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Licht und Schatten. Die Kirche Santa Maria in Marvão.
© Jose Manuel

Reisen durch Portugal: Verirrt in den Korkwäldern des Alentejo

Abgelegene Schluchten, verwunschene Wälder. Im Alentejo versagt das Navigationsgerät. Doch wer lang genug irrt, findet unberührtes Glück.

Sie waren sich ziemlich sicher, dass das Navigationsgerät sich wieder irrte (was es in dieser entlegenen Gegend mehrfach tat), denn links und rechts der Straße erstreckte sich trockenes, nur dürftig bewachsenes Land, und sie waren auf dem Weg zum „Aqua Turismo“. In weniger als 15 Minuten sollten sie zu einer aufregenden Paddeltour starten.

Sie starrten abwechselnd auf das Navi und aus dem Fenster. Hier? Wo denn?

Im Osten des Alentejo, Portugals größter Provinz, gibt es das noch: vom Tomtom vergessene Gegenden. Hier sind die Straßen lang und leer und führen durchs hügelige Land bis in den Horizont. Der Himmel ist hoch und weit, und die Nächte sind so schwarz, dass man denkt, die Sterne fallen einem auf den Kopf.

Und dann diese Überraschungen am Wegesrand. Ein Jeep steht plötzlich im sandigen Nichts vor einem kleinen Zaun, der auf einen Feldweg hinweist. Luis Lucas springt heraus, 45, braun gebrannt und sportlich, Chef und Gründer vom „Aqua Turismo“ – in Erwartung seiner Besucher. „Follow me, please.“ Sein Jeep wirbelt den Sand auf, und durch die Wolke geht es quer übers Feld, dann durch ein Tor, auf und ab führt die Piste, und schließlich ist da in einer Senke tatsächlich ein Fluss, ein Flüsschen eher, und sogar ein kleiner Strand im Schatten hoher Bäume. Gelbe Liegen am Ufer. Und ein rotes Plastikkanu. „Eine Oase“ nennt Lucas das Plätzchen versonnen.

Das beste Essen fand er hier am Ribeira de Tera

Entdeckt hat er es zufällig. Als er vor 25 Jahren ausprobiert hat, ob er eine Woche ohne Hilfe in der Natur überleben kann. Nur ein Kilo Reis nahm er mit. Die Gegend hatte er sich auf der Landkarte ausgesucht. Weit weg von allem, aber mit Wasser in der Nähe – gegen den Durst. Ein Freund fuhr ihn hinaus, ab dann war er auf sich allein gestellt.

Einmal habe er den Reis gekocht, sagt er, ansonsten bot die Natur, was er brauchte. Und das beste Essen fand er hier, an diesem Flüsschen, dem Ribeira de Tera. Über viele Stromschnellen schlängelt der sich durch die hügelige Landschaft, und zwischen den vielen Steinen leben Süßwassershrimps. Daran erinnerte Lucas sich Jahre später, als er und seine Frau im Restaurant saßen, Shrimps aßen und überlegten, wie sie ihrem viel zu hektischen Leben in Lissabon entgehen könnten.

Die beiden kauften also das Grundstück und schufen das, was Luis Lucas „Glamping“ nennt, glamouröses Camping. Mit weißen „Jenseits von Afrika“-Zelten, sonnendurchfluteten Open- Air-Duschanlagen und Aqua-Action.

Deshalb ist die kleine Gruppe heute am Ribeira de Tera. Kurz darauf paddeln alle in den roten Kanus den Fluss entlang. Am Ufer lauter knorrige Korkeichen, der Exportschlager der Region. Im Alentejo wachsen so viele dieser Bäume wie nirgendwo sonst in Portugal. Ein Reiher segelt vor der Gruppe her. Es gebe Otter hier, sagt Lucas. Und Adler. Störche sowieso. Die gibt es im Alentejo zuhauf. Manchmal hört man sie sogar klappern.

Den Fluss hochzupaddeln, das geht, wenn das Wasser niedrig steht

Dann noch ein Geräusch: ein Brodeln. Die Kanuten nähern sich den Stromschnellen. Wo das Wasser sich kräuselt, sind Steine, da sollen sie aufpassen!, sagt Lucas. Weil die Gruppe flussaufwärts unterwegs ist, muss sie die Boote am Ende über die riesigen Steine in die nächste Flussetage tragen, vielmehr zerren, hieven, wuchten. 19 Kilogramm wiegt so ein Ding, und die Steine sind glitschig. Einer vorneweg, ziehend, einer von hinten, schiebend. Lucas läuft voran und zeigt, wie es geht. „Sehr gut!“, ruft er nach hinten, wo die Schiebenden mehrmals abrutschen und sich im unerwartet stark strömenden Wasser am Kanu festkrallen.

Den Fluss hochzupaddeln, das geht, wenn das Wasser niedrig steht. Weil es lange nicht geregnet hat und aus den umliegenden Stauseen, die so ruhig und groß sind, dass darauf Ruderteams der Weltelite ihr Wintertraining absolvieren, nichts kommt. Ist viel Wasser im Fluss, geht es stromabwärts, im Kanu, Schlauchboot, mit Hydrospeeds oder in dicken Schwimmwesten, ein Spaß vor allem für Kinder und Jugendliche.

Die Region des Alentejo erstreckt sich vom Atlantik bis an die Grenze zu Spanien. Viel Land, wenig Leute. Nur rund fünf Prozent der Portugiesen leben hier, und während diese verschlafene Ruhe einerseits ein Urlaubsargument ist, versuchen Veranstalter andererseits auch denen etwas zu bieten, denen „nur Ruhe“ zu wenig wäre. So erlebt die Gegend einen kleinen Boom. Zwischen den vielen Olivenbaumplantagen, den weiten Kork- und Steineichenwäldern, den Weinhängen und Getreidefeldern ploppen kleine Urlaubsparadiese wie Luis Lucas’ Glamping auf. Alte Burgen werden mit neuer Betonarchitektur erweitert, Bauernhöfe ziehen Panoramafenster mit Blick auf den Sonnenuntergang ein, Neubauten fügen sich wie organisch gewachsen in die hügeligen Landschaften ein, und dazu gibt es kleine, freundliche Angebote fürs Paddeln, Wandern, Radfahren.

Man muss sie nur finden.

Auf modernen Crossbikes geht es zu Megalithen

Ein Spaziergang durch die Korkeichenwälder auf dem „Feel Nature Pathway“.
Ein Spaziergang durch die Korkeichenwälder auf dem „Feel Nature Pathway“.
© Ariane Bemmer

Fast eine geschlagene Stunde wartet Jorge Catalao schon, bis seine Gruppe ihn endlich an einer kleinen Kreuzung in einem Ort nahe der Weltkulturerbestadt Évora entdeckt. Er ist in glänzende Radfahrermontur gekleidet und nimmt die Gäste, von der kolossalen Unpünktlichkeit völlig unbeeindruckt, sogleich mit auf eine Radtour. Durch blühende Felder geht es auf modernen Crossbikes – Helme werden gestellt und müssen getragen werden, „mein Gesetz“, sagt Catalao – zu Zeugnissen 5000 Jahre alter Zivilisationen. Zu Megalithen, von Jungsteinzeitmenschen errichtet, darunter die „Kathedrale der Steinzeit“, die Anta Grande do Zambujeiro. Ein großes Megalithgrab, es ist portugiesisches Nationaldenkmal.

Die Räder liegen bald im Gras, zu Fuß nähern sich die Neugierigen den Steinen. Diese sind sechs, sieben, zehn Meter hoch, bilden eine runde Kammer und einen meterlangen Flur mit Ausrichtung gen Ost, der aufgehenden Sonne entgegen. Das Grab ist in einen Hügel hineingebaut worden. Von oben kann man reinschauen, weil der gigantische Dachstein, der die Grabkammer vor Witterung schützte, vor vielen Jahren weggesprengt wurde. 20 Tonnen soll er gewogen haben. „Wie haben die Menschen so einen schweren Stein auf das Grab bekommen?“, fragt Catalao und verzieht das Gesicht, als er unten in der Kammer ein Stück Verpackungsfolie glitzern sieht. „Touristen!“, schimpft er und schiebt schnell „portugiesische!“ hinterher.

Die Radler fahren weiter, die Sonne strahlt, die Tour ist nie zu schwer, der Sand nie zu tief, das Geröll auf dem Weg nie zu viel. Die Fahrräder schnurren gemütlich hintereinanderher. Dass der Kurztrip einem trainierten Hobbybiker wie Catalao viel zu langsam ist, wird erst am Ende klar. Da verabschiedet er sich mit den Worten, er würde jetzt mal ein bisschen radfahren.

Bei einer Radtour entdeckte der Dirigent Christoph Poppen die Festung Marvão

Weiter geht es in Richtung Marvão, ein Ort, den jedes Navi kennt. Den Treffpunkt zum „Alentejo Feel Nature Pathway“ dagegen wieder nicht. Aber das regt keinen mehr auf. Irgendwann findet man im Alentejo doch immer alles, irgendwie, und sei es, dass man die alten Mütterchen und Väterchen anquatscht, die auf Bänken im Schatten sitzen und einen so wenig verstehen, wie man sie versteht, aber den richtigen Weg weisen sie einem trotzdem.

Marvão ist eine Festung von einer Kleinstadt, auf einem fast 900 Meter hohen Plateau errichtet. Spanien liegt in Sichtweite, und den Menschen pfeift ein Wind um die Ohren. Fast immer. Beim ersten Marvão Musikfestival mussten die Notenblätter der Musiker mit Wäscheklammern an die Ständer geheftet werden. 2014 war das. Die Konzerttage fanden auf Initiative des deutschen Dirigenten und Violinisten Christoph Poppen statt, der Marvão bei einer großen Fahrradtour entdeckt hatte. Zufällig! Was sicher kein Zufall ist.

Die Premiere war ein solcher Erfolg, dass das Festival in diesem Sommer bereits zum vierten Mal stattfindet. So etwas kann Bürgermeister Vítor Frutuoso gefallen, aber grundsätzlich sorgt er sich lieber um die Zukunft. Was soll bloß werden? Die paar Menschen, die hier im komplett unter Denkmalschutz stehenden Ortskern leben, sind fast alle alt, klagt er in seinem Amtszimmer. Uralt im Grunde. Sie brauchen Pflege, nur wo soll die herkommen? Jaja, Touristen, das ist gut!, sagt er, viele Touristen, je mehr, desto besser. Gerade plane er mit der spanischen Nachbargemeinde eine neue Attraktion: den Schmugglerpfad, eine Wanderung auf den früheren Wegen der illegalen Warenbeschaffer und Banditen. Er nickt zufrieden. Das ist doch was!

Wie beschwerlich Handel und Warenverkehr hier vor Erfindung von Auto und Asphalt waren, lässt eine kleine Wanderung auf dem Feel Nature Pathway von der Festung runter ins Tal ahnen, dessen Einstieg man ohne Guide schlecht findet. In Serpentinen schlängelt sich der Weg von den 900 Metern hinab durch Korkeichenplantagen, über Stock und Stein. Schön, wenn man nur mit einem Rucksack beladen hinabwippt, aber was, wenn man ein Fass Olivenöl raufbringen sollte? Allein der Gedanke bringt einen zum Schwitzen. Schreckliche Vorstellung. Wie steil es bergauf geht, zeigt der Blick zurück. Nur eins war damals einfacher als heute: den richtigen Weg zu finden. Es gab nur den einen.

Reisetipps für Alentejo

ANREISE

Mit dem Flieger nach Lissabon, ab Flughafen am besten einen Mietwagen buchen.

UNTERKUNFT

Glamping „Azenhas da Seda“ bei Avis (azenhasdaseda.com), ab 75 Euro für zwei Personen pro Nacht im Zelt.

„Herdade de Cortesia“, Avis, wunderschönes Hotel mit Rudersee und Pferden (herdadedacortesia.com), ab 125 Euro pro Nacht.

„Agroturismo Monte Alto“, Degolados, absolute Ruhe (montealto.com.pt)

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