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Ein Gottesdienst der St. John Apostolic Church of the Whole World in Kapstadt, Südafrika.
© Mustafah Abdulaziz

Dürre, Fluten, Quellen, Wellen: Eine fotografische Reise über Wasserknappheit

Mustafah Abdulaziz fotografiert Golfkurse in der kalifornischen Wüste und Brunnen in Sierra Leone. Seine Bilder zeigen die politische Dimension des Wassers.

Das Kreuzberger Studio ist chaotisch, gerade wurde eine Dokumentation über seine Arbeit gedreht. Und jetzt soll der Fotograf Mustafah Abdulaziz schon wieder von sich erzählen? Der 33-Jährige aus Brooklyn, New York, trägt schwarze Jeans und versteckt sich unter einer Basecap. So viel Aufmerksamkeit ist ihm sichtlich unangenehm.

Dabei ist er einer der aktuell erfolgreichsten Fotokünstler, erhielt Stipendien der United Nations, des World Wildlife Fund sowie Google und gewann 2019 den Oskar-Barnack-Preis – denn Abdulaziz’ Thema ist so universell wie das Leben selbst: Wasser. Seit 2012 reist der Autodidakt um die Welt, um Dürre, Fluten, Quellen und Wellen zu dokumentieren.

„Ich wollte ein Thema finden, das alle Menschen verbindet. Unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe oder ihres sozialen Status“, sagt er. Bereits heute fehlt laut UN einem Viertel der Menschheit der gesicherte Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Nach einjähriger Recherche flog Abdulaziz also nach Sierra Leone, lebte in den Slums von Freetown, beobachtete die Cholera-Aufklärung an Schulen. Monate später reiste er nach Indien, wo er zweimal dem Lauf des Ganges folgte, schließlich führte ihn das Projekt unter anderem nach China, Äthiopien, Südafrika, Brasilien, Kalifornien und Australien. Gerade die Nicht-Inszenierung seiner Bilder, ihre fast schon beiläufige Leichtigkeit, verleihen diesem Langzeitprojekt seine große Eindringlichkeit.

Classic Club Golf Course, Kalifornien, USA.
Classic Club Golf Course, Kalifornien, USA.
© Mustafah Abdulaziz

„Egal, um welches Thema des Jahrhunderts es geht, immer findet sich Wasser als Kern. Wasser ist Teil der Evolution, Teil unserer kulturellen und spirituellen Praktiken. Auf dem Wasser wurde Weltgeschichte geschrieben. Wasser findet sich in unserer Kunst, von griechischen Skulpturen bis zum Kino. In jedem Film gibt es einen Bezug zu Wasser: Die Seine in Paris, Piraterie am Horn von Afrika. Wasser ist politisch. Wasser trennt Menschen von einem besseren Leben, ich spreche von den Tragödien des Mittelmeers. Die Beispiele sind endlos. Man muss nur unter die Oberfläche schauen, um zu verstehen, dass es kein allgegenwärtigeres Thema gibt als Wasser, wenn man die menschliche Existenz spiegeln möchte.“

Leidenschaft gepaart mit Ahnungslosigkeit

Denkt Abdulaziz an den Ursprung seines Interesses, fällt ihm ein Buch ein: Richard Avedons „In The American West“, von dem er „regelrecht besessen“ war. „Es war das erste Mal, dass ich mit dieser Art von Fotografie konfrontiert war, die mehr darstellte als das unmittelbar Sichtbare. Ich verstand, dass Fotografie mein Weg sein könnte, dass ich überhaupt einen Weg hatte – unabhängig von meiner Herkunft und meiner Hautfarbe.“

Klippenspringer in Wattamolla, Australien.
Klippenspringer in Wattamolla, Australien.
© Mustafah Abdulaziz

Abdulaziz, der mit fünf Geschwistern aufwuchs, war damals 17 Jahre alt. Er begann, alle Informationen über Fotografie zu sammeln, die er finden konnte, analysierte Zeitungen und Magazine, besuchte Büchereien. „Eine Kunsthochschule konnte ich mir nicht leisten, meine Familie war nicht wohlhabend. Also nahm ich wahllos, was ich kriegen konnte. Meine Faszination und meine Leidenschaft gepaart mit meiner absoluten Ahnungslosigkeit trieben mich an.“

Brunnen in Kroo Bay, Freetown, Sierra Leone.
Brunnen in Kroo Bay, Freetown, Sierra Leone.
© Mustafah Abdulaziz

Nach wenigen Jahren begann er, als Fotojournalist Geld zu verdienen. „Zur Werbefotografie hatte ich keinen Zugang. Das konnten meine Bilder nicht leisten. Ich war dagegen in der Lage, Menschen zu fotografieren, die ihren Lebensweg suchten oder für ihn kämpften. Menschen, die im Grunde auf der gleichen Suche waren, wie ich selbst.“

Neuanfang in Berlin

Mit nur Anfang 20 stellte ihn das „Wall Street Journal“ ein. „Es begann die wahrscheinlich intensivste Phase meines Lebens. Ich war von Tänzern und Schauspielern umgeben, von Fotografen und Regisseuren. Ich fotografierte alles, die Fashion Week, Streiks, politische Veranstaltungen. Ich saß im Café mit anderen jungen Leuten und merkte, dass es nicht nur darum ging, etwas zu fotografieren. Es ging darum, meinen Blick auf Dinge festzuhalten. Mein Blick auf die Dinge konnte etwas beitragen.“

Der Fluss Jangtse bei der 30-Millionen-Stadt Chongqing, China.
Der Fluss Jangtse bei der 30-Millionen-Stadt Chongqing, China.
© Mustafah Abdulaziz

Auf der Suche nach künstlerischer Freiheit zieht er 2011 nach Berlin, eine ihm damals vollkommen unbekannte Stadt. „Ich wollte für niemanden mehr arbeiten, suchte meine eigene Bildsprache. Ich wehrte mich gegen die Idee: Als schwarzer Fotograf in den USA darfst du nur die Erfahrung der Schwarzen dokumentieren. Ich will die Erfahrung aller Menschen kommentieren.“

Nach Hurrikan „Michael“, Mexiko Beach, Florida, USA.
Nach Hurrikan „Michael“, Mexiko Beach, Florida, USA.
© Mustafah Abdulaziz

Beim Gedanken an die ersten Tage in Berlin leuchten Abdulaziz’ Augen. „Ich war an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich alles oder nichts tun konnte. Berlin gab mir die Möglichkeit, nochmal neu anzufangen, mich immer und immer wieder zu fragen: Wer willst du sein?“

Mit seiner Arbeit will er nicht erziehen oder belehren, er sieht sich auch nicht als Aktivist. Abdulaziz zeigt dem Betrachter Möglichkeiten auf, konfrontiert ihn mit einer Thematik, die uns alle sowohl direkt als auch indirekt betrifft. „Von dort müssen meine Zuschauer selbst die Verantwortung dafür übernehmen, wohin sie gehen.“

Amélie Baasner

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