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Topmanagerin Margret Suckale: „Karrierefrau – das ist negativ belegt“

Angst ist ein schlechter Ratgeber, Margret Suckale denkt lieber in Optionen.Von Schulnoten, Macht und Netzwerken. Ein Gespräch zum heutigen Weltfrauentag

Frau Suckale, können Sie etwas mit dem Wort Feminismus anfangen?

Wenig, so wirklich zeitgemäß ist das nicht mehr.

Deutschlands Vorstände und Aufsichtsräte sind Männerdomänen. Das ist auch nicht zeitgemäß.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich begrüße Vielfalt in Unternehmen, und zwar auf allen Ebenen. Darunter fällt nicht nur Gender, sondern dazu gehören auch verschiedene Altersgruppen, Nationalitäten, Ausbildungen und Biografien. Ich habe damals bei der BASF ein Programm angestoßen, das sogenannte Twinning, in dem wir Mitarbeiter in ungleichen Paaren zusammenbringen: zum Beispiel Mann – Frau. Deutsch – Nicht-Deutsch. Ingenieur – Geisteswissenschaftler. Beide beraten sich gegenseitig. Der unterschiedliche Blickwinkel ist enorm bereichernd. Mein Twinning-Partner war ein junger Amerikaner.
Was konnte der Ihnen beibringen?

Er hat mir ein sehr gutes Bild seiner Lebens- und Arbeitswelt vermittelt. Wie denken junge Kollegen? Was beschäftigt seine Generation? Und er hat mir die sozialen Medien nähergebracht.

Sie sagten mal, die Bezeichnung „Karrierefrau“ gefalle Ihnen nicht.

Karrierefrau, Rabenmutter – diese Begriffe sind in Deutschland negativ belegt. Damit schaffen wir nicht die Kultur, die wir dringend brauchen, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen.

Aber der Begriff „Karriere“ gefällt Ihnen schon.

Wie er im Englischen verwendet wird: Dort bedeutet „career“ schlicht Berufsweg. Eine Karriere in dem Sinne wollte ich immer haben …

… und im deutschen Wortsinn?

Es ist wichtig, sich immer weiterzuentwickeln. Das kann man im Beruf, aber auch in vielen anderen Bereichen des Lebens. Ich habe großen Respekt vor Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren.
Außerhalb von Wirtschaftskreisen sind Sie durch den Lokführerstreik vor sieben Jahren bekannt geworden, der ähnlich hart geführt wurde wie der laufende Tarifkonflikt. Als Personalvorstand führten Sie seinerzeit die Verhandlungen für die Deutsche Bahn. Haben Sie sich durch den Streik weiterentwickelt?
Auf jeden Fall. Damals habe ich gelernt, für meine Überzeugung einzustehen. Auch bei Gegenwind.
Was meinen Sie mit Überzeugungen? Bei Tarifkonflikten geht es doch um Geld.
Ich war überzeugt davon, dass der Grundsatz „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“ als Garant für Betriebsfrieden und Stabilität in Deutschland erhalten bleiben muss. Es kann nicht sein, dass kleine Gewerkschaften einen ganzen Betrieb lahmlegen.
Sie standen unter Druck, neue Streiks abzuwenden, denn eine Lokführergewerkschaft kann sogar ein ganzes Land lahmlegen. Manager sind in ihrer exponierten Stellung angreifbar. Kennen Sie Ängste?
Natürlich mache ich mir Sorgen um verschiedene Dinge. Aber ich habe von einem guten Coach gelernt, in Optionen zu denken. Dann erkennt man meist, dass es nicht nur einen Weg gibt, sondern immer Alternativen.

Ein ehemaliger Vorstandschef eines Telekommunikationsunternehmens berichtete, dass er nachts mitunter aufwache und alle Probleme türmten sich vor ihm auf. Er bete dann.
Das berühmte Rädchen im Kopf. Das kennt wohl jeder. Was tagsüber nicht zu Ende gedacht werden konnte, kommt nachts unweigerlich wieder. Autogenes Training ist für mich eine gute Möglichkeit, damit umzugehen. Das habe ich schon im Studium gelernt, und es hat auch bei Prüfungsangst funktioniert.
Sie haben Jura studiert. Wie kamen Sie in die Wirtschaft?
Zunächst wollte ich Richterin werden, gerne mit einem Schwerpunkt im Handels- und Gesellschaftsrecht. Um mir ein besseres Bild machen zu können, wie es in der Wirtschaft zugeht, bin ich zu Mobil Oil gegangen. Und dann hat es mir so gut gefallen, dass ich in der Wirtschaft geblieben bin.
Was treibt Sie an: Ehrgeiz?
Eigentlich gar nicht. Ich bin auch nicht so erzogen worden. Hätte ich einen Lehrberuf ergriffen, hätten meine Eltern das völlig in Ordnung gefunden.

"Schulnoten waren für meine Berufwahl nicht entscheidend"

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Margret Suckale, Vorstandsmitglied beim Chemiekonzern BASF
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Kommt man tatsächlich so weit wie Sie ohne eine gehörige Portion Ehrgeiz?
Den Ehrgeiz muss man an der richtigen Stelle entwickeln. Bei meinen Schulnoten wäre sicher mehr drin gewesen, aber das war für meine Berufswahl nicht entscheidend. Anders war es im Studium. Um Richter zu werden, brauchte man die besten Noten. Daher habe ich mich dann auch erfolgreich engagiert.
Wenn man eine Position hat wie Sie, wird man von vielen Menschen strategisch behandelt.
Das hat es bestimmt schon gegeben, aber ganz ehrlich, das erlebe ich bei der BASF nicht. Hierarchieebenen spielen keine große Rolle. Wenn Sie hier eine Gruppe von Mitarbeitern treffen, würden Sie es vermutlich nicht merken, wer auf welcher Ebene steht.
Sie haben Macht über andere.
Einfluss und eine große Verantwortung. Gerade junge Leute fragen mich oft um Rat. Sie schätzen Lebenserfahrung, wenn sie nicht mit dem erhobenen Zeigefinger daherkommt.
Haben Sie eine Antenne für Schleimer?
Natürlich, das merkt man schnell. Aber in der Pfalz redet man nicht drum herum. Einige Menschen fragen mich sogar ganz offen: Ist es überhaupt der richtige Weg, sich so in einen Beruf reinzuhängen?
Was ist Ihre Antwort?
Wir haben hier eine hohe Zufriedenheit der Manager mit ihren Positionen. Wenn man von einer Aufgabe erfüllt ist, hat man viel Energie und kann Dinge bewegen.
Sie finden, für Sie persönlich hat es sich gelohnt, das Leben der Arbeit unterzuordnen.
Ich mache diese Unterscheidung nicht, und oft lässt es sich ja gar nicht trennen. Ein Beispiel: Wir haben einen Willkommensklub gegründet. Eine Anlaufstelle und ein Netzwerk für ausländische Mitarbeiter in Unternehmen der Rhein-Neckar-Region. Ist so ein Treffen jetzt Arbeit oder Privatleben? Ich war selbst lange im Ausland und habe erlebt, wie einsam man sein kann.
Sie sind hier in Ludwigshafen Mitglied in zahlreichen Netzwerken, auch in Frauennetzwerken.
Als mich die Kolleginnen gefragt haben, ob ich Schirmherrin des BASF-Netzwerkes „Women in Business“ werden wolle, habe ich das gerne getan. Ich rate Frauen aber immer, auch in gemischte Netzwerke zu gehen. Meine besten Kontakte, ja sogar viele Freundschaften, habe ich bei den Baden-Badener Unternehmergesprächen gefunden.
Unternehmertum fasziniert Sie.
Ja, und gerade das fasziniert mich auch an dem Baden-Badener Netzwerk. Dort trifft man Familienunternehmer oder andere, die sich nach einer Karriere im Großunternehmen mit einer Idee selbstständig gemacht haben. Das finde ich großartig.

Sie haben es als erste Frau in die Vorstandsetagen zweier deutscher Konzerne geschafft: der Bahn und der BASF. Die Facebook-Managerin Sheryl Sandberg sagt, dass Erfolg Männern und Frauen anders anstünde. Männer würden durch Erfolg sexy, Frauen unbeliebt. Ist das auch Ihre Erfahrung?
Bei allem Respekt vor Frau Sandberg, aber das ist mir dann doch zu viel Klischee. Es kommt darauf an, wie jemand mit seinem Erfolg umgeht. Wenn Leute dadurch selbstherrlich und arrogant werden, sind sie unbeliebt. Das gilt für Frauen wie für Männer.
Sie selbst sagten mal: Autoritären Führungsstil würde man Frauen weniger verzeihen.
Mit einem autoritären Führungsstil wird weder ein Mann noch eine Frau langfristig durchkommen. Wir haben sehr gut ausgebildete Leute, die lassen sich nur durch Sachverstand, nicht durch Autorität beeindrucken.
Gibt es Ihrer Ansicht nach Unterschiede zwischen Männern und Frauen?
Man sagt ja, dass sich die Extreme innerhalb einer Gruppe mehr unterscheiden als der Durchschnitt zweier Gruppen. Das gilt auch für Frauen und Männer in Führungspositionen. Und was die Ansprüche an die Arbeit angeht, habe ich festgestellt, dass Männern die Work-Life-Balance viel wichtiger geworden ist als früher.
Ist die Debatte um die Work-Life-Balance in den Vorstandsetagen angekommen?
Mein Eindruck ist, dass Manager heute etwas achtsamer mit sich umgehen. Denn auf Dauer kann man nur eine gute Leistung bringen, wenn man Nischen hat, um aufzutanken. Manager, die sich ausschließlich über Arbeit und wenig Schlaf definieren, sind für mich persönlich keine Vorbilder.
Als Ausgleich zur aufreibenden Arbeit geht die Vorstandschefin von Yahoo, Marissa Meyer, einmal im Jahr zum Burning Man Festival, einem fast kultischen Happening in der amerikanischen Wüste. Wie reagieren Sie sich ab?
Da fällt mir viel ein, aber das klingt natürlich nicht halb so cool: Ich laufe gern Schlittschuh, im Sommer gehe ich walken und neuerdings bin ich Mitglied im Ruderklub. Im letzten Winter bin ich zum ersten Mal den Engadiner Skimarathon in voller Distanz mitgelaufen.

"Wenn die Kinder groß sind, haben Frauen nicht mehr so viele Chancen"

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Margret Suckale, Vorstandsmitglied beim Chemiekonzern BASF
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Wenn sich Frauen und Männer im Arbeitsleben wenig unterscheiden – warum tun sich Frauen in der Wirtschaft immer noch so viel schwerer als Männer? Es sitzen sogar weniger Frauen in deutschen Vorständen als noch vor zwei Jahren.
In der BASF-Gruppe liegt der Anteil von Frauen in Führungspositionen inzwischen bei 19,1 Prozent. Wenn man berücksichtigt, dass nur 24 Prozent der Mitarbeiter bei uns Frauen sind, ist das gar nicht so schlecht. Das ist mein Hauptkritikpunkt an einer Quote: Sie unterscheidet nicht zwischen den verschiedenen Branchen. Wir setzen anderswo an: Mit vielen anderen Unternehmen haben wir zum Beispiel die Wissensfabrik gegründet, die junge Menschen für Naturwissenschaften und Technik begeistern möchte.
Sie sorgen sich um Ihre Fachkräfte.
Die demografische Entwicklung betrifft uns natürlich genau wie alle anderen. Aber das hat Vorteile für Mädchen wie Jungen, weil wir unsere Berufe immer attraktiver machen. Außerdem versuchen wir, Frauen und Männer darin zu unterstützen, Familie und Beruf zu vereinbaren. Die meisten Frauen meiner Generation haben aufgehört zu arbeiten, wenn die Kinder kamen. Nach 20 Jahren, wenn die Kinder groß sind, haben die Frauen auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr so viele Chancen.
Heute nehmen Frauen häufig Teilzeitstellen an, wenn Kinder kommen – und sind damit auch raus aus den Zirkeln, in denen Karriere gemacht wird.
Das haben wir mit LuMit gut gelöst, unserem Ludwigshafener Mitarbeiter-Zentrum für Work Life Management, in das auch eine Kita integriert ist. Die Kinder werden ab einem Alter von sechs Monaten ausgezeichnet betreut. Aber auch die Pflege von älteren Angehörigen ist ein wichtiges Thema. Über unsere Sozial- und Pflegeberatung LuCare bieten wir hier sehr gute Unterstützung an.
Auch wenn es praktisch möglich ist: Kleinstkinder während eines ganzen Arbeitstages betreuen zu lassen, ist für manche einfach zu viel.
Ich kenne viele Mütter, die in Vollzeit berufstätig sind, teilweise sogar alleinerziehend, und ich kann bei den Kindern keinerlei Defizite feststellen. Ganz im Gegenteil: Das sind fröhliche Kinder geworden, sehr selbstständig und selbstbewusst. Aber die Entscheidung muss natürlich jeder für sich treffen.
War Ihre Mutter Vollzeit berufstätig?
Meine Mutter war Vollzeit-Hausfrau, und trotzdem war ich schon sehr früh in einem Kindergarten, teilweise auch ganztags. Als Einzelkind hatte ich dort mehr Spielkameraden, das war für meine Mutter wichtiger, als mich zu Hause zu behalten.
War es mal eine Option für Sie, Hausfrau zu werden wie Ihre Mutter?
Ich hatte mir immer gewünscht, eine Aufgabe zu finden, die mir eine Teilzeitmöglichkeit geben würde. Die Auswahl war damals nicht groß. Eigentlich bot nur der Staat Teilzeitmöglichkeiten an.
Manager wie Sie werden in unterschiedlichste Branchen verpflanzt. Was macht Sie so universell, dass Sie einerseits für ein Eisenbahnnetz verantwortlich sein können, andererseits für Chemieprodukte?
In eine andere Branche einzusteigen, ist immer mit einem großen Risiko verbunden. Darüber muss man sich klar sein. Aber viele Dinge sind in Großunternehmen auch vergleichbar. Außerdem bin ich sehr viel in unseren Betrieben unterwegs, besuche die Kollegen und informiere mich über ihre Arbeit und die Produkte, die dort hergestellt werden.
Mit welchen Kompetenzen kamen Sie schon bei der BASF an?
Begeisterungsfähigkeit, Neugierde und Lernbereitschaft.
Das ist alles?
Nicht alles, aber schon sehr viel.
Dann könnte ich, wenn ich ein wenig begeisterungsfähiger wäre, zu Ihnen in den Vorstand?
Im Nachhinein glaube ich, dass es sehr gut war, dass ich nicht gleich in den Vorstand gekommen bin, sondern fast zwei Jahre die Abteilung für Obere Führungskräfte geleitet habe. Sie haben natürlich recht: Allein die Begeisterung reicht nicht aus. Man muss das Unternehmen auch gut kennen.

Haben Sie das Ziel, Deutschlands erste Konzernchefin zu werden?
Nein, mit meiner jetzigen Aufgabe bin ich sehr glücklich geworden, und sie wird mich die nächsten Jahre noch voll in Anspruch nehmen.
Sie sind 58 Jahre alt und gewissermaßen bereits im Vorruhestandsalter.
Solange meine Gesundheit mitmacht, werde ich etwas tun. Das können durchaus auch ehrenamtliche Tätigkeiten sein. Ich glaube, dass man nach so vielen Jahren im Beruf einiges beitragen kann, zumal ich ja auch heute schon einige ehrenamtliche Aufgaben habe.
Sie denken sehr konkret über Ihren Ruhestand nach. Früher war das Idealbild von der Rentnerzeit, als rüstiges Rentnerpaar auf Reisen zu gehen. Heute wollen sich Pensionierte lieber weiter nützlich machen.
Das beste Anti-Aging ist Engagement. Das hat sich mittlerweile rumgesprochen.

Barbara Nolte

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