Eröffnung der James-Simon-Galerie: Jetzt beginnt die Moderne auf der Museumsinsel
Heute wird der Bau des Architekten David Chipperfield in Berlin-Mitte eröffnet. Ein Blick auf die bewegte Geschichte der Museumsinsel.
Noch wirkt die Reihe schlanker weißer Säulen hoch über dem Kupfergraben gewöhnungsbedürftig. Der strahlend neue Empfangssalon der Museumsinsel verstellt den freien Blick auf das Neue Museum, dessen Wiedereröffnung vor zehn Jahren begeistert gefeiert wurde.
Auf die Wiederbelebung der Kriegsruine durch das Architekturbüro Chipperfield folgt nun die Einweihung des Ergänzungsbaus, der James-Simon-Galerie. Ihre schlichte Säulenordnung verlängert die klassizistischen Kolonnadenreihen der Museumsinsel aus dem 19. Jahrhundert in die Gegenwart.
Vermutlich hat im Jahr 1830 die klassizistische Strenge der Säulenfront des Alten Museums am Lustgarten ähnlich kühl und befremdlich auf die Berliner gewirkt. Dahinter öffnete sich eine neue Welt: Das erste Kunstmuseum in Berlin überhaupt, architektonisch überwältigend mit seinem grandiosen Ausblick auf den Lustgarten und mit einer Kuppelhalle, die den römische Pantheontempel nach Preußen versetzte.
Aufgabe des Museums war „die Erweckung und Erhöhung des Kunstsinns“, befand sein Architekt Schinkel. Wie schon bei der Gründung der Universität zwanzig Jahre zuvor sollte mitten in der wachsenden Großstadt ein Ort humanistischer Bildung entstehen, um damit zur Besserung der gesellschaftlichen Verhältnisse beizutragen.
Diese Vision wirkte derart ansteckend, dass König Friedrich Wilhelm IV. im Jahr 1841 anordnete, das gesamte Gewerbegebiet hinter dem Alten Museum zu einer „Freistätte für Kunst und Wissenschaft“ umzugestalten.
So entstand bis 1930, dem Jahr der Eröffnung des Pergamonmuseums, die Museumsinsel, wie wir sie kennen: als preußische Akropolis mit fünf raumgreifenden Kunsttempeln, malerisch exponiert durch ihre Lage am Wasser und alle paar Minuten erschüttert durch die Züge auf den Stadtbahngleisen, die das Ensemble durchschneiden. Während Berlin zur Industriemetropole, Reichshauptstadt und Viermillionenstadt expandierte, versammelte es im Zentrum die schönsten Zeugnisse vergangener Kulturen.
Indem das moderne Berlin die Menschheitsgeschichte präsentierte, stellte es sich in eine jahrtausendealte Tradition. In anderen, älteren Städten erfüllten große Kathedralen diese Funktion. Das aufklärerische Projekt der Museumsinsel war jedoch polytheistisch und pluralistisch angelegt. Hier sollte die Begegnung mit den vielfältigen Schöpfungen des menschlichen Geistes Orientierung, Ermutigung und Trost stiften – für alle Bürger.
Kämpfe um die Neuordnung der Berliner Museumslandschaft
Gut hundert Jahre wurde an der Museumsinsel geplant, getüftelt und gebaut, und als sie endlich fertig war, wurde sie bald wieder für das Publikum geschlossen, weil der Zweite Weltkrieg begann. Er hinterließ eine Ruinenlandschaft. Die Vision einer „Freistätte für Kunst und Wissenschaft“ jedoch war unverwüstlich. Sie überlebte alle politischen Systemwechsel und Ideologien.
Die DDR baute die Nationalgalerie, das Bode-Museum, das Pergamonmuseum und das in den letzten Kriegstagen komplett ausgebrannte Alte Museum, so gut es ging, wieder auf. Auch für den Wiederaufbau des Neuen Museums war 1989 schon der Grundstein gelegt, als die Berliner Mauer fiel.
Es folgte ein Jahrzehnt heftiger Kämpfe um die Neuordnung der Berliner Museumslandschaft und die Zukunft der Museumsinsel. Ein Wettbewerb brachte kein konsensfähiges Ergebnis. Am Ende eines quälenden Findungsprozesses aber stand ein von allen Beteiligten akzeptierter Masterplan, der seit 1999 mit Bundesmitteln Schritt für Schritt umgesetzt wird. Im selben Jahr erklärte die Unesco die Museumsinsel zum Weltkulturerbe.
Das neue Empfangsgebäude, die James-Simon-Galerie, ist der gravierendste Eingriff ins Erscheinungsbild der Museumsinsel. Das sechste Haus auf der Insel bündelt Serviceeinrichtungen wie Kassen, Garderoben, Toiletten, Shop, Restaurant, einen Vortragssaal und Sonderausstellungsflächen.
Die Infrastruktur für künftig erwartete Besucherströme war in den vorhandenen Museumsgebäuden nicht mehr unterzubringen. Im vergangenen Jahr kamen fast 2,5 Millionen Besucherinnen und Besucher auf die Museumsinsel, obwohl das Pergamonmuseum wegen Sanierung geschlossen war.
Eine unterirdische Passage, die archäologische Promenade, verbindet künftig Altes und Neues Museum, Pergamon- und Bode-Museum. Die James-Simon-Galerie dockt auf halber Strecke an dieses neue Erschließungssystem an. Ein Durchbruch verbindet das Empfangsgebäude außerdem mit dem Pergamonmuseum, dessen Hof am Kupfergraben durch einen vierten Flügel geschlossen wird. Die einzelnen Museen werden zudem über separate Eingänge verfügen. Auch um Schlangen wie an der Pyramide des Pariser Louvre zu vermeiden.
Die Eröffnung der James-Simon-Galerie kommt wegen Problemen mit dem morastigen Baugrund sechs Jahre später als geplant, aber nun signalisiert sie: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist mit der Umsetzung ihres Masterplans über den Berg. Im Pergamonmuseum wurde im Mai Richtfest gefeiert.
Wenn es eingerichtet ist, muss noch die Grundsanierung des Alten Museums gestemmt werden. Einen Zeitplan gibt es dafür bisher nicht. Im kommenden Jahr soll das Humboldt-Forum eröffnen, das die Sammlungen auf der Museumsinsel durch die außereuropäischen Kulturen sinnvoll ergänzt. Der große Plan geht also auf. Dass nicht alles termingerecht fix und fertig wird, war auch schon zu Schinkels Zeiten so. Wunder dauern eben etwas länger.
Kulturtipps
FÜNF AUF EINEN STREICH
Ein Ticket – fünf Museen, das gibt es wohl nur in Berlin. Zum Preis von 18 Euro können an einem Tag Pergamonmuseum, Neues Museum, Altes Museum, Bode-Museum und die Alte Nationalgalerie besucht werden. Wer mag, spaziert also vom Ishtar-Tor zu Nofretete, entdeckt die Antikensammlung mit der Gold-Schatzkammer, bewundert Byzantinische Kunst und schaut sich dann noch Meisterliches von Caspar David Friedrich an.
JAMES-SIMON-GALERIE
Sie ist das neue „Drehkreuz“ für Besucher der Museumsinsel, aber eben viel mehr als bloß eine Empfangs- oder gar Kassenhalle. Bis zum 28. Juli präsentiert hier eine Ausstellung unter dem Titel „Die Kunst des sinnvollen Gebens“ den Namensgeber James Simon (1851–1932), Sammler, Mäzen und Wohltäter. Er engagierte sich für soziale und kulturelle Zwecke, finanzierte etwa sogenannte Volksbäder für Arbeiter, und baute zwei einzigartige Sammlungen auf, die er 1904 und 1918 den Berliner Museen schenkte.
DER LÖWE
James Simon war, wie der Verleger Rudolf Mosse (1843–1920), jüdischen Glaubens. Mit dem „Liegenden Löwen“ des Bildhauers August Gaul erinnern die Staatlichen Museen zu Berlin im Foyer der neuen Galerie an die Enteignung der Familie Mosse durch die Nazis. Der Löwe gehörte zur bedeutenden Kunstsammlung der Mosses.
HEREINSPAZIERT
Morgen um zehn Uhr öffnet die James-Simon-Galerie fürs Publikum. Der Eintritt ist frei. Bis 21 Uhr wird die neue Attraktion der Stadt gebührend gefeiert, mit Führungen, Workshops für Kinder und Familien und viel Live-Musik.
KUNST GENIESSEN
Die Ausstellung „Gustave Caillebotte, Maler und Mäzen des Impressionismus“ ist noch bis zum 15. September in der Alten Nationalgalerie zu sehen, das Bode-Museum zeigt bis zum 24. November beeindruckende Kunst aus Afrika. Für die „Starken Typen“, griechische Porträts der Antike, bleibt mehr Zeit. Die Ausstellung im Alten Museum läuft noch bis zum 20. Februar 2020.
DRAUSSEN LAUSCHEN
Die Kolonnadenbar im Kolonnadenhof der Museumsinsel ist wie geschaffen für einen gelungenen Sommerabend mit interessanten Gästen, anregenden Gesprächen und kalten Getränken. Immer donnerstags (bis zum 15. August) ist hier the place to be. Jeder Abend beginnt um 19 Uhr mit einem Talk, anschließend legen DJs auf. Die diesjährige Reihe steht unter dem Motto „Nachbarschaften“: Moderatorin Jenni Zylka diskutiert mit Gästen über ihre Perspektive auf die Museumsinsel. (kai)