Frauen & Männer: Die milden Kerle unter Druck
Der Mann von heute soll alles sein: Macho und Windelwechsler, gepflegt und doch uneitel, gefühlvoll, aber nicht zu emotional. Und das soll gehen? Viele Männer fühlen sich von den weiblichen Ansprüchen überfordert.
Und jetzt soll ich an allem schuld sein. Ich meinte es doch nur gut mit den beiden. Wer hätte gedacht, dass beim Date einer Frau mit einem Mann so viel schiefgehen kann?
Nina und Peter sind Freunde von mir. Beide in ihren Dreißigern, beide erfolgreich. Ninas Wohnung ist so geschmackvoll eingerichtet, dass man als Gast das Gefühl hat, das Einzige, was das Arrangement stört, sei die eigene Anwesenheit. Nina weiß, was sie will. Peter lebt in einer Altbauwohnung, deren schöne Dielen und Stuckdecken perfekt davon ablenken, dass sie so gut wie leer ist. Peters Priorität ist die Arbeit. Und das Beste: Beide sind Singles auf der Suche.
Deshalb hielt ich es für eine gute Idee, beide miteinander bekannt zu machen. Nina und Peter trafen sich schließlich tatsächlich zum Date. Als ich Nina am Tag danach sehe, ist sie aufgebracht: „Dieser Peter passt zu mir, hast du gesagt. Peter ist zielstrebig, sportlich und vielseitig interessiert, hast du gesagt.“
„Hab’ ich gesagt. Und?“
„Der war total verkrampft! Anfangs war er ja noch ganz locker. Aber mit der Zeit wurde er immer stiller, hielt sich am Bier fest, schielte ständig nach dem Ausgang. Wie unfreundlich!“
„Worüber habt Ihr denn geredet?“
„Ach, so Sachen halt. Was wir beruflich machen, ob wir gemeinsame Freunde haben. Zukunftspläne. Nix Wildes.“
Von der Herrentoilette aus rufe ich Peter an:
„Diese Nina hat doch nicht alle Latten am Zaun“, sagt er.
„Sie hat gestern Abend von Kindern geredet, die sie mal haben will. Wir saßen seit 43 Minuten beisammen – ich hab’ nachgeguckt.“
„Nina ist eine Singlefrau über 30, die denken an so was.“
„Ich will ja auch mal Kinder. Aber darf ich, bitte schön, vorher noch mein Bier austrinken? Außerdem ging es den ganzen Abend so weiter: Wo ich mich beruflich in fünf Jahren sehe. Wie das Verhältnis zu meinen Eltern ist. Ob ich Sport treibe. Wie beim Vorstellungsgespräch. Nur, dass ich kein Gehalt kriege, sondern vorweisen muss.“
Als ich vom Klo zurück zu Nina gehe, wird mir klar, was passiert ist. Lenny Kravitz hatte mich gewarnt. 2011 sagte er in einem Interview: „Frauen erwarten immer mehr. Wir sollen interessant sein, treu, liebevoll.“ Die meisten Männer würden dazu erzogen, nicht zu viel Gefühl zu zeigen, nicht zu sensibel zu sein. „Aber ohne den Willen zur Einfühlsamkeit geht bei den Frauen heutzutage nicht mehr viel“, erklärte Kravitz dem Magazin „In“. Er selbst verlange in einer Partnerschaft viel und sei bereit, sehr viel zu geben. „Du kannst keine riesigen Ansprüche haben und deinerseits ein unreifer Mistkerl sein.“ Die Richtige habe er aber noch nicht gefunden. „Meistens wache ich allein auf.“
Zur Erinnerung: Wir reden hier nicht von irgendeinem Lenny Kravitz, der in Schwedt halbtags Pudel frisiert. Sondern von Lenny „Rock-Pop-MultimillionärSexgott“ Kravitz. Wenn dieser Mann sich von weiblichen Ansprüchen überfordert fühlt, wie ergeht es dann normalen, emanzipierten Männern von heute? Unter welchem Druck stehen milde Kerle? Ihnen ist die Orientierung abhanden gekommen. Früher definierte vor allem beruflicher Erfolg den sozialen Wert eines Kerls. Der Mann als Ernährer. Und heute?
Der Mann, die Eier besitzende Wollmilchsau
Moderne Männer sollen beruflich erfolgreich sein, aber viel Zeit haben für Frau, Familie und Freunde. Sie sollen souverän und zielstrebig sein, zugleich gefühlvoll, aber bitte nicht so emotional. Sie sollen Risiken eingehen wie echte Kerle, aber auf ihre Gesundheit und Ernährung achten. Sie sollen Sport treiben und sich pflegen, aber bitte nicht eitel sein. Sie sollen im Haushalt helfen, Babys wickeln und Kindern Gutenachtgeschichten vorlesen. Und auf gar keinen Fall dürfen sie bei alledem irgendwie unmännlich wirken. Der Mann, die Eier besitzende Wollmilchsau.
Als Reaktion darauf setzen viel zu wenige Männer Prioritäten. Stattdessen versuchen sie, alle Ansprüche zugleich zu erfüllen. Sie sind mitverantwortlich für ihr Gefühl der Überforderung.
Die Frauenzeitschrift „Brigitte“ ließ 1977 deutsche Männer zwischen 20 und 50 Jahren interviewen. Die Hauptfrage: „Was erwartet Ihrer Meinung nach die Mehrzahl der Frauen heute von einem Mann?“ Um die damalige Mehrheitsmeinung zu verstehen, hilft es, einen alten Schlager vor sich hin zu summen. 1977 war nicht nur die Zeit des Terrors von RAF („Deutscher Herbst“) und John Travolta („Saturday Night Fever“). Es war auch das Jahr, in dem Johanna von Koczian einen Schlager mit dem Titel „Das bisschen Haushalt“ sang. Eine passiv-aggressive Hausfrau beklagt die Ignoranz ihres Gatten, der ihre Arbeit nicht wertschätzt: „Er muss zur Firma geh’n, tagein tagaus, sagt mein Mann. Die Frau Gemahlin ruht sich aus zu Haus, sagt mein Mann.“ Geschlechterdebatte à la ZDF-Hitparade.
1977 also, Helmut Kohl war noch ein aufstrebender Oppositionspolitiker, fielen die Antworten auf die Frage „Was erwartet Ihrer Meinung nach die Mehrzahl der Frauen heute von einem Mann?“ so aus: 86 Prozent der Männer stimmten der Anforderung zu, „dass er eine Familie versorgen kann“. Und immerhin 72 Prozent glaubten, Frauen erwarteten, „dass er Erfolg im Beruf hat“. Johanna von Koczians Lied war übrigens ein Hit.
Und heute? Youtube ersetzt die ZDF-Hitparade, und Helmut Kohl heißt Angela Merkel. Aber sonst? Dreieinhalb Jahrzehnte später, im Jahr 2011, hat das Magazin „Focus“ Männern dieselben Fragen stellen lassen wie einst die „Brigitte“.
Diesmal fanden 80 Prozent der befragten Männer, die Mehrheit der Frauen erwarte von einem Kerl, „dass er eine Familie versorgen kann“. Zwei Drittel gaben an, dass Frauen von einem Mann wollten, „dass er Erfolg im Beruf hat“ – in beiden Fällen sind das nur sechs Prozentpunkte weniger als eine Generation zuvor. Heute wie damals glauben Kerle, sie müssten sich ihre Selbstachtung – und den Respekt von Frauen – durch Erwerbsarbeit verdienen.
Gleichzeitig sind andere Ansprüche gewachsen. 1977 glaubten 53 Prozent der befragten Männer, Frauen wünschten, „dass er sie erobert, um sie wirbt“. Eine Generation später ist die klassische Machotour nicht out, im Gegenteil: Diesmal stimmten sogar 77 Prozent der Männer dieser Aussage zu. Die Autorin Nina Pauer beklagte sich vor einem Jahr in der „Zeit“ in einem viel diskutierten Beitrag über die „Schmerzensmänner“. Jungen Kerlen, schrieb sie, sei vor lauter Selbstreflexion die Fähigkeit abhanden gekommen, offensiv mit Frauen zu flirten. Die Angst, Frauen zu nahe zu treten, hemme Männer, und das mache sie „furchtbar unsexy“. Vielleicht ist Rainer Brüderle ja „Zeit“-Leser.
Es scheint für Männer keine Möglichkeit zu geben, alles richtig zu machen. Zugleich ist ihre Angst, etwas falsch zu machen, groß. Viele Frauen senden bei ihrer Partnersuche widersprüchliche Signale. Einerseits verlangen sie einen Partner auf Augenhöhe, der sie ernst nimmt. Andererseits folgen sie, Psychologen zufolge, bei der Beziehungssuche immer noch mehrheitlich einem alten Beuteschema: Sie wollen einen „statusüberlegenen Mann“, besser bekannt als „Versorger“. Einen Partner, der beruflich erfolgreicher ist und mehr Geld nach Hause bringt als sie. Wenn aber immer mehr Frauen immer besser qualifiziert sind und immer bessere Jobs haben, dann wird die Auswahl an statusüberlegenen Kerlen immer geringer. Die Suche nach dem perfekten Mann wird noch schwieriger.
Wozu brauchen Frauen noch den männlichen Silberrücken?
Wenn Frauen aber über einen selbst erworbenen, hohen sozialen Status verfügen, wozu brauchen sie dann noch den Silberrücken? Die Journalistin Alexandra Borchardt urteilte vor kurzem in der „Süddeutschen Zeitung“: „Wer zur Steigerung des Selbstwertgefühls einen Erfolgsmann braucht, sollte sich hinterher nicht beklagen, wenn der Mann dann selten daheim und bei den Kindern ist.“ Die Ansprüche von Frauen an Männer und das Bild der Männer von einem Mann – sie beeinflussen einander also. Leider lassen sich Problem und Lösung hier nicht so klar benennen wie im Werbespruch eines Berliner Getränkefachhandels: „Fassbierkummer? Notrufnummer“.
„Kann es eventuell sein“, frage ich Nina, während ich mich wieder setze, „kann es ganz eventuell sein, dass du Peter mit deinen Ansprüchen ein klein wenig überfahren hast?“
„Ach, was. Ich weiß halt, was ich will.“
„Du willst also einen Mann, der alles kann?“, frage ich.
„Na ja, was heißt schon ,alles’?“
„Gutes Aussehen?“ – „Klar.“ – „Manieren?“ – „Natürlich.“ – „Interessanter Job?“ – „Auf jeden Fall.“ – „Sportlich?“ – „Bin ich schließlich auch.“ – „Geld?“ – „Wär’ doch schön.“ – „Dann kenne ich deinen Traummann.“ – „Und der wäre?“ – „Batman.“
Nina guckt demonstrativ gelangweilt auf ihr Handy. Abbruch der diplomatischen Beziehungen.
„Im Ernst“, sage ich. „Ich kenne niemanden, der all deine Ansprüche erfüllt. Die Enttäuschung ist da programmiert. Schuld sind aber nicht nur die Kerle. In ihrer Weisheit hat die deutsche Sprache es längst erkannt: Wer ,ent-täuscht’ wird, hat sich zuvor selbst ,ge-täuscht’.“
„Aha. Und jetzt?“
„Akzeptier’, dass du nicht perfekt bist. Und erwarte nicht, dass dein möglicher Partner alles kann. Dann kannst du den Menschen lieben, der dich versteht und den du verstehst.“
„Geht’s auch ’ne Nummer kleiner?“
„Klar: Wie wäre es mit einem zweiten Date mit Peter? Natürlich nur, falls du ihn sympathisch fandest.“
„Okay, ich überleg’s mir.“ Nina steht auf und greift nach ihrer Tasche. „Aber ich hätte auch nichts gegen eine Affäre mit Batman.“
Als meine gute Freundin das Café verlässt, atme ich tief durch: Zum Glück hat sie mich nicht gefragt, wie bei mir die Dinge mit den Frauen laufen. Anderen Ratschläge zu erteilen, ist schließlich leichter, als sie selbst zu beherzigen.
Nina und Peter wünsche ich viel Glück, wirklich. Neulich habe ich nämlich dieses Interview mit dem Batman-Autor Grant Morrison gelesen. Und der sagt, Batman sei in Wahrheit „sehr, sehr schwul“.
Der Autor hat zum gleichen Thema ein Buch verfasst, das am 21. Februar erscheint: „Milde Kerle“ (Krüger-Verlag, 256 Seiten, 16,99 Euro).
Matthias Lohre
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