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Englischer Garten. Dank des subtropischen Klimas auf den Scilly Islands wachsen im Abbey Garden auf Tresco Palmen.
© Visit England/Tresco Abbey Garden

Großbritannien: Karibische Gefühle vor der Küste Cornwalls

Die Scilly-Inseln haben alles, was England nicht hat: Palmen, gutes Essen und stabiles Wetter.

In Judith Schalanskys „Atlas der abgelegenen Inseln“ haben sie es nicht geschafft. Dafür sind sie nicht abgelegen genug und zu zivilisiert. Aber wer kennt sie schon? „Die Scilly-Inseln“, schreibt Virginia Woolf, „sahen aus wie fast im Meer versunkene Berggipfel.“ Und sie „konnten durchaus von einer darüber hinfegenden Sturzsee verschlungen werden“. Es braucht allerdings nur eine ordentliche Nebelbank, und der Flugverkehr mit dem Skybus zwischen dem Inselflughafen auf St. Mary’s und Newquay oder Exeter auf dem britischen Festland fällt flach. Dann heißt es, das Schiff nehmen, das in Penzance ablegt, um in die subtropische Welt der Scillys zu gelangen, 45 Kilometer südwestwärts, drei Stunden Überfahrt.

Ja doch, wir sind noch in Europa, in Großbritannien. Oder vielleicht sind wir auch in einer schöneren Welt, wo Palmen wachsen und der frisch gefangene Hummer zum Lunch besser schmeckt als irgendwo sonst. Bei der Ankunft in St. Mary’s, im Mermaid’s Inn am Hafen, folgt die erste Lektion in Lokalstolz und Länderkunde. Die Isles of Scilly haben weder mit der Grafschaft Cornwall, der sie administrativ zugeordnet sind, noch mit England, zu dem sie gehören, viel zu schaffen. Scilly bleibt Scilly. Mit eigenem Rhythmus.

Sonntagmorgen in Hugh Town, im Bookshop der Hauptinsel St. Mary’s: Die Sunday Papers treffen erst am Monday ein. So ist das hier. Keine Zeitung, aber Zeit. 140 Inseln zählen zu den Scillys, nur sechs des kleinen Archipels im Golfstrom sind bewohnt, es leben dort rund 2200 Menschen. Wegen der warmen Meeresströmungen gibt es ein mildes Klima ohne Frost im Winter und mit viel Sonne im Sommer. Die Temperaturen liegen im Durchschnitt etwas höher als in London (um die 12 Grad), und sie schwanken kaum.

Das Paradies liegt in gefährlichen Breiten

Der Besucher fühlt sich sogleich angenehm desorientiert. Karibische Gefühle kommen auf, obwohl es dafür zu kühl ist und zu regnerisch. Das starke Grün erinnert an die Azoren, die Stille an Hiddensee. Virginia Woolf dachte beim Anblick dieser unwahrscheinlichen Felsen im Atlantik an die Küsten von Griechenland und Italien. Auch die Römer waren hier, später die Wikinger. Wäre es möglich, dass Atlantis doch nicht versunken ist und unter dem Namen Scilly weiter existiert?

Britischer Stil. Das altehrwürdige Cromwell’s Castle wacht über die Küste.
Britischer Stil. Das altehrwürdige Cromwell’s Castle wacht über die Küste.
© imago/Bluegreen Pictures

Felsen wie Hünengräber liegen im Meer, von Riesenhänden geworfen. Da sitzen Seehunde in Familienverbänden, schwimmen auf die Schnellboote fürs Robbenbeobachten zu, als hätten sie darauf gewartet; dunkle Köpfe im Wasser mit Knopfaugen, die blitzartig auf- und abtauchen. Falls Tiere gute Laune haben können, dann diese Schwimmer.

Wenn man das Wort unbedingt aussprechen möchte, könnte man die Inseln paradiesisch nennen. Doch liegt dieses Eden in gefährlichen Breiten. Die „Dogs of Scilly“, steile Unterwassergebirge, wurden etlichen Schiffen zum Verhängnis. 1707 ging hier eine britische Flotte unter, mit 1500 Mann. 1787 verschwanden bei St. Agnes drei französische Kriegsschiffe im Meer. 100 Jahre später traf es die „Schiller“, einen Transatlantik-Liner auf dem Weg von New York nach Plymouth, 335 Menschen verloren ihr Leben. Es heißt, das Geschrei der Möwen sei ein Echo der Ertrinkenden.

Jede Insel hat ihren eigenen Kosmos

Die Mauern des Star Castle Hotel stammen noch aus dem 16. Jahrhundert.
Die Mauern des Star Castle Hotel stammen noch aus dem 16. Jahrhundert.
© Star Castle

Aus aller Welt kommen die Bird Watcher, ältere Herrschaften in Funktionskleidung, schwer bewaffnet mit Stativen, Kameras und Ferngläsern. Am besten lassen sich die Vögel auf den unbewohnten Inseln sichten. Die Beobachtung erfordert tiefe innere Ruhe und Geduld. Sie stellt sich auch bei nervösen Typen schnell ein. Es liegt etwas in der Luft, das die ja immer etwas hektische Attitüde des Ankommenden besänftigt.

Vom Star Castle Hotel in Hugh Town – seine dicken Mauern gehen auf das Jahr 1593 zurück, in die Regierungszeit Elisabeths der Ersten – schweift der Blick über die Inseln. Die Lichter des Flughafens ziehen in der Dämmerung eine blaue Spur über die Häuser. Robert, der Eigentümer des Hotels, bietet im Restaurant frische Lebensmittel an; Fisch, Gemüse, Fleisch. Er hat einen Keller mit guten Weinen aus aller Welt – und einen sympathischen Spleen, ein eigenes Weingut. Er weiß, dass es eigentlich zu feucht ist, um erfolgreich Reben anzubauen. Schädlinge haben ihm schwer zugesetzt, die jüngste Ernte war schlecht. Er ist tapfer, verträumt, irgendwie aus der Zeit gefallen.

Die Scillys liegen dicht beieinander. Jede Insel hat ihren eigenen Kosmos. Polizei, Schulen, Supermarkt, Behörden, ein Inselmuseum, Kirchen, Krankenhaus, das findet sich auf St. Mary’s, im Metropolendorf. Sie haben eine eigene Fußballliga mit zwei Mannschaften, die jedes Wochenende auf demselben Sportplatz gegeneinander spielen. Immer ein Heimspiel. Auf Bryher, etwa fünf Kilometer im Norden, wohnen nur wenige Menschen. Sandstrände, Wanderwege, kleine Farmen. Wer nach Bryher kommt, hat ein Leben hinter sich und ein neues vor Augen. Im Hell Bay Hotel hängt eine feine Sammlung britischer Kunst des 20. Jahrhunderts. Das Haus gehört zu denjenigen, die es sich bezahlen lassen, dass es sich nicht anfühlt wie ein Hotel. Man denkt an die Bücher, die man immer schon einmal lesen wollte. Das wäre der richtige Ort.

Auf Tresco ist das Urlaubsleben lässig durchorganisiert

Hier also holt man sich von den Zeitdieben seine Zeit zurück. Fast unwillig setzt man sich in Bewegung. Chris führt die Gäste über die Insel. Er ist Mitte 50, stahlblaue Augen, verwittertes Gesicht und langes Haar, wie ein gut gealterter Rockstar. Früher war er in der Industrie tätig; was und wie, verrät er nicht. Leute wie Chris kommen auf die Scillys, um nicht über alles reden zu müssen. Er genießt, was einst die nackte Not diktierte und heute teures Privileg ist: sich der Natur anzupassen. Auf der Insel schlägt man keine Bäume für Brennholz, sie wachsen kaum auf dem Eiland. Die Bewohner schneiden die dicken, knorrigen Hecken. Damit heizen sie im Winter. Es gibt auch einen milden Insel-Separatismus. Als das Gespräch auf den Brexit und die Politiker in London kommt, findet Chris kräftige Ausdrücke, packt ihn der Zorn auf die „idiots“.

Die Terrassenmöbel auf Tresco sind eindeutig modern.
Die Terrassenmöbel auf Tresco sind eindeutig modern.
© VisitEngland

Mit Chris geht es über das Watt nach Tresco. In Gummistiefeln oder barfuß. Die Insel befindet sich in Privatbesitz und kann als die touristischste gelten. Es gibt Pubs, Restaurants, Ferienwohnungen und ein kleines Hotel. Die Wege auf Tresco sind vorgezeichnet, das Urlaubsleben ist lässig durchorganisiert. Luxus mit Understatement, ein Golf-Gefühl.

Im 12. Jahrhundert gründeten die Benediktiner auf Tresco eine Abtei. Im frühen 19. Jahrhundert übernahm die Familie Dorrien-Smith die Insel. Es gibt Besucher, die allein wegen des tropischen Parks von Tresco auf die Scilly-Inseln kommen. 20 000 Arten aus allen Teilen der Welt wachsen in diesem Kosmos klassischer britischer Gartenkunst. Augustus Smith, der Gründer des kleinen Weltreichs, das einst regelmäßig von Piraten angegriffen wurde, sammelte nicht nur Pflanzen, sondern auch Galionsfiguren. Die ehemaligen Schiffsbughelden haben im Park ein eigenes Museum, „The Valhalla“.

Ein Mönch mit Kreuz in der Hand, vollbusige Frauen mit schmaler Taille, ein Offizier mit gezogenem Säbel, ein Adler – sie legen sich weit voraus in den Wind, die Augen zum Himmel erhoben. Segeln werden sie niemals mehr. Nach den Mönchen, den Freibeutern und Aussiedlern kommen die Touristen. Das ist der Gang der Geschichte auf solchen Inseln. Auf den Isles of Scilly aber läuft sie langsam ab. Man könnte dem Irrtum aufsitzen, dass hier die Zeit tatsächlich stehen bleibt.

Reisetipps für Scilly Islands

Hinkommen

Dass die Inseln etwas abgelegen sind, merkt man auch bei der Anreise. Von Berlin mit British Airways nach London (britishairways.com), ab 90 Euro pro Strecke. Für knapp 30 Euro weiter nach Newquay mit Flybe (flybe.com). Von dort mit dem Skybus rüber nach Land’s End. Hin und zurück etwa 220 Euro (islesofscilly-travel.co.uk).

Unterkommen

Auf St. Mary’s kann man im Star Castle Hotel wohnen, einer alten Burganlage, in der sich heute Übernachtungsmöglichkeiten befinden. Hafen und Stadtzentrum sind fußläufig erreichbar, vom Hotel aus hat man einen tollen Blick auf die Küste. Doppelzimmer ab 290 Euro. Lohnenswert: die rustikale Dungeon Bar mit massiven Steinwänden und dunkler Holztheke (star-castle.co.uk)

Rumkommen

Der Golfplatz auf St. Mary’s hat das ganze Jahr geöffnet, auch für Nicht-Mitglieder. Die Insel lässt sich gut vom Rücken eines Pferdes erkunden. Ausritte inklusive Einführung für Unerfahrene ab 45 Euro.

Mehr Infos unter visitbritain.com

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