Surfen in Portugal: Ich war noch niemals auf Hawaii
Die besten Wellenreiter treffen sich an der Algarve. Ein Möchtegernsurfchick will ihn auch spüren, den Kick, von dem alle reden. Sie bekommt die Nasenspülung ihres Lebens.
Ich falle. Und diese scheiß Welle verschlingt mich. Das ist der Moment, in dem man auf keinen Fall in Panik geraten darf. Weil die Welle sowieso stärker ist, totaler Kontrollverlust. Ich schleudere durchs Wasser, irgendein Körperteil schleift am Boden des kalten Atlantiks vor diesem Strand an der Algarve, die Leine des Boards zieht mich in irgendeine und alle Richtungen. Ich schleudere durch diese Gewalt von Wasser wie der unwichtigste Klumpen Fleischmasse auf diesem Planeten. Für wie viele Sekunden, Minuten, Leben? Egal.
Dann spuckt mich das Wasser wieder aus. Einfach so. Es wollte mich töten. Die Welle lacht mich aus. Ich hasse das Meer.
Um mich herum sieht es aus, als sei nichts passiert. Links und rechts ragen große, schwarze Felsen aus dem smaragdgrünen Wasser, das von da oben, wo die kleine Straße von der Steilküste an den Strand führt, noch so friedlich glitzerte.
Tag eins des Plans, Surfen lernen in Portugal. Der coolste Sport von allen, in dem kleinen Land am Westzipfel von Europa, das sich in den letzten zehn Jahren zu einem der angesagtesten Surfspots der Welt emporgeschwungen hat. Portugal ist in der Szene bedeutender als Südafrika, Tahiti oder Fidschi. Hier werden Weltmeister gekürt. Hier surfen die Besten.
Ich bin unverheiratet, und ich stand noch nie auf einem Brett
Schuld ist vor allem der Nazaré Canyon, ein über 230 Kilometer langer Tiefseegraben, bis 5000 Meter abwärts, der den Erdboden spaltet – schnurgerade im Winkel von ziemlich genau 90 Grad zum portugiesischen Festland. Er endet vor Nazaré, einer kleinen Fischerstadt, die niemand kannte, bis die Lebensmüden kamen. Wenn im wilden Atlantik die Seestürme toben, bricht hier die größte Welle, die je ein Mensch gesurft hat. 2011 bezwang der Big-Wave-Surfer Garrett McNamara das 24-Meter-Monster. Donnernde Naturgewalt vor einer mittelalterlichen Festung mit rotem Leuchtturm. Surfer wie McNamara fühlen sich nur am Leben, wenn sie es für den Kick des Wellenreitens riskieren. Was ist los mit denen? Seefahrer gaben diesem Teil des Atlantiks schon im 18. Jahrhundert einen Namen: die Sandbank, die Witwen macht.
Ich bin unverheiratet. Und ich stand noch nie auf einem Brett. Surfen lernen sei eine Lebensaufgabe, las ich in einem Magazin im Flieger nach Faro, Hauptstadt der Algarve. McNamara fing mit elf Jahren an zu surfen. Ich bin 33 und habe drei Tage Zeit. Das Standardangebot der Surfschule. Täglich drei Stunden Gruppenunterricht bei Hugo, der aussieht, wie Surflehrer eben aussehen: Die tätowierte Haut rostbraun, die Haarspitzen zeugen vom Rest einer Blondierung, in den Ohren diese Scheiben, die sich manche Menschen in die Läppchen pressen lassen.
Da stehe ich nun mit vier anderen Möchtegernsurfchicks im geliehenen Wetsuit an einem fast menschenleeren Strand – und mache Gymnastik. Der Himmel ist stahlgrau an diesem Morgen, mein Atem schwer von den drei Runden, die ich gerade durch den Sand joggen musste.
Jeder, der das Gefühl kennt, beschreibt es als unbeschreiblich
Surfen ist der härteste Sport der Welt. Man braucht Ausdauer, Kraft und Koordinationsvermögen. Es ist ratsam, sich vor dem Trip in die Freiheit fit zu machen. Schwimmen, Klimmzüge, so was. Ich wusste das. Ich habe nichts davon getan, die letzten vier Jahre nicht, das Dehnen schmerzt. „Relax!“, schreit Hugo gegen den Wind. Das soll schließlich Spaß machen. „You’re here on holidays! If you’re not having fun, you won’t make it!“, brüllt er in meine Richtung. „I am relaxed!“, brülle ich zurück. Da fängt es an zu regnen.
Eigentlich auch egal, woher das Wasser kommt, denke ich, während Hugo uns endlich die Grundlagen des Wellenreitens erklärt. Der Wind hat die wenigen Körperteile, die nicht von Neopren umschlossen sind, runtergekühlt.
Dass uns jeder hier von Weitem als blutige Anfänger erkennt, garantiert das neongelbe Shirt, das wir über den Wetsuit ziehen mussten. „Freeride“ steht drauf. Der Loserstempel. Ist auch schon egal, bei diesem Brett, das Hugo mir in den Arm gedrückt hat. Das ist kein Brett, sondern ein ganzer platt gepresster Baum. Mehr Fläche schafft mehr Auftrieb, mehr Balance. Die gepolsterten Kanten sollen verhindern, dass ich jemanden damit erschlage. Oder schlimmer noch, mich selbst.
Jeder, der das Gefühl kennt, beschreibt es als unbeschreiblich. Als würde man fliegen, maximales Glück, maximal frei. Plattitüden. Und da ist immer dieses Funkeln in den Augen. Das sagt, dass die Plattitüden wahr sind. Das Funkeln lässt mich nicht los, ich muss es haben.
Wer nachdenkt, verliert
Drei Schritte braucht es, um vom Liegen in den Stand zu kommen. Arme auf Brusthöhe durchdrücken, die Hüfte dabei einseitig leicht absacken lassen, das schwache Bein vorziehen, das starke hinterher. Jeder hat ein schwaches und ein starkes Bein, sagt Hugo. Weil ich meine Gliedmaßen nicht so gut kenne, wie ich sollte, schubst er mich von hinten. Mit dem rechten Bein fange ich mich auf, das ist der Schwächling, daran hängt jetzt die „Leash“, die Verbindung zu dem Kunststoffmonster, mit dem ich gleich eins werden soll.
Aufsteh-Trockenübungen. „One, two, three, boom“, sagt Hugo. Dabei nicht nachdenken! Wer nachdenkt, verliert. Eins, zwei, drei, boom. Dabei nicht nach unten gucken. Wer runterguckt, fällt, sagt Hugo. Ich stehe perfekt. Hell yeah! Endlich darf ich surfen.
Verdammt. Ich stehe hüfthoch im eisigen Meer, weiter darf ich nicht. Weiter will ich auch nicht. Die Wellen hier werden bis zu sechs Meter hoch, in der Ferne ragen die Köpfe der Profis wie schwarze Bojen aus dem Wasser, und ich kann nicht mehr. Ich bin eine durchschnittlich grimmige Berlinerin mit zu großem Ego und zu wenigen Muskeln. „Vor der Welle sind wir alle gleich“, sagte mal Laird Hamilton, der wahrscheinlich bedeutendste Big-Wave-Surfer des 21. Jahrhunderts. Aber manche hier sind gleicher. Seit einer Stunde kämpfe ich mit dem Board, der Leine, dem Wasser und mit mir. Der alte Waschlappen und das Meer.
Ich paddle, spüre den Druck, jetzt oder nie
Ich erspähe Hugo am Ufer, wie er mit jemandem plaudert, und verfluche auch ihn. Was ist das überhaupt für ein Lehrer, macht der noch irgendwas? Trotzig wende ich mich dem Wasser zu, es reicht mir bis zur Brust. „Surfen ist ein königlicher Sport für die natürlichen Könige dieser Erde“, schrieb der Abenteurer Jack London 1907, als er zum ersten Mal die nackten Hawaiianer bei ihrer Lieblingsbeschäftigung beobachtet hatte. Ich wische mir den Rotz aus dem Gesicht.
Sobald die Welle, die man reiten will, auf einen zurollt, muss man vor ihr wegpaddeln, um sich ihrer Kraft im richtigen Moment auszuliefern. Jede Welle ist anders, sagt Hugo, und die, die sich da gerade vor mir aufbäumt, ist meine. Ich paddle, spüre den Druck an meinen Füßen, der hintere Teil des Bretts hebt sich, jetzt oder nie. Wer zögert, verliert. Ich stehe auf. Ich falle.
Meine Füße sind rot, die Haut brennt
Tag zwei. Ich sollte gerade an einem der Traumstrände sein und königlich durchs Wasser gleiten. Ich gleite aber nicht. Ich liege in meinem Bett. Alles tut weh. Das ist kein Muskelkater mehr, mit Freiheit hat das nichts zu tun, das ist die Hölle der Törichten. „Nimm eine Welle, und du bist auf dem Gipfel der Welt“, sangen die Beach Boys. Nur einer von ihnen konnte surfen.
Gestern Abend war es noch eine klare rote Linie gewesen, die sich quer vom Innen- über meinen rechten Außenschenkel zog. Dort, wo mich das Surfboard rammte. Jetzt quillt die Haut drum herum lila hervor, mit einem Hauch von braun. Ich drücke vorsichtig drauf, um sicherzugehen, dass es schlimm wehtut. Immerhin, der blaue Fleck an meiner Taille sieht nicht so fies aus, wie ich es erwartet hatte, als ich ihn vor dem Schlafengehen entdeckte. Von meinen Füßen kann man das nicht behaupten: Ihre Oberseiten leuchten in einem prallen Rot. Die Haut brennt. Es war das Brett. Ich schleifte zu oft liegend auf ihm herum, beim erbärmlichen Versuch, eins mit ihm zu werden. Ich sehe aus, als käme ich aus einer ungesunden Zweierbeziehung. Ich und das Brett, wir brauchen eine Paartherapie.
Die Algarve endet am Steilfelsen
Der Surfer Gerry Lopez sagt: „Surfen ist wie das Tor zu deinem Leben. Große Wellen stellen Körper, Geist und deine Seele auf die Probe.“
Ich habe mich vom Weißwasser ausknocken lassen. Kopf und Nebenhöhlen sind auch zu – trotz der Nasenspülung meines Lebens scheine ich verschnupft zu sein. Gott sei Dank. Ich melde mich krank.
Nachdem ich noch mal geschlafen habe und sich alles schlimmer anfühlt, beschließe ich, mich zu bewegen. Sanft. Jetzt, wo meine Würde auf dem Grund des Meeres liegt, geht auch ein Rentnerbike. Ich klaue Aloe Vera aus dem Nachbargarten, für die wunden Füße, leihe mir ein Elektrorad und fahre eine halbe Stunde zum südwestlichsten Punkt Europas, dem Kap Sankt Vinzenz.
Die Algarve endet an einem mächtigen Steilfelsen. Weiter im Norden blühen jetzt die Feigenbäume, aber hier wächst nichts höher als bis zum Knie, die Vegetation ist mir sympathisch. Dornengewächse, vereinzelt Blumen, lila und gelb.
Heute werde ich meine Würde vom Grund des Meeres klauben
Zum ersten Mal sehe ich Touristenhorden. Und einen Würstchenstand. „Die letzte Wurst vor Afrika“ steht da – auf Deutsch. Aus Scham kaufe ich der Portugiesin nebenan eine bestickte Decke ab, während mir der Schweiß von der Stirn rinnt. Perfektes Wetter heute. Auf dem Rückweg halte ich – lange sitzen tut weh – an kleinen Stränden, die Wellen wunderschön. Sie sind der Grund, warum Sagres das Epizentrum der algarvischen Surfszene ist. Hier findet man immer einen Strand mit passenden Bedingungen. Die Profis kommen in den Wintermonaten, ideale Anfängervoraussetzungen herrschen von Juni bis September. Dann reicht hier auch ein kurzbeiniger Wetsuit. Ich starre auf die Wellen, die sich an einem Felsen brechen. Wir haben noch eine Rechnung offen.
Der Wecker klingelt. Heute, am Tag drei, gibt es kein Entrinnen. Der Atlantik soll mir ins Gesicht knallen. So oft er eben will. Ich werde meine Würde vom Grund des Meeres klauben und mit ihr zum Strand surfen. Ich stopfe so viel Frühstück in mich, wie reingeht, ich brauche Kraft.
Die anderen haben heute schon die cooleren Boards, schmaler, leichter. Ich trage meinen Loserknochen zum Strand. Aufwärmen, Trockenübungen, los. Alles wie immer, nur in Miniatur. 25 Meter Strand, Felsen links und rechts, dazwischen Wellen. Ich perfektioniere mein Versagen. Ich falle professionell. Ich trage das Brett ins Meer und falle wieder heraus. Waren es zwei Stunden? Raum und Zeit verschwimmen. Egal.
"That’s your wave!"
Hier draußen auf dem Wasser passieren Dinge, die eine Großstadtfrau wie ich nicht verkraften möchte. Das Image des Surfers: ultimative Sexyness. Doch nur weil niemand darüber spricht, bedeutet das nicht, dass nicht trotzdem jeder in seinen Wetsuit pinkelt.
Jede Welle ist anders – und diese hier sind alle ein bisschen größer als noch vorhin. Ich starre. „That’s your wave!“, brüllt plötzlich der Surflehrer. Ja, okay. In der Eile wälze ich mich wie eine Seekuh aufs Brett. Jetzt hilft nur paddeln, zum Strand schauen, die Welle ist da, und fürs Abbrechen ist es eh zu spät.
Ich starre weiter geradeaus. Es passiert irgendwas und … ich stehe. Oh Gott. Die Welle trägt mich, es fühlt sich gewaltig an, leicht und stabil gleichzeitig. Mein Brett und ich, wir gleiten in den Sand.
Ich habe es gesehen, das Glück und die Freiheit. Sie sind da, wo der Rest der Welt nicht ist.
Tipps für Wellenreiten
LERNEN
Bei „Freeride Surfcamp & School Sagres“ kostet ein Drei-Tage-Kurs zwischen 150 (Januar bis Mai) und 165 Euro (Juli bis Oktober). Jeweils drei Stunden pro Tag, Transport und Equipment inklusive. www.frsurf.com
SCHLAFEN
Das „Pura Vida Divehouse“ bietet Doppelzimmer ab 25 Euro an, ein Bungalow kostet 30 bis 80 Euro, Hängematten und Frühstück inbegriffen, puravidadivehouse.com.
Im „Memmo Baleeira Hotel“ kostet ein Doppelzimmer mit Meerblick ab 121 Euro.
Besonders gut ist die „Gesund-Ecke“ beim Frühstücksbuffet. Wer hier übernachtet, bekommt bei der Surfschule „Freeride“ Rabatt.
NACH DEM SURFEN
„Piss off“: Das Mittel gegen Uringeruch im Neoprenanzug gibt es im Internet.
Gegen die Schmerzen hilft eine Massage. Sabine Mark macht auch Hausbesuche, wenn man sich nicht mehr bewegen kann, Telefon: +351 920029626.
Mit „Cape Cruiser“ für 25 Euro Delfine beobachten. Nicht bis zum letzten Urlaubstag warten! Oft müssen die Touren wegen zu hohem Wellengang abgesagt werden, capecruiser.org.
Im „Adega dos Arcos“ essen die Locals, man wählt zwischen einem Fisch- oder Fleischgericht, dazu ein Liter Wein für vier Euro.
„Algarve Surf Photo“ hält die Stürze in die Freiheit fest, 20 Euro pro Tag, Kontakt: massimo-pardini@hotmail.com.
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