Amtes aufgenommen worden.
Zweck der Reisehinweise sei es, deutsche Reisende auf potenzielle Risiken aufmerksam zu machen. "Dazu gehört, darauf aufmerksam zu machen, dass in der Türkei kritische Meinungsäußerungen strafrechtliche Konsequenzen haben können. Da wir davon ausgehen, dass nicht jedem deutschen Türkeireisenden bewusst ist, dass in der Türkei für kritische Äußerungen gegenüber der Regierung oder Sympathiebekundungen für den Terrorismus zu teilweise erheblichen Strafen führen können, wurde der entsprechende Hinweis in Form einer Empfehlung aufgenommen."
Erdogan: "Das ist nicht euer Land, das ist die Türkei"
Auf einer "Karte zur Pressefreiheit Weltweit 2016" ist die Lage der Türkei als "schwierig" bezeichnet, auf einer Stufe mit Russland, Indien und Nigeria - in der Rangliste des Jahres 2015 Platz 149 von 180 Staaten. Seit Erdogans Amtsantritt als Präsident im Sommer 2014 sind in der Türkei rund 2000 Strafverfahren wegen mutmaßlicher Beleidigung des Staatsoberhauptes eingeleitet worden, schreibt die Nachrichtenagentur AFP. Die Tageszeitung "Zaman" steht unter Zwangsverwaltung. Mitte März hatte sich Erdogan dafür ausgesprochen, die Terrorismusdefinition im Strafrecht so zu erweitern, dass auch Journalisten, Akademiker und Abgeordnete verfolgt werden können. „Zwischen Terroristen, die Waffen und Bomben tragen, und jenen, die ihre Position, ihren Stift oder ihren Titel den Terroristen zur Verfügung stellen, damit diese an ihr Ziel gelangen, besteht überhaupt kein Unterschied“, sagte Erdogan nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur "Anadolu".
Am Montag ist der Chefredakteur der regierungskritischen türkischen Zeitung "Cumhuriyet" wegen Beleidigung von Erdogan zu einer Geldstrafe von 9000 Euro verurteilt worden. Can Dündar habe sowohl den Präsidenten als auch dessen Sohn Bilal und mehrere Minister in seinen Kolumnen beleidigt.
Keine Beschuldigten, sondern Zeugen
Dündar muss sich in einem weiteren Prozess unter anderem wegen Spionage, versuchtem Umsturz der Regierung und Unterstützung einer Terrororganisation verantworten. Hier drohen ihm und dem Korrespondenten Erdem Gül lebenslange Haft. Sie saßen bereits 92 Tage im Gefängnis, teilweise auch in Einzelhaft. Die beiden wurden Ende November festgenommen. Sie hatten Berichte über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an islamische Rebellen in Syrien veröffentlicht. Erdogan persönlich hatte Strafanzeige gestellt. Er und der türkische Geheimdienst MIT wurden als Nebenkläger zugelassen. Kurz vor Beginn des Prozesses wurden ein neuer Staatsanwalt berufen und vier neue Richter benannt. Der Nachrichtenagentur Reuters sagte Dündar: "Der Staat wurde bei einer Straftat erwischt und tut nun alles, um es zu vertuschen." Bei ihm und Gül handele es sich nicht um Beschuldigte, sondern um Zeugen.
Der Prozess hatte am Freitag begonnen. Mehrere ausländische Diplomaten beobachteten den Prozess, darunter auch der britische Generalkonsul und der deutsche Botschafter Martin Erdmann. Mit Erdmann war Erdogan bereits wegen dem Böhmermann-Schmähgedicht aneinander geraten. Insgesamt waren etwa 200 Besucher ins Gericht gekommen. In einer im Fernsehen übertragenen Rede sagte Erdogan zur Anwesenden ausländischer Diplomaten: "Diplomatie unterliegt einem gewissen Anstand und Umgangsformen. Das ist nicht euer Land. Das ist die Türkei." Künftig findet der Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dieses repressive Vorgehen der türkischen Regierung gegen oppositionelle Medien wird nicht nur von internationalen Journalistenverbänden kritisiert. Auch einige Autoren, darunter der Literatur-Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa, protestierten in einem Offenen Brief.
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