Klimawandel: Südeuropa als Verlierer
Der Klimawandel stellt möglicherweise die Agrarwirtschaft komplett auf den Kopf. Die landwirtschaftliche Produktivität in den Mittelmeerländern könnte sinken.
In einem neuen Bericht warnt die Europäische Umweltagentur (EUA) vor einer „alarmierenden Verkettung von Auswirkungen des Klimawandels auf Agrarökosysteme und Pflanzenproduktion“. Diese dürfte sich in Zukunft auf Preise, Menge und Qualität von Lebensmittelprodukten in Europa auswirken.
So steht zu erwarten, dass extreme Wetter- und Klimaereignisse wie Dürren und Frost die bisherigen Handelsstrukturen und die Einkommensverteilung in der Landwirtschaft in Europa umkehren. Die Pflanzenproduktion, wie wir sie heute kennen, wird sich nachhaltig verändern.
Italien, Griechenland, Portugal, Südfrankreich und Spanien würden sich bald einer Verringerung der Rentabilität ihrer Landwirtschaft gegenübersehen, was letztendlich zum Verlust von landwirtschaftlichen Flächen führen und die Bauern zwingen könnte, ihre Arbeit einzustellen, heißt es im Bericht.
Der Ackerflächenwert in den südlichen Regionen Europas wird bis 2100 voraussichtlich um 60 bis 80 Prozent sinken, wobei sich zwei Drittel dieses Wertverlustes auf Italien konzentrieren, wo der Gesamtverlust zwischen 58 und 120 Milliarden Euro liegen könnte. Dies wäre ein Rückgang um etwa 34 bis 60 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum zwischen 1961 und 1990.
Vor allem wird der Prognose zufolge die Häufigkeit von Dürren zunehmen, insbesondere im Frühjahr und Sommer im Mittelmeerraum. In diesen Gebieten könnten sich die insgesamt höheren Temperaturen auch auf den Viehsektor auswirken – in Form von schlechterer Tiergesundheit und verminderter Produktion.
[Übersetzung: Tim Steins. Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins. Erschienen bei EurActiv. Das europapolitische Onlinemagazin EurActiv und der Tagesspiegel kooperieren miteinander.]
Während einige südliche EU-Regionen aufgrund dieser zukünftigen Klimabedingungen also immer weniger für den Pflanzenbau und die Viehzucht geeignet sein dürften, könnte der Wert von Landwirtschaftsflächen in Westeuropa um acht Prozent und in den nordischen und baltischen Staaten um einen noch höheren Prozentsatz steigen.
Böhmen, das neue Rioja?
Längere Anbauzeiträume und frostfreie Perioden könnten den Anbau neuer Kulturen und Sorten wie Mais und Winterweizen in einigen Gebieten Nordeuropas ermöglichen, so der Bericht. Kältere Regionen Europas könnten durch die Erderwärmung insgesamt höhere Weizenerträge erzielen, während die osteuropäischen Länder aufgrund verbesserter thermischer Bedingungen bis 2050 einen Ertragsanstieg im Weinbau verzeichnen könnten.
Im Gegensatz dazu wird es den Winzerbetrieben in den traditionellen Weinregionen im Mittelmeerraum aufgrund der Hitze nicht gut gehen. Laut den Prognosen des EUA-Berichts zeigen die Klimaszenarien überaus nachteilige Auswirkungen auf die Traubenentwicklung und die Weinqualität in Südeuropa. Somit wären zusätzliche Anstrengungen erforderlich, um die Zukunft des Weinbausektors in diesen Regionen zu sichern.
Im Mai 2017 startete daher ein EU-Projekt namens VISCA (Vineyards Integrated Smart Climate Application). Damit soll bewertet werden, was die europäische Weinwirtschaft zur Bewältigung des Klimawandels tun kann. Ziel ist es, mittel- und langfristige Anpassungsstrategien zu entwickeln.
Ende des Olivenanbaus in Nord- und Mittelitalien droht
Angesichts der Herausforderungen für die Bewässerungssysteme in Südeuropa aufgrund der sich verschärfenden Wasserknappheit droht auch ein Ende des Olivenanbaus in Nord- und Mittelitalien sowie in einigen Gebieten Frankreichs und auf der nördlichen iberischen Halbinsel.
Die Verfasser des Berichts sind der Meinung, dass Versuche, sich an den Klimawandel im Agrarsektor anzupassen, für die politischen Entscheidungsträger der Europäischen Union deswegen eine hohe Priorität haben sollten.
„Trotz einiger Fortschritte muss noch viel mehr getan werden. Das gilt für den Sektor selbst, insbesondere für die landwirtschaftlichen Betriebe. Aber auch die künftige EU-Politik muss so gestaltet werden, dass der Übergang erleichtert und beschleunigt wird,“ forderte EUA-Exekutivdirektor Hans Bruyninckx.
Der EUA-Bericht weist außerdem darauf hin, dass die Gesamtauswirkungen des Klimawandels bis 2050 zu einem Verlust von bis zu 16 Prozent des Einkommens der EU-Landwirtschaft führen könnten.
Vor allem muss die Einbeziehung von Klimaschutzmaßnahmen aber auf nationaler und regionaler politischer Ebene verbessert werden, fordern die Verfasser des Berichts. Denn bereits zuvor hatte sich gezeigt: Selbst ein „anpassungsfreundlicher“ politischer Rahmen auf EU-Ebene zieht nicht automatisch eine entsprechende Anpassung auf Kommunalebene nach sich.
Aus diesem Grund schlägt die EUA vor, die politischen Entscheidungsträger in den Mitgliedstaaten sollten erwägen, Bestimmungen für die „Zahlung von Ökosystemleistungen“ im Zusammenhang mit der Klimawandel-Anpassung einzuführen. Dadurch würden entsprechende Anpassungsmaßnahmen, die auch Vorteile für die breitere Bevölkerung bringen, für die Landwirte attraktiver.
Gerardo Fortuna