Schlecker-Pleite: Alles muss raus
Die Komödie im privaten Programm war eine Annäherung an die Schlecker-Pleite, die öffentlich-rechtliche Produktion "Alles muss raus" ist eine Ableitung von Schlecker, Continental, Karst.
Jeder Vergleich hinkt. Weiß der Volksmund. Was der Volksmund aber nicht weiß: Auf welchem Bein hinkt der Vergleich? Also fangen wir erst gar nicht damit an, den Sat-1-Film „Die Schlikkerfrauen“ und den ZDF-Zweiteiler „Alles muss raus – Eine Familie rechnet ab“ miteinander zu vergleichen. Die Komödie im privaten Programm war eine Annäherung an die Schlecker-Pleite, die öffentlich-rechtliche Produktion am Montag und am Mittwoch im ZDF ist eine Ableitung von Schlecker, Continental, Karstadt, Quelle etc. pp.. 180 Minuten mit grundsätzlicher Fragestellung, ein gesellschaftlicher Aufriss über Mensch und Arbeitsmensch im Neoliberalismus, Drama und Dramulett mit dem weiten Horizont kapitalistischen Sonnenauf- und Sonnenuntergangs. „Die Schlikkerfrauen“ waren ein Späßchen in Berlin-Moabit, „Alles muss raus“ ist ein Zweiakter, der in Deutschland, verkleidet als „Faberland“, spielt.
Schlechter Handyempfang
Max Faber (Robert Atzorn) hat ein Drogerieimperium aufgebaut. Jetzt steht er im Wald, der Mann ist zur Jagd. Seine Bank muss ihn unbedingt erreichen, eine riskante Spekulation droht zum Millionendesaster zu werden. Ganz schlechter Handyempfang. Die Verluste galoppieren, aber Faber hatte befohlen, nur Big Boss Bescheidwisser dürfe kaufen oder verkaufen. 200 Millionen Euro gehen durch den Kamin. „Drogerie Faber – praktisch, billig und ganz nah“, den Slogan trällert Janine Krause (Josefine Preuß). Sie ist fix, kundennah, der Zukunft zugewandt, eine echte Polly Patent. Gleich wird sie Frank Landers (Florian Lukas) beim Gefängnis abholen, er kommt auf Bewährung raus. Es steht eine Entlassungsfeier an, bei Faber die Feier zum 70. Geburtstag. Beiden droht ein Schicksal: Er geht in die Pleite, sie in die Arbeitslosigkeit.
Um diese Figuren herum bauen sich zwei Kosmen auf. Fabers Tochter Kerstin (Lisa Martinek) lehnt sich gegen den Vater auf, will ihn aus dem Unternehmen drängen, der aber dagegenhält: „Man kann sagen, der Konzern bin ich.“ Fabers Frau Ingrid (Imogen Kogge) erträgt fast alles, aber ein zweites Kind will sie nach dem Sohn nicht auch noch verlieren. Janine Krause hat mit ihrem Frank richtig Stress. Der will das große Geld, den großen Deal, die große Liebe. Erst einmal spielt er Lotto, weswegen er mit seinem neuen Freund Lotto Karl (Armin Rohde) Janines Faber-Filiale überfällt. Maskiert und mit Erfolg, aber die sechs Richtigen kommen trotzdem nicht. Dafür kommt Landers Sozialarbeiter Micha (Stefan Rudolf) ins Spiel. Von wem ist Janine eigentlich schwanger?
Stück vom Glück
Menschen brauchen Geld, Menschen brauchen viel Geld, Menschen brauchen wenig Geld. Aber mehr als viel/wenig brauchen sie alle ein Stück vom Glück. Zuweilen ist es käuflich, meistens ist es das nicht. „Alles muss raus“ – ein Film von den Geldflüssen, von den Glücksströmungen, wie sie ineinander fließen. Das Momentum des Zweiteilers ist ein Memento: In jede Abrechnung muss alles rein. Also sucht Frank Lander, ein moderner Franz Biberkopf, seinen Weg aus dem ewigen Scheitern und zu Janine. Kerstin Faber hat da eine unerledigte Affäre mit Henry Bergmann (Benjamin Stadler); der Journalist eignet sich prächtig zum Verkaufen guter, neuer Nachrichten aus dem Kerstin-Faber-Land, und Janine Krause, die toughe, schwangere, nun wieder nicht gekündige Faber-Frau eignet sich zum Maskottchen des Neuanfangs.
Das Drehbuch von Kai Hafemeister entwirft und kartiert die zwei Welten von oben und von unten. Sie fügen sich, sie legen sich übereinander, sie reiben sich. Stellenweise, wenn die Liebe und die Liebeleien von Kerstin Faber und ihren Männern ins Spiel kommen, wird es falsch kuschelig, das Erklärstück zum Rührstück. Aber wirklich nur stellenweise. Und nur stellenweise bescheidet sich der Film mit Malen nach Zahlen: Wenn Gepflogenheiten und Gesetze von Markt und Börse thematisiert werden müssen. Das geht ruckizucki, eine große Jonglage mit Menschen und Mechanismen. Hat so viel Resonanzboden wie ein Kasperletheater. Aber selbst das mit Gewinn anzuschauen. Weil Könner agieren, vom Max Faber des Robert Atzorn bis zur Janine Krause der Josefine Preuß. Keine Plastinate, keine Thesenträger – blutvolle, glutvolle Menschen. Ein Ensemble, das bis in die Hotzenplotz-Figur des Armin Rohde Magnetismus entwickelt.
Lässig erzählte Story
Die Inszenierung von Dror Zahavi ist konstrastreich, was auch am bewussten Szenenbild von Gabriele Wolff liegt. Knallbunt bis zur Geschmacksverirrung sind die Lebensräume der Janines Krauses gehalten, gebleicht die Antik-und-Designer-Interieurs der Fabers. Zahavi erzählt die Story erstaunlich lässig , die Produktion atmet den Geist der Serienerzählungen made in USA, in seinem Gegenschnitt von Herrschern und Beherrschten, der stete Fluss von Aufstieg und Abstieg erinnert an die bedeutenden Fernsehstücke eines Dieter Wedel („Der Große Bellheim“) erinnert. Regisseur Zahavi und sein Autor Hafemeister wollen keine reale Pleite rekonstruieren, sie wollen vor Augen und Ohren bringen, was passiert, wenn eine Pleite in vieler Menschen Leben eingreift, wenn Ungleichheit fast alle gleich macht und doch jeder wieder nach Ungleichheit strebt. Vertragen sich Ökonomie und Ohnmacht und Omnipotenz? Moralverhandlung, Familiengeschichte, Sozialdrama, Sozialkomödie, so anspruchsvoll ist die Produktion. Wo die Szenen klug überlegt und die Szenerien fein ausgespachtelt sind, dass sich Perspektiven entfalten und Erzählräume öffnen können. „Alles muss raus“ ist Fernsehen, von dessen Reichtum der Zuschauer unmittelbar profitieren kann.
„Alles muss raus – Eine Familie rechnet ab“, ZDF, Montag und Mittwoch um 20 Uhr 15
Joachim Huber