Das Comeback des Rosenkohls: Kluge Köpfchen
Rosenkohl wird entweder gehasst oder geliebt. Spitzenköche in aller Welt lernen ihn gerade wieder schätzen – am liebsten entblättert. Gesund ist er auch.
Die Nachricht war dem „Guardian“ kurz vor Weihnachten eine Überschrift wert: „Der Rosenkohl ist auferstanden aus der kulinarischen Wildnis“, hieß es im Magazin-Teil. Das Blatt belegte seine These mit rasanter Absatzsteigerung des traditionellen Wintergemüses. Ausgerechnet in Großbritannien.
Rosenkohlgegner werden nur selten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Eine Ausnahme gibt es: Commodore Wayne Keble, Herr über 390 Seeleute an Bord des britischen Kriegsschiffs HMS Bulwark, schaffte es 2009 eine Woche lang in die Schlagzeilen. Der Captain verbot auf Ihrer Majestäts Schiff während einer Mittelmeer-Mission die Zubereitung von Rosenkohl. Seine Erklärung: „Ich hasse ihn. Es ist ein Teufelsgemüse.“
Spekulationen wurden angestellt. Warum „Teufelsgemüse“? Von übermäßigen Blähungen infolge Kohlgenusses war die Rede, von den Ausdünstungen kochenden Kohls, den der Kapitän seit Kindertagen verabscheue und deshalb in seiner engen Kombüse nicht dulden werde. Lebensmittelchemiker schalteten sich ein und bestätigten, Rosenkohl enthalte Schwefelbestandteile, die beim Kochen frei würden. Und schließlich, warum wohl hatten Schiffe, die vor Madagaskar lagen, die Pest an Bord, wie es in einem bekannten Shanty heißt? Weil, so geht der Song weiter, in den Kesseln das Wasser faulte. Riecht faulendes Wasser nicht nach Schwefel, ist mithin des Teufels?
Der seltsame Befehl blieb für den Kapitän folgenlos. Die Marineführung versuchte zurückzurudern, wie es in diesem Fall wohl angemessen heißen muss. Gemeint war nur die Tafel des Kommandanten. Ein Crewmitglied beharrte jedoch gegenüber der Presse darauf, die Order hätte ausdrücklich allen gegolten. Trotzdem wurde der Gemütszustand des Kapitäns nie Gegenstand der Diskussion, vielleicht weil sich Keble auf so etwas wie den Common Sense im angloamerikanischen Raum stützen konnte. Ein paar Jahre zuvor hatte eine Meinungsumfrage ergeben, Rosenkohl zähle zu den unbeliebtesten Gemüsen Großbritanniens. In den USA kam 2008 eine Umfrage im Auftrag des Ketchup-Herstellers Heinz sogar zu dem Schluss, Rosenkohl sei am unbeliebtesten überhaupt. Einige der wenigen Ausnahmen damals: Prinz Charles, er gilt als Freund des Rosenkohls.
Inzwischen würde Kebles Gebaren wohl viel stärkere Proteste provozieren, ihn zumindest als hoffnungslos altmodisch diskreditieren. Die Wende zeichnete sich bereits 2011 ab, als das New Yorker „Forbes Magazine“, berühmt für seine Ranglisten, den Rosenkohl bei den Foodtrends des Jahres auf Platz fünf setzte und amerikanische Küchenchefs die Vielfalt der kleinen Röschen lobten.
Nun ist der Trend offensichtlich auch in Großbritannien angekommen, natürlich im Dezember. Denn der Rosenkohl ist ein Wintergemüse, das meist Mitte Oktober in den Handel kommt und Mitte Februar wieder verschwindet. In England ist er, allen Schmähungen zum Trotz, schon immer Beilage zum Festtagsbraten während der Weihnachtstage gewesen. Was nicht bedeutet, dass er auch gegessen wurde, vielleicht landete er bloß geduldet am Tellerrand.
Gwyneth Paltrow singt das Hohelied des Kohls
Der „Guardian“ konnte Zeugen benennen. Da sind zum einen die Verkaufsmanager der großen Handelsketten mit ihren Umsatzzahlen, 15 Prozent mehr als im Vorjahr. Da sind die Farmer, die 30 Prozent mehr anbauen als vor fünf Jahren. Da ist Gwyneth Paltrow, Hollywoodstar und Vegetarierin, die das Hohelied des Kohls singt. Und da ist Atul Kochhar, mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichneter Küchenchef in Londons Benares Restaurant, der traditionell eher schweren Kost des Landes unverdächtig. Kochhar lobt das Potenzial der kleinen Knollen und zerlegt sie in ihre Bestandteile, um die Blätter in Butter mit Kastanien zu braten.
Wie aber verhält es sich mit Deutschland? „Rosenkohl war nie weg“, sagt Holger Zurbrüggen. Der Küchenchef des Balthazar am Ku’damm, Tagesspiegel-Lesern als einer der vier Koch-Trick-Köche auf dieser Seite bekannt, ist freilich nicht ganz unparteiisch. Er stammt aus dem Münsterland, wo er inmitten von Feldern aufwuchs, auf denen auch Rosenkohl gedeiht. Wenn die Wildsaison im Oktober beginnt, fängt für ihn auch die Rosenkohlzeit an. Wenngleich Zurbrüggen das Gemüse nicht mehr so zubereitet, wie er es aus Kindertagen kennt.
Damals hätte man das – wie alles zu jener Zeit – ein wenig weicher gekocht. Obwohl der Kohl gerade mit längerer Kochzeit seinen charakteristischen Mief verbreitet, schätzte ihn der kleine Holger genau so, „schlotzig“ eben. Heute würde Rosenkohl bissfester serviert. Zurbrüggen favorisiert die losen Blätter und verarbeitet sie etwa in einer Art Quiche. Oder er brät in der Pfanne Speck und Zwiebeln an, tut die rohen Rosenkohlblätter dazu, löscht sie mit weißem Balsamico ab. Das muss à la Minute gehen, sonst verlieren die Blätter ihre Farbe und werden grau.
Doch auch Zurbrüggen kann nichts daran ändern, dass der Rosenkohl hierzulande mehr geduldet denn gemocht wird. Die Trendwende steht, wenn, dann noch bevor. 2013 wurde mit 300 Gramm pro Kopf und Jahr in Deutschland so wenig verzehrt wie ewig nicht. Tomaten brachten es dagegen auf 24,8 Kilo.
Der Rosenkohl hat mehr verdient, ragt aus der Pflanzenwelt heraus, schon weil er sich an bis zu 90 Zentimeter Trieben über alle anderen Kohlsorten erhebt. Er ist vergleichsweise jung, seine Züchtung ist erst seit 1587 schriftlich nachgewiesen, er kommt aus Belgien, weshalb die Briten Brussels sprouts sagen, die Franzosen chou de Bruxelles und die Polen kapusta warzywna brukselska.
An den Trieben sitzen seitwärts kluge Köpfchen. Die Biologin Monika Hilker von der FU Berlin fand heraus, dass Rosenkohl sich aktiv zur Wehr setzen kann, indem er im Falle einer Attacke um Hilfe ruft. Wir hören ihn nur nicht, weil er wie viele Pflanzen über Duftstoffe kommuniziert. Wenn der Rosenkohl den Klebstoff registriert, mit dem Parasiten Eier an ihm befestigen, lockt er Schlupfwespen an, die sich über die Brut hermachen, sie gewissermaßen aushöhlen.
Kinder hassen das Bittere am Rosenkohl
Ernährungsphysiologen heben hervor, dass 200 Gramm Rosenkohl mehr Ballaststoffe enthalten als 100 Gramm Vollkornbrot, mehr Vitamine als eine Apfelsine, die Tomate ist daneben ein wässriger Klops, kann nicht mithalten. Das Deutsche Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke weist ausdrücklich auf die schützende Funktion des Rosenkohls gegen Zellschäden hin.
Aber gesundheitliche Aspekte haben noch nie die Geschmacksnerven stimuliert. Tatsächlich erweist sich die verhaltene Bitterkeit des Rosenkohls gerade bei Kindern als Akzeptanzbremse, die vielleicht ein Leben lang hält. Die Agrarindustrie weiß das, der niederländische Saatgutriese Sygenta forscht schon länger an Rosenkohl, dem sie die Senfölglycoside, nein, nicht austreiben, sondern verändern wollen, auf dass der Kohl nicht mehr stinkt und süßer schmeckt.
Traditionalisten kontern, man müsse den Rosenkohl eben nach dem ersten Frost ernten, ebenso wie den Grünkohl, dann würde er Zucker bilden. Einfrieren in der Tiefkühltruhe nutzt nichts, der Rosenkohl muss schon noch leben. Wissenschaftlich ist die Frosttheorie kaum haltbar, allein, ein paar kühle Tage sind schon hilfreich.
Kolja Kleeberg, Küchenchef in Berlins Vau, ist das egal. Er will keinen umgezüchteten Rosenkohl, ist eh schon alles viel zu süß, sagt er, lieber die Bitterkeit kultivieren. Kleeberg mag Rosenkohl so, wie er ist, diese knautschige, knurpsige Konsistenz. Die Akzeptanzgrenze läuft bei ihm gewissermaßen quer durch die Familie: Seine Lebensgefährtin esse wirklich alles, nur keinen Rosenkohl.
Doch Kleeberg hat einen Plan, wie er sie gewinnen will, mit seinem favorisierten, italienisch anmutenden Rezept: Man zupfe die Röschen zu einzelnen Blättern, denn wenn die Röschen heil bleiben, lassen die übereinandergeschichteten Blätter nicht viele Aromen hinein. Die rohen Blätter schwenkt er mit eingeweichten Rosinen und Pinienkernen an, nur ganz kurz, die Süße der Rosinen, das Herbe der Pinienkerne, das Aroma des Rosenkohls, dazu vielleicht einen Wolfsbarsch. Wer soll da widerstehen?
Andreas Austilat
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