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Wie schön: einfach nur verliebt sein.
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Männer, Frauen und Gefühle: Liebe kaputt? So ein Quatsch!

Wer Liebe mit sozialem Aufstieg verwechselt, der hat schlicht Angst. Ein Plädoyer für mehr innere Freiheit und weniger soziales Schubladendenken.

Die Liebe ist kaputt, heißt es. Sie funktioniert nicht mehr, springt nicht mehr an, lässt uns im Stich. Immer war sie da, jetzt ist sie futsch, wir sind lieblos geworden.

Zählt noch jemand mit, wie viele Zeitungs- und Magazinartikel in den vergangenen drei Jahren den Niedergang der Liebe beklagten? Mit Nina Pauers Schmerzensgesang über die „Schmerzensmänner“ fing es an, damals, in der „Zeit“, klang es noch, als seien bloß die Männer kaputt. Weich seien sie geworden, hieß es, allzu weich, der Mut zum Erobern sei ihnen abhandengekommen. Viele stimmten zu. Andere widersprachen, suchten den Fehler eher bei den Frauen, im Internet, beim Kapitalismus, der Gesellschaft, den Medien. Nur die Liebe, die hielten alle einstimmig für kaputt.

Schwierig, nach all dem Geschriebenen überhaupt noch nachzuvollziehen, worum es in der Debatte im Kern geht. Um veränderte Frauen- und Männerrollen, irgendwie. Um die Einsamkeit des Individualisten, die Virtualisierung sozialer Verhältnisse, die Vereinbarkeit von Beziehung und Beruf, um Erwartungshaltungen und ihre Abhängigkeit von Medienbildern. Um alles und nichts also. Aber immer um die Liebe.

Nina Pauer legte zuletzt noch einmal nach, sie fragte, warum „die junge Frau, erfolgreich, attraktiv und sozial vernetzt“, keinen Mann findet. Dass dem so ist, kann man Pauer glauben oder nicht glauben – Belege liefert sie keine, außer dem Verweis auf steigende Single-Zahlen in Großstädten, bei denen unklar bleibt, was genau sie über junge, erfolgreiche, attraktive und sozial vernetzte Frauen aussagen.

Sei’s drum – vielleicht sind in einer Debatte, die von Gefühlen handelt, gefühlte Befunde nicht fehl am Platz. Dass es einsame Single-Frauen gibt, „sogar mehr als je zuvor“, wie Pauer schreibt, bestätigten der Autorin jedenfalls hunderte mitfühlender Kommentatorinnen (und Kommentatoren), die im „Zeit“-Forum über die Ursachen der großen Liebeskrise spekulierten.

Der Tenor fiel dabei überraschend ähnlich aus wie eine Beobachtung, die Soziologen der Universität Bamberg vor fünf Jahren bei einer Untersuchung des Kontaktverhaltens auf Dating-Websites machten: dass nämlich „die Bildungshomophilie mit dem Niveau der eigenen Bildung stark zunimmt; dies zeigt sich gerade bei Frauen recht stark“. Anders ausgedrückt: Je gebildeter ein Mensch, desto ausgeprägter sein Wunsch, sich in einen ähnlich gebildeten Menschen zu verlieben – und zwar insbesondere bei Frauen, die laut Studie „eine deutliche Abneigung zeigen, sich bildungsmäßig ,abwärts‘ zu orientieren“.

Das Drama der modernen Frau wäre demnach ihr sozialer Aufstieg. Sie selbst verschiebt, indem sie gemeinsam mit anderen Frauen „nach oben“ drängt, die Zahlenverhältnisse des Geschlechterspiels zu ihren Ungunsten, und zwar gleich zweifach: „Über ihr“ gibt es immer weniger Bildungsspielraum, „unter ihr“ immer mehr abgedrängte Männer, die als potenzielle Partner ausscheiden. Sie „treffe einfach keine tauglichen Kandidaten mehr“, lässt Nina Pauer in ihrem Artikel die einsame Frau klagen.

Was den einen die Bildung ist, ist anderen der generelle Emanzipationsfortschritt der jungen Frau, die sich, so klingt es jedenfalls in vielen Leserinnenkommentaren, als reise-, abenteuer- und unternehmungslustiger empfindet als den gleichaltrigen Mann, als vielseitiger interessiert, bewusster ernährt, sportlich aktiver. Emotional und zwischenmenschlich ist sie ohnehin in Führung, das war sie ja immer, und dass der Mann im Unterschied zu ihr keine Anstalten macht, althergebrachte Defizite aufzuholen, ärgert sie besonders. Die Frau, so scheint es ihr, ist in Bewegung; der Mann steht still. Sie ist mehr, als sie je war; er bleibt, wer er immer gewesen ist. Statt einander nahezukommen, begegnen sich beide nur noch bei Überholmanövern mit festgelegten Rollen.

Was lässt sich zu diesen trostlosen Befunden Tröstendes finden?

Zum einen natürlich, dass sie nur den überschaubaren Mikrokosmos städtischer Büromenschen betreffen, der sich gerne mit dem Rest der Welt verwechselt.

Zum Zweiten, dass sie auch den städtischen Büromenschen nur so lange betreffen, wie sie ihn eben betreffen. Nina Pauer war, als sie das Unglück der Lieblosen beschrieb, vermutlich nicht verliebt, was sie aber jeden Moment sein könnte, vielleicht ist sie es schon. Und wie jeder Frischverliebte weiß, ist die Liebe ihr eigenes Gegengift: Ihre Anwesenheit kuriert den Schmerz, den ihre Abwesenheit verursacht.

Der dritte und wichtigste Trost folgt unmittelbar aus dem zweiten. Kein Verliebter kommt auf die Idee, sein Verliebtsein auf gesellschaftliche Umstände zurückzuführen – darauf kommen nur Nichtverliebte. Verlieben sich Nichtverliebte, führen sie ihr früheres Nichtverliebtsein ebenfalls nicht mehr auf die Gesellschaft zurück, sondern – zu Recht – auf das Fehlen des Menschen, in den sie sich verliebt haben. Wozu also vorher an Thesen verzweifeln, an die man nachher ziemlich sicher nicht mehr glauben wird?

Weil es vorher so verlockend ist. Alles kann man aus dem Zeitgeist heraus erklären, warum nicht auch die Liebe? Die es ja, wie man gelegentlich in Zeitungen liest, gar nicht immer gegeben hat – erst als literarische Erfindung des europäischen Bürgertums sei sie in die Welt getreten, heißt es dann da, während sie vorher eine reine Zweckgemeinschaft war. Das ist freilich grober feuilletonistischer Unfug: Kein Goethe musste Liebenden außerhalb Europas und der Bourgeoisie beibringen, was Frauen und Männer zueinander zieht – ganz zu schweigen von all den gleichgeschlechtlich Liebenden, deren Leidenschaft bis ins 19. Jahrhundert ohne jede literarische Beglaubigung auskam.

Von Bedarf, Quality Time und Commitment

Wie schön: einfach nur verliebt sein.
Wie schön: einfach nur verliebt sein.
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Nein, über Moden ist die Liebe erhaben. Wenn es sich trotzdem so anfühlt, als liebe jede Generation anders, dann wohl eher, weil jede Generation anders über die Liebe spricht. Zu Goethes Zeiten war die Liebessprache romantisch, bei den 68ern klang sie revolutionär, in den 90ern war ihr Sound entweder hedonistisch (Techno) oder apathisch (Grunge).

Und heute? Wird ein illusionsloses Machbarkeitsvokabular gepflegt, ganz wie in den Bürowelten, in denen sich die klugen jungen Städter beruflich bewegen. Da will man in Beziehungen „nicht investieren, wenn nichts zurückkommt“, da werden „Bedürfnisse kommuniziert“ (und zunehmend „Bedarfe“), da werden vom Partner „commitment“ und „quality time“ eingefordert. Überhaupt wird unheimlich viel „eingefordert“. Gerne sogar „aktiv eingefordert“.

Nüchtern betrachtet klingt das natürlich mehr nach Inkasso als nach Liebe. Und vielleicht liegt genau darin auch das Problem: Nicht die Liebe ist kaputt, sondern die Sprache.

Von ökonomischen Metaphern war auch der marxistisch inspirierte Liebesdiskurs der 70er Jahre durchsetzt, bloß war dessen Ziel die Kritik am Bestehenden, das Umkrempeln der Verhältnisse, die Revolte. Insofern klang die Liebessprache der 68er zwar reichlich dämlich, immerhin aber waren ihre Ziele romantisch, wie die Liebe selbst. Heute, wo das erotische Vokabular erneut aus Wirtschaftszusammenhängen geschöpft wird, dominiert dagegen die nervöse Pragmatikersprache der Generation Web 2.0, deren maximales Revolutionspathos sich auf die Hoffnung beschränkt, „die Welt zu einem besseren Ort zu machen“ – statt zum besten aller Orte, wie es die Liebe verspricht.

Logisch ergänzt wird diese Sprache durch all jene technologischen Ansätze, die Liebessuchenden im Internet eine Verbreiterung ihrer erotischen Optionen vorgaukeln – scheint nicht der Kandidatenmarkt mit jeder App exponentiell zu wachsen? Dabei schrumpft er in Wirklichkeit, und zwar dramatisch, weil Partnerportale nun einmal nach dem Ausschlussprinzip funktionieren: bitte nicht unter Hochschulstudium, nicht unter zwei Fremdsprachen, nicht unter drei Auslandsreisen im Jahr. Was junge Büromenschen betrifft, so schränken sie, siehe oben, ihre Auswahl bevorzugt auf andere Büromenschen ein. Und merken dabei gar nicht, dass sie im Grunde eher einen passenden Kollegen suchen als einen Geliebten.

Das große Missverständnis unserer Tage

Ist also möglicherweise das grundlegende, sprach- und technologiegesteuerte Missverständnis unserer Tage, dass in der Liebe ähnliche Hierarchie- und Erfolgskriterien gelten wie in der Arbeitswelt? Dass man nur mit einem Menschen glücklich werden kann, der im sozialen Koordinatensystem auf möglichst ähnlicher Position steht wie man selbst, beziehungsweise ein bisschen weiter oben, wie es sich Frauen offenbar wünschen?

Es wäre ein trauriger Befund. Denn die Liebe kennt, wenn es Liebe ist, kein „oben“ oder „unten“. Genauso wenig kennt sie, wenn es Liebe ist, ein „links“ oder „rechts“. Politisch ist sie nur in dem Sinne, dass Politik für sie nicht gilt, gesellschaftlich nur in dem Sinne, dass sie die Macht hat, gesellschaftliche Zwänge auszuhebeln. Gewiss, das sind Idealvorstellungen – aber es geht hier immerhin um die Liebe!

Ein bisschen mehr innere Freiheit, ein bisschen weniger zwanghaftes soziales Schubladendenken wären hilfreich – für die Liebesdebatte im Ganzen wie für den Liebessuchenden im Einzelnen. Liebe ist nicht eins plus eins, sondern zwei, ihr Kern ist die Verbindung von Unterschieden, nicht die Addition von Ähnlichkeiten. Von einem Partner, der in zentralen Punkten anders denkt als man selbst, der andere Lebensbereiche kennt, andere Erfahrungen gemacht hat und andere Schwerpunkte setzt, kann man unendlich viel lernen – unabhängig von allen formalen Bildungskategorien.

Gemeint ist damit ausdrücklich nicht jener dumme Rat, „mal seine Ansprüche ein bisschen runterzuschrauben“. Wo, wenn nicht in der Liebe, hätten hohe Ansprüche ihren Platz – nur die höchsten, bitte! Bloß sollte man in der Lage sein, selbst gewählte Ansprüche von fremdbestimmten zu unterscheiden, persönliche von gesellschaftlichen, eigene von fremden. Wer das nicht kann, macht sich und andere auf eine Weise unglücklich, vor der die White Stripes einmal mit folgender Liedzeile warnten: „You don’t know what love is – you just do as you’re told.“

Jens Mühling

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