"Lonely Planet"-Gründer Tony Wheeler: „Ich landete am selben Strand wie JFK“
Tipps für Rucksacktouristen machten ihn zum Millionär. Tony Wheeler erfand mit seiner Frau Maureen den „Lonely Planet“. Welche Stadt Europas bisher unentdeckt ist, und wie er Flugscheine manipuliert.
Mister Wheeler, Sie sind Experte für günstiges Reisen, haben 1973 mit Ihrer Frau Maureen den „Lonely Planet“ gegründet. Angenommen, jemand hat jetzt 30 Tage Urlaub und möchte einen Low-Budget-Trip machen – wohin sollte er fahren?
Low Budget ist eine Einstellung zum Reisen und nicht an einen Ort gebunden. Mit wenig Geld können Sie eigentlich überallhin fahren, es gibt sogar in Tokio, New York und London billige Hostels, genau wie es ultrateure Hotels in vermeintlichen Billigländern wie Indien gibt.
Sie müssen inzwischen in hunderten Unterkünften übernachtet haben. Was ist der größte Fehler der Hotellerie?
Wenn die veränderten Reisegewohnheiten der Menschen nicht berücksichtigt werden. Beispiel: Ein Gast will seinen Laptop am Schreibtisch anschließen. In einem guten Hotel sind in der Verschalung des Tisches freie Steckdosen, in einem schlechten kriechen Sie auf dem Boden herum und müssen sich entscheiden, ob Sie lieber den Kühlschrank oder den Fernseher ausstöpseln.
Ihren Verlag haben Sie 2011 an die BBC verkauft, die veräußerte ihn zwei Jahre darauf an den amerikanischen Verlag NC2 Media. Sie sind noch als Berater tätig. Aufs Geld müssen Sie beim Reisen schon lange nicht mehr schauen.
Ich wäre von mir selbst enttäuscht, wenn ich nicht einmal im Jahr in einer Unterkunft geschlafen hätte, die nur zehn Dollar gekostet hat. Dieses Jahr war das ein Hotel in Luang Namtha in Laos, in der Nähe der Grenze zu China. Das teuerste Hotel in den vergangenen Monaten war das „Splendido“ in Portofino, es kostete 561 Euro pro Nacht – ein Freund hatte Rabatt ausgehandelt. Interessanter ist es natürlich, in einem Haus mit Geschichte zu übernachten, nicht in der Dependance einer Kette.
Haben Sie ein Lieblingshotel?
Ja, es ist das „Poppies“ in Kuta auf Bali. Dort haben wir oft übernachtet, als unsere Kinder klein waren. Mein Sohn ist inzwischen 34 – es gibt ein Foto von ihm als Vierjährigen, wie er in den Hotelpool springt. Im „Poppies“ habe ich neulich ein Zimmer gebucht, es sah noch genauso aus wie vor 30 Jahren, obwohl sich drum herum alles geändert hat. Kuta ist heutzutage chaotisch, voller Touristen. Ich bin da nostalgisch: Früher gab es keine geteerten Straßen, nur Schotterpisten, es war insgesamt angenehm ruhig. Wenn Sie jetzt das Tor zum „Poppies“ öffnen, befinden Sie sich plötzlich mitten in einem wunderbaren Garten, darin sind die 20 Bungalows verteilt, ein schöner Kontrast zum Lärm vor der Tür.
Der „Lonely Planet“ hat diese Massen erst nach Kuta gebracht.
Klar! Wir haben den Flughafen gebaut, wir haben die Pauschalurlauber mitgebracht, das waren alles wir.
Sie klingen sarkastisch. Ihre Bücher hatten eine Zeit lang einen schlechten Ruf, Reiseblogger berichten von „Lonely-Planet-Zombies“, die die Schlafsäle asiatischer Billig-Hostels belagern und die Preise weiter drücken.
Das war Mitte der 90er Jahre, als der Roman „Der Strand“ von Alex Garland herauskam.
Im Buch sucht ein Backpacker nach dem perfekten Strand. Darin heißt es, sobald etwas im „Lonely Planet“ steht, folgt der Countdown zur Apokalypse.
Seitdem hat sich unser Ruf gebessert. Diese Woche hörte ich von einem unserer Manager, dass unser Umsatz steigt, obwohl der Markt für Reisebücher insgesamt schrumpft.
Die gefährlichste Strecke: die Taxifahrt zum Flughafen
Gibt es überhaupt noch unentdeckte Ecken?
Je weiter Sie von einem Flughafen weggehen, umso mehr solcher Orte gibt es. Die Salomon-Inseln zum Beispiel, bei Neuguinea. Auf einer Insel steht ein kleines Guesthouse, weil Präsident Kennedy im Zweiten Weltkrieg auf einem Eiland gegenüber gestrandet ist. Man kann es vom Ufer sehen, etwa eineinhalb Kilometer entfernt. Ich bin eines Morgens mit dem Kajak rübergefahren und landete am selben Strand wie John F. Kennedy, nachdem sein Torpedoboot von den Japanern gerammt worden und gesunken war.
Sie brauchen diese Aufregung, oder?
Eines der besten Bücher, das ich gelesen habe, war „Radio Congo“ von Ben Rawlence. Darin beschreibt er, wie er sich auf den Weg in eine alte Minenstadt mitten im Urwald begibt. Nach der Lektüre musste ich sofort hinfahren.
Die unsichere politische Lage hält Sie nicht ab.
In den 80er Jahren haben wir gedacht, um den Sudan steht es schlecht – und heute ist es schlimmer. Libyen fanden wir unter Gaddafi furchtbar, aber gibt es irgendjemanden, der behauptet, es sei nach seiner Absetzung sicherer geworden?
Barcelona, Berlin, London – auch in Europa kommt es zu Terroranschlägen. Beeinflusst das Ihre Reisepläne?
Es heißt, der gefährlichste Teil einer Reise sei die Taxifahrt zum Flughafen, weil mehr Menschen bei Autounfällen sterben als bei Flugzeugunglücken oder Anschlägen. Daran halte ich mich.
Wie viele Länder haben Sie seit Beginn Ihrer Reisetätigkeit besucht?
Hängt davon ab, wie Sie zählen. Gemäß den Vereinten Nationen gibt es 193 Staaten. Ich habe 160 besucht, aber rechne auch Taiwan und Gibraltar mit. Und natürlich Französisch-Polynesien! Hat eine eigene Fluggesellschaft, eigene Münzen und eigenes Bier.
Ihre Frau Maureen kommt immer mit?
Sie hat inzwischen genug von Entdeckungsreisen. Lieber fährt sie eine Woche nach München und geht in die Oper, während ich in den Sudan reise und mir vergessene Pyramiden angucke.
Sind Sie nicht mal genervt vom Unterwegssein?
Niemals! Es gibt genug Ziele, die mich interessieren. Ich will zum Beispiel unbedingt einmal auf das Burning-Man-Festival in der Wüste Nevadas, auch wenn jeder behauptet, vor zehn Jahren war es besser. Krude Orte faszinieren mich.
Spüren Sie Reisefieber, den berühmten Kitzel im Magen, bevor es losgeht?
Am Flughafen. Ich weiß ja nicht mit Sicherheit, was mich am Ziel erwartet. Es ist, als würde ich ein ungelesenes Buch aufschlagen.
Viele Reisende wollen inzwischen auf gar keinen Fall Touristen sein. In London wirbt derzeit ein Museum mit dem Slogan: „Sei kein Tourist, sondern ein Entdecker.“
Das ist doch lächerlich. Gerade Museen hängen enorm vom Tourismus ab. Schon vor 40 Jahren riefen die Backpacker: „Ich bin kein Tourist!“
Worin besteht der Unterschied zwischen einem Touristen und einem Traveller?
Ein Traveller will sich von den Leuten abgrenzen, die eine Pauschalreise gebucht haben. Touristen wissen, wo sie jede Nacht unterkommen, ein Reisender weiß morgens noch nicht, wo er abends schläft.
Mit dem Sportwagen durch die Stan-Länder
Mr. Wheeler, gerade waren Sie drei Monate mit dem Auto von Bangkok nach London unterwegs, und …
… das war alles vororganisiert und durchgebucht! Überall gab es Wifi und Klimaanlagen. Es ist wohl kaum ein Abenteuer, wenn Sie eine Woche vorher wissen, wo Sie kommenden Donnerstag übernachten. Wir sind mit Sportwagen die Strecke gefahren, acht britische MG aus den 1960er Jahren. Ein Freund hat das mitorganisiert. Er sagte, es gebe noch Raum für einen Wagen im Schiffscontainer. „Wenn du dir schnell einen MG kaufst, hast du den Platz.“ Es war zum Glück nicht so schwer, von den Sportwagen wurden damals viele hergestellt. Ich wollte dabei sein, weil Maureen und ich fast die gleiche Reise vor 45 Jahren unternahmen, nur in die andere Richtung ...
... von London nach Australien. Danach schrieben Sie Ihren ersten „Lonely Planet“ ...
Das war der Hippie-Trail, wie man die Strecke damals nannte. Jetzt haben wir die Seidenstraße genommen. Damals fuhren wir durch Iran, Pakistan, Afghanistan. Heute unmöglich, dafür reisten wir nun durch Kirgistan, Tadschikistan, Usbekistan.
War das aufregend genug?
Ich würde die Tour nicht unbedingt noch mal machen. Die einzige Schwierigkeit bestand darin, in einigen Ländern Benzin zu bekommen. In Usbekistan fuhren überall Chevrolets herum, acht von zehn Wagen, aber es gab kaum Tankstellen, um Benzin zu kaufen. Dafür schmeißt man Ihnen in Turkmenistan den Sprit hinterher – 25 Cent für einen Liter.
So eine Reisegruppe – das ist etwas für Sie?
Ich bin eigentlich kein Freund davon. Man ist auf Gedeih und Verderb mit Leuten zusammen, mit denen man nicht immer klarkommt. Von den acht Paaren hatten einige überhaupt kein Interesse an der Gegend, durch die wir fuhren, sie wollten einfach nur in ihrem Sportwagen durch die Landschaft düsen. Ich fand die Stan-Länder ziemlich interessant, ganz anders, als ich sie mir vorgestellt hatte.
Was für ein Bild hatten Sie denn im Kopf?
Ich dachte, dass ich nur Städte wie Samarkand sehen würde, Moscheen mit blauen Fliesen und Wüstensand drum herum. Dann kamen wir durch Kirgistan – und es sah wie die Schweiz aus. Grün, bergig, schneebedeckte Gipfel. Gerade als wir Zentralasien erreichten, begann der Ramadan. Ich stellte mich darauf ein, kein Essen vor Sonnenuntergang zu bekommen und schon gar keinen Alkohol. In Bischkek, der kirgisischen Hauptstadt, waren die Restaurants tagsüber voll, man konnte Bier kaufen, es fühlte sich ein bisschen wie Österreich an.
Klingt nach: „Been there, done that.“ Es gab also nichts Sonderbares, das Sie faszinierte?
Doch, Turkmenistans Hauptstadt Aschgabat – eine Mischung aus Pjöngjang, Dubai und Las Vegas. Pjöngjang ist eine Geisterstadt, riesige Gebäude und nur wenige Menschen auf der Straße. In Aschgabat ist das noch krasser. Breite Straßen, gesäumt von Apartmentblocks aus schickem weißen Marmor wie in Dubai, nur niemand ist zu sehen. Ein Regierungsgebäude neben dem anderen, es wirkt wie der Strip in Vegas, am Ende steht jedoch eine rotierende goldene Statue des Präsidenten, die sich mit der Sonne bewegt. Einfach nur exzentrisch.
Nervige Visaanforderungen
Dagegen muss die Strecke durch Europa langweilig gewesen sein.
Hätte ich auch gedacht. Doch dann war ich zum ersten Mal in Plowdiw, der zweitgrößten Stadt Bulgariens. Was für ein schöner Ort! Überraschend viele römische Ruinen, hübsche Cafés, die sich an einen Hügel schmiegen, Fußgängerzonen. Und Ryanair fliegt dorthin.
Ein gutes oder schlechtes Zeichen?
Es ist ein Test. Wenn Ryanair einmal täglich von London dorthin fliegt, wird man bald sehen können, ob Touristen die Stadt annehmen.
Und Junggesellenabschiede sie überschwemmen?
Das ist dort zum Glück noch nicht so. Gestern habe ich im Londoner „Lonely Planet“-Büro mal herumgefragt. Nicht ein einziger Kollege war schon in Plowdiw – und das sind alles Weltreisende. Ich glaube, die Stadt wird in den kommenden Jahren boomen.
Ihre Fahrt führte Sie auch durch den Irak. Wegen der aktuellen Einreisebestimmungen in die USA werden Sie bei Ihrem nächsten Flug in die Staaten Schwierigkeiten bekommen.
Ich habe mich sogar zweimal für Probleme qualifiziert, weil ich außerdem einen Stempel aus dem Sudan im Pass habe. Die neuen Vorschriften sind lächerlich. Ich musste deswegen gerade ein Visum an der amerikanischen Botschaft in London beantragen. Ich habe mehrere Pässe, auch einen ohne die Stempel aus den fraglichen Ländern. Aber ich hatte Angst, einer der Grenzbeamten würde meine Website lesen und mich nicht ins Land lassen.
Ist das schon Paranoia?
Vermutlich haben Sie recht. Ich traf gestern Mittag einen englischen Autor, der ein Buch über den Iran geschrieben hat. Als er vor einem Jahr in die Staaten einreiste, war ihm mulmig, weil er Stempel von dort in seinem Pass hatte. Er wollte bei der Grenzkontrolle gerade etwas sagen, da sah der Beamte einen anderen Stempel und rief zu seinem Kollegen: Guck mal dieses komische Visum! Das iranische übersah er komplett.
Mit Ihren 50 Jahren Reiseerfahrung: Sind Visa heutzutage leichter zu bekommen?
Das schwankt. China beispielsweise scheint momentan schwierig zu sein. Die Behörden wollen, dass man alles im Vorfeld organisiert und mit dem Flugzeug im Land ankommt – nicht mit dem Zug aus Hongkong. Wissen Sie, was Sie tun? Nehmen Sie eine Flugbestätigungsmail von London nach Berlin, schreiben Sie Peking drüber, ändern den Namen der Fluggesellschaft und drucken die Mail noch mal aus. Niemand in der Botschaft wird die Airline anrufen, ob Sie wirklich gebucht haben. Sie wollen den Papierkram sehen, darin sind die Chinesen Meister. Jedoch nicht allein: Russland, Indien, sechs Seiten Visumsantrag.
Was ist besonders nervig?
Die Inder wollten alle Länder wissen, die ich in den letzten zehn Jahren besucht habe. Also schrieb ich sie in das Onlineformular – und erhielt die Nachricht: Bitte nicht mehr als 100 Zeichen. Da bin ich gerade bis „B“ wie Bosnien gekommen.
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