Milan Peschel im Porträt: Der Feuervogel
Milan Peschel liebt Slapstick und ist einer der gefragtesten Schauspieler in Deutschland. Ihm selber merkt man das nicht an. Eine Begegnung.
Hannover liegt schon im Dunkeln, als Milan Peschel aus dem Auto steigt. Er ist als Gast in die NDR-Talkshow „Bettina und Bommes“ eingeladen. Seit Stunden harren Menschen am Studioeingang in der Kälte aus, sie halten Mappen in den Händen, sorgfältig sortiert. Milan Peschel in „Nanny“, Milan Peschel in „Winnetou“, Milan Peschel als Milan Peschel.
Der Schauspieler signiert geduldig, stellt sich zusammen mit den Fans vor Smartphones und Kleinbildkameras. Quadratische Brille, Mehrtagebart, ein freundliches Lächeln. Um sein Handgelenk baumelt ein schwarzer Stoffbeutel, es sieht eher so aus, als sei er eben auf dem Weg in die Kaufhalle statt in ein Fernsehstudio. Später in der Talkshow wird er dem Moderator sagen: „Ich interessiere mich weniger für mich als für die Dinge, die ich tue.“
Milan Peschel gehört gerade zu den gefragtesten Schauspielern in Deutschland. „Tatort“, Fernsehfilm der Woche, Kino. Während andere auf der Hälfte ihres Lebens anfangen zurückzublicken, führt jeder Schritt, den Peschel unternimmt, ihn nach vorn. Er ist bald 49 Jahre alt, er steht in Berlin auf der Bühne, in Polen vor der Kamera, als Regisseur inszeniert er Stücke in Bochum, Heidelberg und Kopenhagen.
Dort, wo die Straßen auf den Berliner Fernsehturm zulaufen, ist sein Zuhause. Im Prenzlauer Berg lebt er zusammen mit seiner Frau und zwei Kindern in einer Altbauwohnung, gegenüber einer Kirche und einem griechischen Feinkostladen. Als man bei ihm zum Gespräch klingelt, ist er gar nicht da. „Er holt nur noch kurz etwas“, sagt sein Sohn, „setzen Sie sich schon mal in die Küche.“
Auf dem Tisch: Kürbisse verschiedener Größen, Äpfel, Mandarinen, Kerzen. An den Wänden: großformatige Bilder in Öl, von ihm gemalt. Darauf Familie, Freunde und Schauspieler. Ein Porträt zeigt Peschel selbst – wie seine Frau ihn sieht – in Farbe, mit gelben Haaren und schiefem Gesichtsausdruck. Als er zurückkommt, hat er Käse und Baguette in der Hand, Abendbrot für die Kinder. Auf dem Herd köchelt eine Gemüsesuppe. „Alles aus dem Garten“, verrät er stolz.
„Vom Jungen, der sich nicht waschen wollte“.
Als Winterkind wurde Milan Peschel 1968 in der Hauptstadt der DDR geboren. Die Mutter Journalistin, der Vater zog früh aus, eine Kindheit in weiblicher Geborgenheit und eine Jugend inmitten der Klänge des Blues. Mit neun Jahren stand er das erste Mal auf der Bühne. Im Sommerferienlager. Das Stück hieß „Vom Jungen, der sich nicht waschen wollte“.
Und Milan Peschel spielte die Hauptrolle an einem heißen Tag vor einem zahnspangentragenden Publikum, das ihm beständig zurief: „Lauter, lauter!“ Diese Zurufe haben ihn nicht gebrochen, sondern motiviert. „Als ich da diese Rolle spielte“, erzählt er, „merkte ich, wie viel Spaß mir das macht. Und als ich nach Hause zurückkam, meldete mich meine Mutter sofort in einer Schauspielgruppe an.“
Peschel trägt einen grauen Pullover und schwarze Hosen, auf dem Kopf wirbeln sich seine Haare wie Zirruswolken am Himmel, schmal und seidig. Seine Augen liegen braun und tief zwischen ein paar müden Falten. Oft spricht man mittlerweile von ihm als dem wohl komischsten Loser des deutschen Films. Mit unschuldigem Blick spielt er die kleinen Männer, Pechvögel, Hartz-IV-Empfänger und Betrogenen, auf deren Seite man sich sofort schlägt, weil es ihnen viel schlechter geht als einem selbst.
Sie bringen einen zum Lachen. Stolpern gegen die Wand, Torte im Gesicht, Kopfsprung in die Pfütze. Er sagt: „Jeder kennt diese Situation mit der Bananenschale. Schadenfreude ist die schönste Freude. Ich stelle mich gern dafür zur Verfügung, sich über mich lustig zu machen. Das mache ich ja selbst auch. Slapstick ist eine Mutfrage. Nicht nur, weil man ohne Eitelkeiten auskommen muss, sondern es kann auch ziemlich wehtun.“
Auf seinem Handy zeigt er ein Video mit Buster Keaton. Der amerikanische Stummfilmkomiker war dafür bekannt, alle Stunts selber zu erledigen und dafür sein Leben zu riskieren. In einer TV-Show von 1956 klebt Buster Keaton mit beiden Füßen am Sirupboden fest. Bei dem Versuch sich von ihm zu lösen, legt er erst ein Bein auf den Tisch, danach das zweite, und knallt so schließlich auf den Rücken. Milan Peschel zieht ein Schmerzgesicht, das gleichzeitig voller Bewunderung steckt. Denn auch wenn Buster Keaton die Szene in Unterhose verlässt, trägt er am Ende immer noch seinen Hut auf dem Kopf. Ein würdevoller Abgang.
„Man lernt das Leben nur auf Umwegen kennen."
Milan Peschel sagt, dass ihm früh klar war, dass er ans Theater will. Damals, in den Achtzigern, war das Theater noch ein Ort für alle Gefühlslagen und Einkommensklassen, ein künstlerisches und produktives Gespräch. An der Volksbühne in Berlin begann er eine Ausbildung als Tischler. „Man lernt das Leben nur auf Umwegen kennen“, sagt er heute und meint damit wohl auch diese Entscheidung. Die fünf Jahre, die er hinter der Bühne verbrachte, haben ihn gut auf das Leben auf der Bühne vorbereitet.
Im Dezember 2016 schwebt der Schauspieler in der Volksbühne vom Himmel hinab wie ein Feuervogel. In einem roten Strampelanzug und in Cowboy-Stiefeln hängt er an einem Seil, das ihn über das Bühnenbild hinweg hebt. In René Polleschs Stück „Diskurs über die Serie und Reflexionsbude“ spielt er zusammen mit Martin Wuttke und Trystan Pütter ein Clownstrio, das sich die „Drei Amigos“ tauft und über Fragen nach Kollektivität und Selbstverwirklichung sinniert. Es wird gesungen, getanzt und getobt. Diese Rolle wird für Peschel sein Abschied von der Volksbühne sein, die Milan Peschel seine „Heimat“ nennt.
Seit 1984 ist er – mit Unterbrechungen – an diesem Haus, das sind zwei Drittel seines Lebens. Seine erste Premiere feierte er 1997 mit Frank Castorfs Inszenierung „Die Weber“. Schon bei der Probe bemerkte er damals, dass er alles wegschmeißen konnte, was er in der Grundausbildung an der Schauspielschule gelernt hatte. Er tanzte Polonaise nach Ska-Musik, kletterte fast zehn Meter über dem Bühnenboden eine Leiter hinauf und schrie laut: „Mutter! Hunger!“ „Ich habe gedacht: Was ist denn hier los?“, erinnert er sich. „Hier war alles möglich: Ohne Punkt und Komma zu sprechen, Pausen einzulegen oder ganz zu schweigen. Auf der Bühne herrschte absolute Freiheit. Man bewegte sich, wie man wollte, die Hauptsache war, dass man von A nach B kam.“
Dass Dinge nicht so bleiben, wie sie einmal waren
Wenn er von Frank Castorf erzählt, redet er von Glück. Von Prägung. Von einer Vaterfigur. Von ihm habe er gelernt, nicht im Dienst eines Gewerbes, sondern eines Textes zu stehen, und dabei eine Haltung zu haben, sagt er. Als er 2012 den Deutschen Filmpreis für seine Rolle des krebskranken Familienvaters in „Halt auf freier Strecke“ gewann, dankte er dem Regisseur Andreas Dresen, der Filmcrew, aber vor allem seiner „Theaterfamilie“: Henry Hübchen, Sophie Rois, Kathi Angerer, Bernhard Schütz. Unter Tränen erklärte er: „Ich durfte mit diesen Leuten spielen, und nur deswegen stehe ich heute hier.“
Vor zwei Wochen hat der Fernsehsender RTL seine Premiere des Dreiteilers „Winnetou“ im Berliner Delphi-Filmpalast gefeiert. Milan Peschel spielt in dieser Neuverfilmung des Klassikers den Old-Shatterhand-Begleiter Sam Hawkens, klein, skalpiert und humorvoll. Zur Premiere hatte man im Kinosaal zwei Reihen für die Schauspieler reserviert: Mario Adorf saß da, Wotan Wilke-Möhring und Nik Xhelilaj, der Winnetou. Der Platz von Milan Peschel blieb leer. Er hatte sich zu seiner Familie gesetzt; seiner Mutter, seiner Frau und den beiden Kindern.
Wenn er auf seine 25-jährige Schauspielerbiografie blickt, erinnert er sich besonders an eine Rolle. In „Fight City/Vineta“ spielte er 2001 unter der Regie von Armin Petras einen Boxer, der mit 32 Jahren zurück nach Frankfurt/Oder ziehen muss, weil seine Zeit im Westen abgelaufen ist. In seiner alten Heimat versucht er nun inmitten der nachkommenden Jugend eine zweite Karriere zu starten. Trauriger und lustiger sei keine Figur für ihn gewesen, meint Milan Peschel. Er habe sich in ihr wiedergefunden, mit den Gedanken, die er sich selbst oft macht. Darüber, dass Dinge nicht so bleiben, wie sie einmal waren. Und dass man trotzdem nicht vergisst, woher man kommt.
„Winnetou – Das Geheimnis vom Silbersee“, Dienstag, 20 Uhr 15. „Winnetou – Der letzte Kampf“, Donnerstag, 20 Uhr 15. Beide RTL.