Ausgezeichnet: Der Berliner Grunewald ist der Wald des Jahres 2015
Er ist ökozertifiziert, stadtnah – und beliebt. 100 Millionen Mal wird er im Jahr besucht. Und jetzt ist der Berliner Grunewald sogar „Waldgebiet das Jahres“. Der Bund Deutscher Forstleute hat ihn ausgezeichnet. Zeit für einen Spaziergang.
„Grunewald is amazing!“ Wumi, so heißt der von Berlins berühmtem Wald so begeisterte junge Mann aus London, ist gerade auf den Weg zum Gipfel des Teufelsbergs, zum internationalen und ganz legalen Graffiti-„Paint Jam“. Seine Kopfhörer hat er abgesetzt, die Rollerskates hängen an langen Schnürsenkeln um seinen Hals, auch Farbsprühdosen hat er dabei. Und Wumi, 25 Jahre und Künstler, schwärmt noch weiter: „So einen weiten, großzügigen Wald mitten in der Stadt haben wir in London nicht.“ Aber dann muss er schnell los – und beruhigt: „Keine Angst, ich besprühe nicht etwa Bäume, denen gebührt Respekt!“ Der fehlt anderen offensichtlich: An einen Stamm hat jemand in Rot „K + E“ gesprüht. Hoffentlich hält’s.
Von hier oben auf dem Teufelsberg überblickt man den 3200 Hektar großen Wald, der sich im Grüngrau des Vorfrühlings leicht hügelig ausbreitet. Am Sonnabend, dem Internationalen Tag des Waldes, zeichnete ihn der Bund Deutscher Forstleute (BDF) ganz ohne Berliner Bewerbung mit dem Titel „Waldgebiet des Jahres“ aus. Der Sprecher der Berliner Forsten, Marc Franusch, war mit seinen rund 30 Kollegen der Grunewald-Revierförstereien ungemein stolz darauf. Im Jahr 2012 hatte die berufsständische Vertretung BDF als ersten Sieger den Meulenwald nahe Trier geehrt, 2013 folgte der Solling in Niedersachen.
Nun gaben die 2014 belobigten Forstleute von Schönbuch bei Stuttgart erstmals eine Wandertrophäe weiter – aus historischen, fachgerecht bearbeiteten Holzpfählen aus dem Untergrund der Berliner Schlossbaustelle – und ausgerechnet an das City-Forstteam Berlin. „Das ist überraschend für uns und sehr erfreulich“, sagte Franusch, „denn ein Großstadtwald mit City-Anbindung ist einer der wenigen extrem frequentierten Orte, in dem sich die unterschiedlichsten Menschen in ihren Nutzungen scheinbar widersprechen.“ 100 Millionen Waldbesuche gibt es geschätzt jedes Jahr im Grunewald. Die einen wollen entspannt wandern, die anderen suchen das Abenteuer beim Geocoaching, einer Art Schnitzeljagd für die GPS-Generation.
"Wir haben sogar zwei Rehe gesehen", freut sich Familie Schulz
Familie Schulz geht am Ökowerk Teufelssee mit Kind und zwei Hunden spazieren. Wo sie wohnen? „In Buch.“ Und dann der weite Weg bis hierher? Ja, der lohne sich, sagt der 25-jährige Vater: Nach der Wende sei er als Kind hier im Südwesten radgefahren, jetzt ziehe es seine Familie immer wieder her. „Wir haben sogar zwei Rehe gesehen“, freut sich die Ehefrau.
Wer genauer hinguckt, kann gar Eremit und Heldbock erspähen, freut sich Forsten-Sprecher Franusch. Die schützenswerten Käfer haben ihren Lebensraum „an den wenigen imposanten Eichen“ im Grunewald. So wie an der Hutewaldeiche mit der ausladenen Krone und dem meterdicken Stamm rechts vorm Eingang des Ökowerkes. Das Wort Hute kommt von hüten, früher haben die Bauern ihre Schweine in den Wald getrieben, damit sie dort Eicheln und Bucheckern fraßen. Der knorrige Baumriese am Ökowerk ist mehr als 250 Jahre alt, weiß Regina Höfele vom Naturerlebnis-Anbieter „Wildnisspur“, die gerade mit einer Kindergruppe zum Überlebenstraining mit Tipibau und Sitzmatte ins Gehölz startet. Was gefällt euch am Grunewald? „Dass es so ruhig ist!“, ruft Alexander, acht. „Dass man so cool schnitzen kann“, sagt ein anderer Junge. „Dass es so weitläufig ist“, sagt Klemenz Averesch, der ist schon 60 und geht mit seinen Sportstöcken vorbei.
Die Waldpflege ist über den Bioverband Naturland zertifiziert
Die Dialoge im Wald sind nicht immer so nett. Manchmal beschweren sich auch Besucher bei den Forstleuten: Ihr könnt doch nicht einfach Bäume fällen und Äste absägen! Doch, das müssen die Kollegen, sagt Franusch, und ihn freut dabei sogar, dass sich die Berliner so mit ihrem Grunewald identifizieren. Er und seine Kollegen erklären dann den aufgebrachten Naturfans: Mit der Durchforstung erfüllen sie ihre Pflicht zur Wegesicherung, auch schaffen sie mehr Licht und Luft für den Kühle- und Frischluftspender Baum. Aber die Arbeiten müssen in der Ruheperiode im Winter gemacht werden, wenn keine Vögel nisten. Die Waldpflege ist sogar nach dem „Forest Stewardship Council“ (FSC) und über den Bioverband Naturland zertifiziert. Es gibt also keine Chemie und keinen Kahlschlag.
Der Grunewald besteht derzeit zu zwei Dritteln aus der märkischen Kiefer. Die gibt sich mit kargem Sandboden zufrieden und wurde nach dem Brennholz-Kahlschlag und den Reparationsleistungen an die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg, zu denen auch Holzlieferungen gehörten, zur Wiederaufforstung gesetzt.
Die hitzeresistente Eiche ersetzt langsam die typischen Kiefern
Doch inzwischen müssen auch die Berliner Forsten auf den Klimawandel mit den steigenden Temperaturen reagieren. „Der Baum der Zukunft ist die Eiche“, sagt Marc Franusch. Ihr Anteil im Grunewald liegt bei rund 20 Prozent, „und wir versuchen ihn mit Nachdruck mit unserem Mischwaldprogramm zu erhöhen“. Denn die Eiche sei hitzeresistenter. Zudem kommen 80 Prozent des Berliner Trinkwassers aus Brunnen unter Wäldern. Und weil die Laubbäume hier ringsherum über den Winter ihre Blätter abwerfen und nicht wie die immergrüne Kiefer mit ihren Nadeln weiter Wasser verbrauchen, ist die Trinkwasserausbeute im Boden unter Laubbäumen um 30 Prozent höher. Wichtig für eine Stadt wie Berlin. Daher schützen Röhrchen und Zäune Jungbäume und Schonungen vor Rehverbiss.
Hat Franusch einen Tipp für die Mountainbiker und Surfer am Havelstrand, die Schwänefütterer, Reiter, Schwimmer und Grunewaldturmbesteiger – was können sie ihrem Forst Gutes tun? „Müll mitnehmen, nicht rauchen und kein Feuer machen“, appelliert der Forsten-Sprecher. Der April und nicht der August sei übrigens der waldbrandgefährdetste Monat, da haben noch keine frischen, wasserhaltigen und daher schwer brennbaren Triebe das alte, trockene Reisigholz überwuchert. Über manches schnell wachsende Grün freuen sich die Forstleute aber so gar nicht. Die nicht einheimische spätblühende Traubenkirsche oder die amerikanische Roteiche etwa stören. Die Erste macht unterm Baum wegen rasanten Wuchses „schnell zu“, nichts anderes wächst da mehr. Und die Zweite schmeckt einheimischen Insekten nicht, schadet also dem Futterkreislauf. Riesenbärenklau, japanisches Springkraut, Ambrosia – und als Schädling der Eichenprozessionsspinner, die stören ebenso.
Ja, das sind Dramen. Aber größeres Mitgefühl lösen dann doch Blätter aus, die jemand verzweifelt an der Havelchaussee nahe Pichelsdorf an die Bäume gepinnt hat. Ihm ist ein wuscheliger, zutraulicher, kastrierter Kerl mit berlinischem Namen entlaufen: „Vermisst! Hat jemand Schrippe gesehen?“ Nun, die ausgezeichneten Forstleute helfen bestimmt mit bei der Suche im tiefen Wald.
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