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Bitte etwas kräftiger. Männer mögen es angeblich lieber, wenn die Massage etwas schmerzt.
© mauritius images/RossHelen

Wellnessprogramm für Manager: Drei Tage matt

Unser Mann will entspannen. Doch nach der Massage wird er mit Jasminspray geweckt, und in der Minibar steht Selleriesaft. Ein griechisches Drama.

Das ist kein Appetit, das ist Bärenhunger: Nach kurzer Nacht und langer Anreise stelle ich mir Pasta, Salat und Espresso vor – die Dame an der Rezeption denkt an Wirsing und stilles Wasser. Ihre Augen flattern nervös zwischen mir und dem Computerbildschirm hin und her. Deftiges Mittagessen? „Das gehört nicht zu Ihrem Programm.“

Das Amanzoe Resort in Griechenland testet ein neues Wellness-Konzept, eines, das Stressabbau und Achtsamkeit in drei Tagen verspricht. Eines, das sich an Männer wendet, die unter Arbeits- und Termindruck leiden. Die in Rekordzeit eine bessere Version von sich werden möchten – dazu in einer schönen Umgebung.

Die Hotelanlage liegt auf dem Peloponnes, mit dem Auto zwei Stunden von der Hauptstadt Athen entfernt. Auf der Fahrt haben wir den Kanal von Korinth überquert, eine Art riesige Ackerfurche mit Wasser, haben endlose Olivenhaine und krumme Feldsteinmauern gesehen. Der Wagen ist Dutzende Serpentinen hoch- und wieder heruntergefahren, bis er auf diesem Hügel mit Aussicht auf die Ägäis gestoppt hat.

Wellness, das hieß für Männer lange, sich unter die kalte Dusche zu stellen, wenn sie abends zuvor zu viel Whiskey getrunken hatten. Ein bisschen Deo unter die Achseln sprühen, weil Sonntag ist. Cremes, Moisturizer, Anti-Faltenserum? Haha, sehr lustig. Wo ist die Kernseife?

Die Zeiten haben sich geändert. Die International Spa Association gibt an, dass der Anteil der männlichen Spa-Besucher 2017 weltweit auf fast 50 Prozent gestiegen ist – von 29 Prozent zwölf Jahre zuvor. Es gibt Wellness-Resorts nur für Männer, spezialisierte Blogger wie „The Spa Man“ und Typen wie Cristiano Ronaldo, der sich auch im Amanzoe weichkneten lässt.

Zoe Nash stimmt zu. Die 34-jährige Britin arbeitet seit 13 Jahren im Ausland, zuletzt in verschiedenen Luxushotels in Südostasien und führt nun die neue Turbokur in Griechenland ein. Drei Tage lang eintauchen in Detox, Stressabbau und Meditation. Sie sagt, bisher hätten nur Männer reserviert.

„Fangen Sie einfach nach dem Lunch mit dem Programm an“, rät sie. Wellness soll nicht gleich mit Selbstkasteiung beginnen. Ich hätte ja auch genauer lesen können: dass die Teilnahme am Programm mit Verzicht einhergeht – auf Zucker, Koffein und Alkohol.

Deshalb hat Zoe die Minibars der Gäste entkernen lassen. Wein raus, Nussmischung und frisch gepresste Säfte rein. Statt Chardonnay steht auf den Etiketten der Flaschen nun etwa „Feel Young“ (Zitrone, Rote Bete, Karotte, Apfel, Sellerie). Beim Auspacken entdecke ich in meiner Tasche einen alten Schokoriegel. Ich erzähle niemandem von meinem Fund.

Zoe bittet nach dem Lunch zu einer Konsultation. Aufgrund eines Fragebogens, den ich eine Woche vorher an sie zurückgeschickt habe, weiß sie bereits über mögliche Allergien und Krankheiten Bescheid. Nun hat sie weitere Fragen.

Das Gespräch findet in ihrem Büro statt, darin stehen ein Tisch, zwei Stühle und eine Massageliege. Durch das Fenster sieht man einen Innenhof mit hellen Natursteinwänden. Sehr beruhigend, keine Dekoration stört die Konzentration auf das Wesentliche: Wie es um meinen Harndrang stehe. Zoe schreibt alles genau in eine Liste auf.

Körperlich sehe ich ja relativ fit aus, findet sie, aber wie stünde es um meine emotionale Gesundheit, meine weiche Seite? „Ich hatte mal einen italienischen Freund, im Gegensatz zu dem war ich ein Eisberg“, antworte ich. Sie schreibt „Italian boyfriend“ auf. Ist das noch ein Symptom oder schon eine Diagnose?

Dann beginnt das Programm mit einer sogenannten „Grounding Massage“. Eineinhalb Stunden knetet mich eine Physiotherapeutin durch, schrubbt die Füße mit Himalayasalz ab, reibt mich mit Sandelholzöl ein und weckt mich, als ich gerade weggeschlummert bin, mit Jasminspray wieder auf. Zum Abschluss wäscht sie meine Füße mit einem heißen Waschlappen ab.

Straffes Programm. An diesem Pool im Amanzoe Resort dürfen sich Gäste nach dem Detox-Frühstück entspannen, bevor es zur Meditation geht.
Straffes Programm. An diesem Pool im Amanzoe Resort dürfen sich Gäste nach dem Detox-Frühstück entspannen, bevor es zur Meditation geht.
© Aman

Zoe Nash hat bei der Konsultation erzählt, dass sie beobachtet, wie anders Männer an Wellness herangehen. Dass sie „etwas Schmerz spüren möchten“ und deshalb eine härtere Massagetechnik bevorzugen. Das entspräche ihrer Physiognomie. Männer haben mehr Muskelmasse, auch um die Gelenke, sie seien versteifter und bräuchten mehr Druck, um Spannungen zu lösen.

Die Therapeutin hat von „performance“ und „endurance“ gesprochen, von Leistungsfähigkeit und Ausdauer. Ihre Klienten, oftmals Geschäftsmänner, wollten vorher analysieren, was eine Anwendung mit ihnen macht, als würden sie eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufmachen. Frauen hingegen seien intuitiver, wenn sie sich auf die Matte legen. Ich denke beim heißen Waschlappen an gar nichts.

Am Abend überreicht mir der Kellner eine spezielle Menükarte. Darin sind jene Gerichte aufgeführt, die ich essen darf. Mit Reis gefüllte Paprika, Hühnerbrust mit Grillgemüse, Lammkotelett und Aubergine. Hätte schlimmer kommen können. Ein Glas Weißwein? „Gehört nicht zu Ihrem Programm“, sagt der junge Grieche. Zurück im Zimmer schlinge ich den Schokoriegel herunter und zögere, die Verpackung in den Papierkorb zu schmeißen. Was, wenn die Zimmermädchen Meldung an Zoe machen?

Ich kann nicht einschlafen. Also lese ich ein wenig. Der britische Journalist Mark Smith steckt hinter dem Pseudonym „The Spa Man“, er listet auf seiner Webseite die besten Resorts für Männer auf. Jedes Jahr besucht er um die 30 Spas und findet, dass das Angebot ein Problem offenbare: Es handle sich um bekannte Behandlungen, einfach „neu verpackt und neu benannt“ für die Zielgruppe.

Er glaubt, dass die Herren nun Spas besuchen, weil sie mehr Konkurrenz verspüren. In den sozialen Medien, auf Meetings und Dating-Portalen. Für Top-Manager gehört es inzwischen zum guten Ton, einen Personal Trainer anzustellen. Alles, um besser auszusehen, fitter für den Job zu sein.

Zoe Nash sagt: „Männer wollen lieber Muskeln aufbauen als Gewicht verlieren.“ Für den nächsten Morgen hat sie deshalb Sport verordnet. Um acht holt mich ein Golfcart ab, tuckert mit mir an weißen Villenkästen vorbei und setzt mich vorm Fitnessstudio ab.

Am Eingang wartet Petros Pappastovou, er trägt kurze Hose, T-Shirt und Rasierstoppeln auf Waden wie Unterarmen. „Unser Hulk“ hat ihn ein Angestellter genannt. Er hat nicht gelogen. Petros’ Brustmuskeln werfen Schatten. Der 29-Jährige macht seine einschüchternde Erscheinung mit einem jungenhaften Grinsen wett.

Zu Beginn schickt er mich fünf Minuten aufs Laufband. „Männer vergessen im Sportstudio gern die Beine“, sagt er. Also lässt er mich zehnmal Squads machen, in die Hocke gehen, langsam aufrichten, Arme ausstrecken, drei Wiederholungen. Über 50 Minuten hinweg reicht er mir Hanteln, zeigt mir richtiges Stretching und Pilates-Übungen.

„Auf den Rücken legen und Arme ausbreiten!“ Petros nimmt meine Beine in seine Hände, presst sie an seine Knie und beugt sich nach vorne, bis ich mich unter ihm einrolle. Thai-Stretching. „Jetzt entspannen“, was nicht so einfach ist, wenn aus den Lautsprechern Axl Rose brüllt.

Das Frühstück ist der Härtetest. Ohne Kaffee fehlt meinem Körper etwas, ich bekomme Kopfschmerzen. Mein Magen weiß auch nicht genau, was hier gerade passiert und rumort in gewissen Abständen wie ein Betonmischer.

Vielleicht hilft die Akupunktur. Zoe erklärt mir die traditionelle asiatische Medizin, dass die Chinesen an Energiezentren im Körper glauben. Hauchdünne Nadeln dringen in meinen Körper ein, an der Wade flammt kurz Schmerz auf, anschließend wedelt Zoe mit einem heißen Stift über die Eintrittsstellen, und leitet die Wärme in meinen Körper.

„Danach könnte dir schwindlig werden“, warnt sie. Ich verlasse den Therapieraum, als würde ich auf Watte treten. Die Kopfschmerzen flauen ab. Ich fühle mich plötzlich leicht euphorisch.

Die Britin erzählt von ihrem ersten männlichen Kunden, einem indischen Geschäftsmann, der sie sechs Monate auf seiner Yacht angestellt hatte. Jeden Tag kümmerte er sich tagsüber um seine Geschäfte und feierte abends Partys. „Er lebte exzessiv und rief mich morgens um vier zu sich, damit er mit Massagen wieder runterkam.“

Das war vor zwölf Jahren. Ein selbstzerstörerischer Lebensstil, meint Zoe, heute hätten Männer zum Glück einen ganzheitlichen Anspruch an sich. Was aus dem Inder geworden sei? Pleite sei er, sagt sie.

Nach dem Mittagessen – Quinoasalat mit Grünkohl und Granatapfelkernen – finde ich mich zur Massage ein, diesmal sollen die Lymphknoten sanft stimuliert werden. Im Hintergrund läuft Keyboard- Musik, die so klingt, als würde jemand probieren, ein und denselben Alphorn-Ton auf einem Synthesizer nachzuspielen, allerdings in extrem verlangsamter Geschwindigkeit. Aber sie beruhigt.

Dafür verläuft die zweite Nacht noch unruhiger als die erste. Ich wache mehrmals auf, mein Magen gluckert, als suche er etwas, was er aufräumen kann. Entspannung scheint schwere Arbeit für den Körper zu sein.

„Du hast gestern ein hartes Programm gehabt“, sagt Zoe mitfühlend, als ich ihr morgens von meinen First-World-Problemen erzähle. Fitness, Akupunktur, 90 Minuten Massage, und mein Rhythmus dreht durch?

Daher hat Zoe eine Morgenmeditation aufs Programm gesetzt. In einem verglasten Raum mit spektakulärem Blick auf die bergige Küste des Peloponnes bittet sie mich, im Schneidersitz Platz zu nehmen. Wir schließen beide die Augen, Zoe sagt eine knappe Stunde beruhigende Sätze auf und imitiert dabei ein Echo.

„Erkenne deine Gefühle ... Gefühle.“ Ich soll Zufriedenheit, Zufriedenheit spüren. und denke dabei nur an: Kaffee, KAFFEE! In Gedanken gehe ich die Lokale zu Hause in Kreuzberg durch und versuche, mich an die Öffnungszeiten zu erinnern.

Nach dem Frühstück darf ich ausbrechen. Ein Ausflug auf die Insel Spetses steht an, zwei Kilometer von der Küste entfernt. Ich sehe Pferdekarren, eine Hafenmole und einen alten Mann, der kraftvoll durchs Wasser schwimmt.

Auf der Insel gelten keine Resortregeln. Ich trinke einen Espresso und bin glücklich. Zurück im Spa wartet eine Massage auf mich, diesmal zwei Stunden lang, es fühlt sich an, als würde mich die Therapeutin erst zerlegen und dann wieder frisch geölt zusammensetzen.

In der Nacht schlafe ich nicht ein, bin allerdings merkwürdig ruhig. Stundenlang liege ich auf dem Rücken, schließe die Augen und schwebe wie in Trance. Drei Uhr nachts, hey, ich habe noch fünf Stunden Zeit, um ein wenig zu träumen.

Am letzten Morgen trainiere ich eine Stunde Pilates mit Petros, dessen Gelenke trotz der massiven Muskulatur deutlich flexibler als meine sind. Zoe Nash fragt mich in der Abschlusssitzung, was ich denn von meinem Programm mit nach Hause nehme. Einen merkwürdigen Schlafentzug, antworte ich. Aber auch ein Gefühl, dass der Körper sich irgendwie gereinigt hat. Er wiegt leichter, habe ich den Eindruck.

Auf der Rückfahrt nach Athen lege ich mich auf die Rückbank des Wagens. Ich schlafe sofort ein.

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