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Victor Eras ist Mitbegründer der Youtube Angel-Show "Ich gehangeln".
© Kai-Uwe Heinrich

Interview mit Victor Eras: „Können Fische schreien?“

Angeln ist eine Lektion in Demut, findet Youtuber Victor Eras. Ein Gespräch über Tierschutz, Berlins klare Gewässer und Gangster an der Rute.

Herr Eras, Millionen schauen Ihnen und Ihren Freunden auf dem Youtube-Kanal „Ich geh’ angeln“ beim Reisen und Fische fangen zu. Die Tonspur klingt dabei oft wie ein Porno, „Ahhhh … geil! Wie geil ist das denn? Er kommt! Er kommt!“. Was ist so geil am Angeln?

Das Gestöhne ist einfach die Anspannung, die sich in solchen Momenten entlädt. Du bist irgendwohin gereist, hast ein Schlauchboot aufgepumpt, hast dir einen Plan gemacht. Wenn dann so ein Barracuda den Köder von unten aus dem Wasser reißt wie ein Krokodil, zwei Meter in die Luft springt und dich ein Schwall Wasser trifft, da kommst du schon mal in Ekstase. Ich war gerade in Angola. Die Jack Crevalle dort werden 30 Kilo schwer und sind so stark, dass du eine halbe Stunde mit denen drillst, bevor du sie überhaupt ran kriegst. Aber die Videos sind natürlich so geschnitten, dass das alles sehr emotional rüberkommt. Wir sagen in Wirklichkeit nicht die ganze Zeit „Ey, Alter“. Wir verfügen auch noch über ein anderes Vokabular.

Was unterscheidet Angeln von der Jagd?

Du hast halt die ganze Zeit diese Spannung: Kommt da jetzt was? Beißt er? Du siehst ja nix. Es passiert alles unter Wasser. Ein Jäger beobachtet sein Reh, dann knallt er es ab. Es fällt tot um. Fertig. Wenn beim Angeln der Biss kommt, erschreckst du dich erst mal, wie wenn auf der Autobahn bei 180 plötzlich jemand vor dir ausschert. Das ist schon ein Adrenalinrausch.

Und den will man dann immer wieder?

Na ja, man stumpft natürlich ab. Wenn du noch klein bist, ist der Kick viel größer. Aber Angeln wird nie Alltag. Man kann sich permanent steigern. Es gibt immer ein neues Gewässer, immer eine neue Herausforderung, es gibt Hunderte Länder mit wieder Hunderten von Fischarten.

Die Band Scooter sang in „How much is the fish?“ die Zeilen „The chase is better than the catch“ – „Jagen ist besser als erlegen“. Stimmt das?

Ist tatsächlich so. Wenn du als Karpfenangler dein ganzes Gerät rausgebracht, deine Zelte aufgebaut hast, dann sitzt du da ein paar Stunden. Das ist ein bisschen wie Zelten mit Freunden am Wasser. Viele treffen sich ja sonst nur zum Saufen.

Tatsächlich sind 94 Prozent der Angler hierzulande Männer, eine der wenigen bekannten Anglerinnen tritt häufig im Bikini auf. Es gibt Anglerkalender mit nackten Frauen und Fischen. Wirkt reichlich aus der Zeit gefallen.

Stimmt schon. Anglerkalender mit nackten Männern habe ich nie gesehen. Und ich persönlich kenne auch keine richtige Anglerin. Vielleicht ist das das ursprüngliche Abenteuer, also dieser Jagdinstinkt, den viele Männer irgendwo noch haben.

Angeln galt Jahrzehnte als Rentnersport. Das hat sich deutlich gewandelt. Inzwischen ist die Anglerweste sogar clubtauglich.

Ich habe auch eine. Voll praktisch. Aber im Ernst: Ein Anglerverein ist tatsächlich wie eine Kleingartenanlage. Das muss man wollen. Durch Youtube haben sich viele junge Leute im Internet informiert und gesehen, dass Angeln nicht einfach nur rumsitzen sein muss, sondern auch Unterhaltung sein kann. Und über die sozialen Medien bekam man plötzlich Einblick in die Szenen in Japan und Amerika. Dort ist das ein richtiger Volkssport. Da gibt es eine Liga, da geht es um Millionen. Die Angler sehen aus wie Radprofis mit ihren bunten Hemden, wo tausend Sponsoren draufkleben. Als die Kinder hier das mitbekommen haben, sind die auch plötzlich so rumgerannt am Wasser, mit Trikots und Mützen von Angelfirmen. Für manche ist das sogar wichtiger als das Fische fangen selbst. Da gibt es so Hype-Biester, die sich Stiefel für 5000 Euro bestellen, nur um damit angeben zu können.

Die Rapper Sido, Marteria und Bushido sind bekennende Angler. Warum ist der Sport gerade in der Hip-Hop-Kultur so beliebt?

Das hat ja schon was Gangstermäßiges. Als Angler bist du auch ein Jäger, und im Hip-Hop ist eben wichtig, dass du der größte Macker bist. Das passt doch: Wer hat den dicksten Fisch, wer die längste Rute?

Die Angel ersetzt die Knarre?

Mit großen Fischen ist es schon ein One-on-one-Battle. Es sei denn, du fängst einen Marlin. Da wirst du einfach angeschnallt und bekommst eine Rute in die Hand gedrückt, wenn einer angebissen hat. Und weil der Fisch häufiger gewinnt als du, hat das auch sowas Episches.

Gleichzeitig zelebrieren Filme wie „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ Fliegenfischen als zengleiche Meditation. Wie passt das zusammen?

Die Fliegenfischer denken sowas natürlich gern. Und klar hat das was Besinnliches, wenn du den ganzen Tag auf dem Wasser stehst und wirfst und kurbelst und wirfst und kurbelst. Außerdem ist Angeln oft eine Lektion in Demut. Du kannst zweimal genau das Gleiche machen und einmal was fangen und einmal nicht. Manchmal ziehst du auch tagelang nichts aus dem Wasser.

Klingt frustrierend.

Das muss man akzeptieren, wenn man verloren hat. Ich bin jetzt fünf, sechs Tage unterwegs gewesen, um Lachs zu angeln. Also einen Fisch, der in einen Fluss reinzieht und im Prinzip gar nichts mehr frisst. Das heißt, du musst dem die Fliege direkt vors Maul halten, dass er überhaupt zubeißt. Ganz kompliziertes Ding. Und dann bezahlst du 100 Euro Gebühren am Tag, dafür, dass du nichts fängst. Aber ist vielleicht auch besser. Sonst wären die Gewässer irgendwann leer. Dank Youtube bekommen jedoch immer mehr Leute mit, dass man die Fische nicht unbedingt tot machen muss. Ist ja Quatsch, alles wegzuballern.

Auch Sie werfen die Fische häufig nach dem Fangen zurück. Tierschützer kritisieren das heftig als Quälerei. Sie wurden kürzlich angezeigt.

Tatsache ist doch: In Deutschland ist heute niemand mehr darauf angewiesen, Fisch oder Fleisch zu essen, um satt zu werden. Wenn man ein Entrecôte kauft, dann geht es ja auch nicht in erster Linie um Hunger, sondern um Geschmack. Also, Genuss zu empfinden, auf Kosten des Tieres, das dafür sterben musste. Ich frag mich nur, warum das mehr akzeptiert ist, als wenn man sagt, ich bin Sportangler, präsentiere mich gerne mit meinem Fang und freue mich über die Anerkennung.

„Fische fühlen Schmerzen nicht so wie wir Menschen“

One-on-one-Battle. Angeln ist eine Lektion in Demut, einen großen Fisch zu kriegen ist nicht einfach.
One-on-one-Battle. Angeln ist eine Lektion in Demut, einen großen Fisch zu kriegen ist nicht einfach.
© imago/Westend61

Das Gesetz sagt, dass man Tiere nicht „ohne vernünftigen Grund“ fangen darf. Spaß und Anerkennung gelten in der Regel nicht als vernünftiger Grund.

Klar, wenn man fragt, ob das moralisch 100 Prozent korrekt ist, kann die Antwort nur lauten: eindeutig nein. Aber ist es das, wenn wir mit dem Auto zum Bäcker fahren? Das findet der Eisbär in der Arktis wahrscheinlich auch nicht so dolle. Und was ist mit den Millionen Küken, die geschreddert werden, damit ein Ei zehn Cent günstiger ist? Geschieht ebenfalls alles aus niederen Beweggründen. Wenn ich eine Liste mache der schlimmsten moralischen Vergehen gegen die Tierwelt, dann steht Angeln so ungefähr auf Platz 150 000. Ich bin durchaus bereit zur kritischen Diskussion, doch das Problem ist dieser Drang nach moralischer Überlegenheit. Tierschutzorganisationen könnten alle Angler anzeigen, zeigen jedoch auch nur die an, bei denen es medienwirksam ist. Es geht denen um Spendengelder oder Selbstdarstellung.

Welche Rolle spielen Gedanken des Tierwohls, wenn man am Wasser steht?

Man hat natürlich gute Verdrängungsmechanismen entwickelt. Aber wir diskutieren unter uns drüber: Wie viel Leid fügen wir den Fischen wirklich zu?

Würden Sie noch angeln, wenn Fische schreien könnten?

Die Frage ist doch, ob sie überhaupt schreien würden.

Es gibt Studien wie die von der Universität Liverpool, die darauf hindeuten, dass Fische sehr wohl Schmerzen empfinden können.

Ja. Und es gibt Studien wie die von Robert Arlinghaus vom Leibniz-Institut, die sagen, dass Fische keine Großhirnrinde haben und Schmerzen nicht so fühlen wie wir Menschen. Das deckt sich auch mit meinen Erfahrungen. Einen gefangenen Barsch habe ich mal in den Kescher mit vielen kleinen Köderfischen gesetzt. Eine halbe Stunde später hatte der alle aufgefressen. Ich würde erwarten, dass ein Fisch, der leidet, sich nicht gemütlich 20 kleine Plötzen reinzieht. Und ein Hecht, den ich zurückgesetzt hatte, war zehn Minuten später wieder an der Angel. Der scheint beim ersten Mal kein Trauma fürs Leben abbekommen zu haben. Aber natürlich kann man Dinge optimieren.

Welche denn?

Zum Beispiel Widerhaken weglassen. Zander können, wenn man sie zu schnell aus zu großer Tiefe rauszieht, wie Taucher sterben. Deswegen sollte man im Winter, wenn sie tief stehen, auch nicht auf sie angeln. Und besonders die ältere Generation neigt beispielsweise häufiger noch dazu, Heringe in den Eimer zu schmeißen und da verrecken zu lassen.

Fühlen Angler kleinen Fischen gegenüber anders als großen?

Kleine Fische fängst du manchmal massenhaft. Da hat man schon das Gefühl, dass die ein bisschen dämlich sind. Und so ein großer Fisch, den kriegst du halt nicht so einfach. Da denkt man sich: Das ist hier der Chef im Wasser, der hat mehr erlebt, dem zollt man Respekt. Du wirst einen hundertjährigen Baum auch nicht einfach fällen, aber kleine Triebe, die gerade rauskommen, da tritt man drauf und sagt sich: Ist doch egal – auch wenn das natürlich eine fragwürdige Einstellung ist.

Warum thematisieren Sie tierethische Fragen nicht stärker in Ihren Videos?

Über das Thema Widerhaken habe ich in einer Sendung mal gesprochen. Wenn man wirklich etwas bewirken wollen würde, müsste man eine richtige Kampagne starten. Ich will aber eigentlich so wenig Politik in den Videos wie möglich. Mein Kanal wurde für Entertainment geboren. Durch „Ich geh’ angeln“ sind viele Jugendliche mit der Sache in Kontakt gekommen. Die sitzen nun nicht mehr zu Hause am Computer rum, sondern gehen raus in die Natur. Aber jetzt sind wir so erfolgreich, dass ich wohl nicht mehr drum herumkomme. Wie Spider-Mans Onkel gesagt hat: Aus großer Macht erwächst große Verantwortung.

150 000 Abonnenten haben Sie. Können Sie inzwischen davon leben?

Wir sind das reichweitenstärkste Medium für Angler in Europa. In Angelzeitungen kostet eine Din-A4-Seite Werbung ein paar Tausend Euro. Und die haben ein Zehntel von der Reichweite. Viele Unternehmen wollen weg von alten Medien. Wir sind also sehr gefragt, was Sponsoren angeht.

Das heißt: ja?

Ja.

Im Januar gab es ein Urteil, dass auch Blogger und Influencer deutlich zwischen Content und Werbung zu trennen haben. Müssten Sie in Ihren Videos jetzt eigentlich permanent „Dauerwerbesendung“ einblenden?
Das wäre wohl das Einfachste. Ich zeige am Anfang immer ein Banner mit den Sponsoren, die meine Arbeit unterstützen. Damit ist die Sache für mich erledigt. Ich kann nicht bei jedem Close-up auf mein Equipment „Werbung“ einblenden. Das macht mein Video kaputt. Dann müsste ich alles abkleben. Wenn man die Leute verarschen möchte, finde ich das nicht okay. Dass man aber jede Sekunde kennzeichnen muss? Ein bisschen Intelligenz muss man den Zuschauern schon lassen. Ein bisschen Mündigkeit.

Sie sagen, Ihr Ziel seien zehn Millionen Angler in Deutschland. Derzeit gibt es rund eine. Keine Angst, dass es bald zu voll wird am See?

Nö. Es passiert schon, dass ein Gewässer durch ein Video plötzlich überfrequentiert ist. Die Leute sehen: Da kann man was fangen, also fahr ich da auch mal hin. Aber meist ist man ja doch alleine. Es gibt noch genug Wasser, wo man angeln kann.

Ihr Tipp für Brandenburg?

In Brandenburg? Die Elbe!

Jetzt lachen Sie selbst.

Ja, weil die Elbe sehr, sehr lang ist. Die Leute wollen immer genau den einen Ort, wo sie hingehen und sofort was fangen. So funktioniert das aber nicht. Außerdem ist das bei Anglern ein wenig wie bei den Zauberkünstlern: Seine besten Tricks verrät man nicht.

Was ist mit den Fischen in Berlin?

Meine Tante hat mal für den Senat die Fische in der Stadt untersucht. Die waren alle essbar. Bei Aalen musst du aufpassen, wenn die in Regionen wie der Rummelsburger Bucht gefangen wurden oder im Teltow-Kanal. Da wird von abgeraten. Wegen des Quecksilbers. Aber es gibt hier sogar wieder Muscheln und Krebse. Für die Zander ist das Wasser in Berlin übrigens schon zu klar. Um die zu fangen, musst du jetzt nachts los, wenn es dunkel ist.

Und die essen Sie auch ohne Bedenken?

Klar. Besser als Fischstäbchen sind die allemal.

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