"Tatort" aus Leipzig: Auslöschung
Der „Tatort“ aus Leipzig lässt von einer mörderischen Familie nicht viel übrig. Auch nicht vom Interesse des Zuschauers. Wenn da nicht überragende Bösewichte wären.
Alle glücklichen Familien gleichen einander. Jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Art unglücklich. Das Tolstoi-Zitat aus „Anna Karenina“ und der neue „Tatort“ aus Leipzig. Heureka! Viel unglücklicher, viel zerstrittener, viel mörderischer als bei dieser Krimi-Familie geht es nicht. Der in seinem Schlafzimmer brutal ermordete Abfallunternehmer Harald Kosen hatte ein paar Feinde zu viel, und das in der nächsten Verwandtschaft. Seine eigene Tochter missbraucht, sie kann keine Kinder mehr bekommen, sein Schwiegersohn aus der Firma gejagt, die Tochter des Geschäftsfreundes totgefahren und diesen dann aus dem Unternehmen gedrängt, den Sohn Patrick misshandelt und geschlagen. Tochter Sofie (Natalia Rudziewicz) trauert mehr um den Wachhund, der vom Täter betäubt worden war und daran starb, als um ihren Vater. Es muss Autor und Regisseur Stefan Kornatz eine wahre Freude gewesen sein, sich so einen Unsympathen auszudenken.
Und für Bernhard Schütz, diesen Alten zu spielen. Grandios, wie der Volksbühnen-Star den jähzornigen Kotzbrocken gibt, mit runtergezogenen Mundwinkeln und kaltem Blick. Mit Stiefeltritten nach seinem Sohn Patrick, der sein ganzes Leben unter dem übermächtigen Vater gelitten hat, dadurch offenbar auf die schiefe Bahn geraten ist, der gleich in der ersten Szene mit einem Messer im Hals über die Straßen Leipzigs stakst und dann vor seinem Vater im Haus auf dem Boden liegt – einer der unheimlichsten Einstiege der jüngeren „Tatort“-Geschichte.
Eine rechte Freude für den Zuschauer ist das alles trotzdem nicht. Was auch an den Leipziger Ermittlern Eva Saalfeld (Simone Thomalla) und Andreas Keppler (Martin Wuttke) liegt, die hier bei den Ermittlungen rund um das Einfamilienhaus am Stadtrand ihre vorletzte „Tatort“-Runde drehen. Ex-Ehepartner und Berufskollegen – das knisternde Konzept des Mitteldeutschen Rundfunks für seine Kommissare war ja recht vielversprechend. Wie überzeugend die beiden sind? Gegenfrage: Was haben Komödie am Ku’damm und Volksbühne gemeinsam?
„Er wurde durch den Raum geprügelt, von da nach da.“
Saalfeld und Keppler haben nie zusammengepasst, tun es diesmal nicht und werden sicher auch in der finalen Leipziger „Tatort“-Folge im April nicht mehr warm miteinander werden. Danach soll ein rein weibliches Team in Dresden ermitteln.
Keppler muss Sätze sagen wie: „Er wurde durch den Raum geprügelt, von da nach da.“ Kollegin Saalfeld guckt betroffen. Und man denkt: Ja, Martin Wuttke, bitte in ein anderes Setting, am besten auch mal wieder an die Volksbühne mit Regisseur Frank Castorf und Dostojewski spielen. Stefan Kornatz, der 2012 mit „Es ist böse“ in Frankfurt eine der stärksten „Tatort“-Folgen inszeniert hat, gibt sich alle Mühe, die Mörderjagd durch alle möglichen Windungen einer schrecklichen Familiengeschichte zu ziehen. Dann sind da auch noch 200 000 Euro aus Kosens Safe verschwunden. Kornatz liefert einen soliden Whodunit-Krimi mit ein paar vordergründigen Thrill-Elementen ab. Kein Privatfirlefanz, der ablenkt. An die Geschichte einer wiederaufkommenden Liebe zwischen den beiden Ermittlern glaubt eh’ keiner mehr.
Nach Bernhard Schütz’ Abgang ist es Uwe Bohm, der das Ganze noch sehenswert macht, als Kosens Ex-Geschäftspartner Christian Scheidt, dessen Tochter bei einem Verkehrsunfall von Kosen getötet wurde. Scheidt hat das stärkste Motiv. Bohm ist ja im Fernsehen und Theater auf die schwierigen, oft fiesen Typen gebucht, tauchte erst am vergangenen Sonntag als verdächtiger Steuerflüchtling im „Tatort“ am Bodensee auf. Dies ist bereits sein neunter „Tatort“, Uwe Bohm dürfte nach den Kommissaren einer der meistbeschäftigten „Tatort“-Darsteller sein. Der Schauspieler hat mal gesagt, wenn im „Tatort“ der Mörder gesucht werde, denken die Zuschauer automatisch: „Das war der Bohm.“
Es dauert hier weitere Morde, bis die Ermittler der vollständigen Familienauslöschung zuvorkommen. Wer jetzt ein paar Euro darauf verwetten will, dass Scheidt/Bohm der Mörder war, kann das gerne tun.
„Tatort – Blutschuld“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15