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Olli Schulz
© Mike Wolff

Olli Schulz im Interview: „Ich lüge halt viel rum“

Als Olli Schulz betrunken Unsinn machen wollte, hat ihn Hannes Wader gerettet. Warum er eine Telefonzelle angezündet hat und Thomas Mann nacheifert.

Olli Schulz begann seine Laufbahn mit der Band „Olli Schulz und der Hund Marie“. Neben TV-Auftritten bei „Circus Halligalli“ und einer Sendung auf Radio Eins hat er jetzt noch die eigene Show „Schulz in the Box“ (Pro 7). Am 17. und 18. feiert er im „Astra“ seinen 40. Geburtstag mit Konzerten.

Herr Schulz, Sie sind der „Erneuerer“ des deutschen Fernsehens. Schreibt das deutsche Feuilleton.

Als ich das gelesen habe, dachte ich: Halleluja, da entsteht echt Druck! Ich war mir nicht sicher, ob ich das stolz bei Facebook posten oder megapeinlich finden soll. Andererseits dachte ich: Weißt du, jetzt finden die dich gerade mal geil, du hast auch schon genug Phasen gehabt, wo es anders war.

Charlotte Roche nennt Sie „lustig und schlau“, der Chef Ihres Senders Pro 7 hält Sie für „einen der begnadetsten Entertainer des Landes“, Markus Lanz sagt, bei Ihnen gehe es „rasant nach oben“ …

... was heißt „oben“? Ich habe eine Fernsehsendung, bringe Platten raus und sitze ab und zu in Talkshows. Vielleicht ist die Außenwirkung größer als der Effekt für mich selbst.

Vor kurzem lief die erste Folge Ihrer Solo-Show „Schulz in the box“. Da besuchen Sie nackte Hippies, die mit Pornofilmchen den Regenwald retten wollen.

Die Idee ergab sich, als ich zusammen mit dem Regisseur Thomas Schmitt auf einer sterbenslangweiligen Party war. Völlig angeödet von den Gesprächen um mich rum sagte ich zu ihm: „Thomas, ich finde immer alles so langweilig, kann man da nicht was machen?“

Und dann hat er sich ein Therapieprogramm ausgedacht?

Wir haben überlegt, wo diese Langeweile herkommt. Wenn man 40 wird und viel mit Jüngeren zu tun hat, kennt man irgendwann die ganzen Gespräche auswendig. Über Städte zum Beispiel, das kann ich echt nicht mehr hören: Ja, Leipzig ist ganz cool, aber Hamburg ist total öde geworden, also in Köln könnte ich leben … Alter, das haben wir doch alles schon vor zehn Jahren durchgekaut! Als ich darüber mit Thomas sprach, sagte er: „Olli, daraus machen wir eine Sendung – wir packen dich in eine Box und schicken dich ins Ungewisse, damit du mal neue Lebenserfahrungen sammelst.“

In der Hippie-Kommune behalten Sie zwischen all den Nackten Ihre Klamotten an, und am Ende ziehen Sie die Bilanz, dass dieser Lebensstil nicht Ihr Ding ist.

Der Plan war eigentlich, dass ich mich ausziehe. Hätte ich auch gemacht, schämen würde ich mich nicht dafür, aber ich fand das zu plump. Ich wollte mich auch nicht so mit diesen Leuten im Einklang zeigen, dafür waren die mir doch zu anders.

Als Freak sieht er sich nicht

Olli Schulz
Olli Schulz
© Mike Wolff

Plötzlich sind die anderen die Freaks und Sie selbst der Normalo – im Gegensatz zu Ihren sonstigen Fernsehauftritten.

Die Sendung geht im Januar weiter, und ich hoffe, der Zuschauer wird sich dann auch mal auf Folgen einlassen können, in denen es nicht so krass zugeht. Vielleicht lande ich zum Beispiel mal im Hobbykeller eines Schlumpf-Sammlers. So wie mein alter Freund Martin, der diese Schlümpfe aus Überraschungseiern sammelt. Der hat auch so Fehlpressungen wie den Papa Schlumpf mit grüner statt roter Mütze, so was kostet bei Ebay 1800 Euro, weil es nur 120 Stück davon gibt.

Sie wirken bei Ihren Auftritten, als sei Ihnen nichts peinlich. Muss man sich Schamgrenzen abtrainieren, um zum Beispiel in der Rolle des „Charles Schulzkowsky“ besoffen Promis anzupöbeln?

Nee. Ich sehe mich aber auch gar nicht so sehr als Freak. Ich glaube, dass ich die Gabe habe, mich als Freak zu verkaufen, indem ich einfach mal laut schreie oder beim Sprechen in einen anderen Duktus falle oder wieder das Kind werde, das ich war.

Waren Sie eher der Klassenclown oder der Typ, der beim Fußball als Letzter ins Team gewählt wird?

Da gab es noch einen kleinen Dicken, der immer nach mir reingewählt wurde. Ich war so ein mittelschwerer Außenseiter. Neulich schrieb mir ein Mädchen: „Ich drehe vor meinen Freunden immer so durch und quatsche zu viel, und danach fühle ich mich total beschissen, weil ich mich wie ein Idiot verhalten habe. Du machst doch auch immer so krasse Sachen, wie gehst du damit um, schämst du dich nicht?“

Konnten Sie ihr helfen?

Ich schrieb ihr, dass man im Leben eh nur drei oder vier Freunde haben kann, die einen wirklich verstehen. Die muss man sich suchen, die nehmen einen so, wie man ist.

Diese Aufmerksamkeit muss überraschend kommen für jemanden, der als Liedermacher mit schrägen Texten lange ein Nischendasein geführt hat. Finden Sie es ungerecht, dass Frida Gold auf Platz 1 landet und Sie mit Ihrem letzten Album „SOS – Save Olli Schulz“ gerade mal auf Platz 32?

Das ist ja nichts Neues: Es gab schon immer Mainstreammusik, die sich gut verkauft hat. Und wenn die Leute Frida Gold hören wollen, soll mir das egal sein. So richtig schlecht haben sich meine Platten ja gar nicht verkauft. Auch vor den Fernsehauftritten sind zu meinen Konzerten schon 600 bis 700 Leute gekommen. Das wird manchmal falsch dargestellt …

… auch von Ihnen selbst: Im Fernsehen erzählen Sie gerne die Geschichte, wie Sie in Cottbus vor zwölf zahlenden Gästen gespielt haben.

Das stimmt auch, bloß ist es zehn Jahre her. In Talkshows sage ich manchmal, das sei bei der letzten Tour gewesen, aber das dient nur der Unterhaltung. Ich lüge halt viel rum. Oder erzähle eine Mischung aus wahren und ausgedachten Geschichten. Ich bin in Talkshows niemandem eine psychologische Selbstanalyse schuldig, ich würde vor Barbara Schöneberger nicht mein Leben ausbreiten.

Ihre beste erfundene Geschichte?

Mein Onkel Herbert hätte auf dem Hamburger Fischmarkt mit Perlen gehandelt, und Touristen aus den USA hätten ihn „Pearl Herbert“ getauft.

Lügen Sie auch privat?

Dafür bin ich zu faul. Früher hat man gelogen, wenn man Mädchen beeindrucken wollte, das geht mit dem Alter weg. So eine Lüge musst du ja die ganze Zeit mit dir rumtragen – oh, jetzt triffst du gleich diese Frau, die glaubt ja das und das. Früher habe ich mir da richtige Masterpläne zurechtgelegt.

Ihr erstes Album trug den schönen Titel „Brichst Du mir das Herz, dann brech’ ich Dir die Beine“. Stimmt es, dass Sie wegen eines Mädchens Musiker geworden sind?

Sie war ein tolles Mädchen, und sie hat mich mit vollem Recht verlassen, weil ich damals echt eine Katastrophe als Freund war. Eigentlich wollte ich sie zurückerobern, ich habe wahnsinnig peinliche Sachen gemacht.

Zum Beispiel?

Ein paar Monate nach unserer Trennung war sie mit ihren Alt-68er-Eltern bei einem Hannes-Wader-Konzert. Ich saß an dem Abend besoffen zu Hause und hatte plötzlich die Idee: Ich fahre da jetzt hin, gehe auf die Bühne und singe ein Lied für sie. Völlig behämmert. Als ich ankam, war gerade Halbzeitpause, das macht der Wader immer bei seinen Konzerten. Ich kannte die ganzen Security-Leute, weil ich selbst mal in dem Club gearbeitet hatte, bin schnurstracks in den Backstagebereich gelaufen und stand schließlich total betrunken in der Garderobe von Hannes Wader.

Der muss sich erschreckt haben.

Ich sagte zu ihm: „Herr Wader, da draußen sitzt die Frau, die ich über alles liebe, ich will sie zurück – kann ich auf die Bühne und ein Lied für sie spielen?“ Er guckte mich mega-ernst an und sagte: „Junge, ich sehe deinen Schmerz – aber ist dir eigentlich klar, was du da gerade tust? Du gehst jetzt mal nach Hause und schläfst dich aus und denkst drüber nach, wie du damit klarkommst. Und noch was: Das hier ist meine Show, nicht deine.“ Das war so ernst und väterlich, dass ich schlagartig klar im Kopf war. Hannes Wader hat mir ein bisschen den Arsch gerettet an dem Abend, denn ich hatte natürlich gar keinen Song parat, ich hätte mich vor ihr und ihren Eltern total blamiert.

Das Mädchen hat nie von Ihrem Plan erfahren?

Doch, ich habe mich vor der Halle noch mit ihr unterhalten, und da wurde endgültig klar, dass das nichts mehr wird mit uns beiden. Sie hat mir dann noch einen sehr schönen Brief geschrieben, in dem stand: Du bist ein toller Mensch mit so vielen Talenten, es wäre eine Schande, wenn du dein Leben weiter so verplemperst. Den Brief habe ich noch, der hat mich sehr motiviert.

Wann Musikfans besonders intolerant sind

Olli Schulz
Olli Schulz
© Mike Wolff

Inwiefern?

Danach habe ich angefangen, kontinuierlich Musik zu machen. Mit dem Ziel, wenigstens eine Platte rauszubringen. In meiner Vorstellung war Platten rausbringen bis dahin immer Kommerz-Dreck gewesen. Ich kam aus so einem Punk-Umfeld, wo man vieles, eigentlich alles, scheiße fand. Musikfans zwischen 18 und 25 sind extrem intolerant, für Jungs trifft das ganz besonders zu.

Wie äußert sich das?

Du denkst, du bist der Größte, obwohl du nie einen Song geschrieben hast, du konsumierst nur, weißt aber alles und urteilst alles ab. Solche Leute schreiben mir oft an meine Facebook-Pinnwand: Echt mies, dass du jetzt bei Joko und Klaas auftrittst, und was du da und da gemacht hast, das war auch ungeil. Kann ich nicht verurteilen, denn wenn es Facebook schon 1992 gegeben hätte, dann hätte ich wahrscheinlich allen meinen Lieblingsbands da hingeschrieben: Der zweite Song auf der neuen Platte ist echt grottig.

Wo lag Hannes Wader in diesem Wertesystem?

Hannes Wader war mir eigentlich egal. Der hatte aber so ein paar Lieder wie „Heute hier, morgen dort“, die man kannte, wenn man bei der Antifa war.

Sie waren militanter Linker?

Steine geschmissen habe ich nie, weil ich so lange Krakenarme hatte, bei den Bundesjugendspielen habe ich im Weitwurf immer den ersten Platz gemacht. Ich dachte, wenn von mir jemand einen Stein an den Kopf kriegt, ist der tot. Ich war auch keiner von diesen stumpfen Thai-Box-Typen, die in der U-Bahn Nazis in die Fresse hauen. Ab und zu haben wir beim Hamburger DVU-Büro in Eppendorf Scheiben eingeschmissen, ich habe auch mal versucht, da eine Telefonzelle mit Feuerzeugbenzin abzufackeln. Aber die hat dann nur so ein bisschen rumgeflackert, das war sehr unprofessionell.

Inzwischen leben Sie in Kreuzberg.

Ich bin mit meiner damaligen Freundin nach Berlin gezogen, die hatte hier einen Job bekommen. Zuerst nach Lichterfelde-Ost, da habe ich sehr viel Zeit mit Hundeausführen verbracht. Das ging anderthalb Jahre gut, dann haben wir uns getrennt, und ich dachte: Jetzt zurück nach Hamburg gehen, das wäre, als würde ich mich zum Sterben zurückziehen. Nach 30 Jahren in Hamburg kann man irgendwann nicht mehr zurück, das ist so eine Hassliebe. Und die Stadt ist auch so langweilig geworden.

Vorsicht, jetzt sprechen Sie über Städte!

Nur, weil ich da herkomme. Ich habe die 90er in Hamburg erlebt, mit vielen coolen Konzerten in der Roten Flora, das war eine echt umtriebige Szene. Diese Ära ist leider vorbei.

Olli Schulz und seine Romanidee

Was ist aus dem Buch geworden, das Sie schon so lange ankündigen?

Da schreibe ich noch dran. Seit sieben Jahren jetzt. Darüber rede ich ungern, weil ich mich langsam lächerlich damit mache: Ich war jetzt schon zwei Mal auf Lesetour mit einem Buch, das es noch gar nicht gibt. Ich will einmal in meinem Leben ein Buch rausbringen, das muss dann ein Megaknaller sein.

Der große Deutschlandroman?

Genau. Den kann ich aber auch noch mit 50 rausbringen. Das Buch wird sehr, sehr gut. Ein bisschen wie die Buddenbrooks, mit drei Erzählsträngen, völlig größenwahnsinnig also. Einmal die Geschichte über mich und meinen besten Freund, der 1999 gestorben ist. Dann der zweite Handlungsstrang: die Suche nach meinem Vater, den ich nie kennengelernt habe. Und der dritte: die Popkultur zwischen 1990 und 1999, mein erstes Nirvana-Konzert, wie ich als Techno-Türsteher gearbeitet habe, und so weiter. Das alles verwoben zu einer Geschichte. Also völlig überambitioniert für einen, der noch nie ein Buch geschrieben hat.

Ist das ein ähnlicher Weg wie zum Beispiel bei Schorsch Kamerun, dem Sänger der Hamburger Band Goldene Zitronen, der inzwischen auch Theater macht?

Nee, so was finde ich oft langweilig. Schorsch Kamerun ist toll. Aber wenn ich mir diese Theatersachen ansehe, auch was Rocko Schamoni so auf der Bühne macht …

… der Hamburger Musiker, der unter anderem seinen Roman „Dorfpunks“ auf die Bühne des Schauspielhauses gebracht hat …

… dann denke ich: Das ursprüngliche Werk, also in diesem Fall das Buch, fand ich super. Aber die Theaterversion mit so einer künstlerischen Verschachtelung, das muss ich nicht haben. Man muss doch diesen Hochkulturleuten nichts beweisen!

Es freut Sie aber schon, wenn die „Zeit“ schreibt, dass Sie das Fernsehen revolutionieren?

Das hätte mich vor zehn Jahren mehr gefreut als jetzt. Denn ich weiß genau, dass es als Nächstes heißt: Ah, der große Erneuerer, dann zeig doch mal, was du draufhast mit deinen Hippies! – Ja, du bornierter Sack, das ist eine Erneuerung, weil du dich das nie trauen würdest mit deiner 60er-Jahre-Vorstellung von Kultur. Es geht nicht darum, Kant gelesen und in der Schule gut aufgepasst zu haben. Von so was halte ich mich fern, und ich finde es auch sehr gut, dass diese Kulturidee zunehmend ausstirbt.

Im Intro von „Schulz in the box“ sagen Sie sinngemäß: Ich werde jetzt 40 und will wissen, ob es Lebenswege gibt, die besser zu mir passen als mein eigener. Was stimmt denn nicht mit Ihrem bisherigen Leben?

Ich fühle mich mit 40 Jahren besser als mit 29. Weil ich mein Leben ein bisschen in Form bringen konnte. Es sieht bei mir zu Hause nicht mehr aus wie bei einem Messie, ich muss auch nicht mehr überlegen, wo ich mir einen Zehner für was zu essen leihe oder welche CD ich im Second-Hand-Laden kaufe, um mir eine Kopie zu machen und sie weiterzuverkaufen. Aber als Mensch, der wissbegierig durchs Leben geht, glaubt man doch immer, dass etwas fehlt. Wenn du Vollkommenheit spürst, bist du 68 Jahre alt und heißt Curd Jürgens und wohnst mit deiner 30 Jahre jüngeren Freundin in einem Haus an der Atlantikküste. Solange du diesen Zustand nicht hast, fehlt immer was.

Sebastian Leber, Jens Mühling

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