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Zum Lesen. „Das Kapital“ hat der Leipziger Designer Markus Dreßen sein Café in der Galerie für Zeitgenössische Kunst genannt.
© Alexandra Ivanciu

48 Stunden literarisches Leipzig: Die schönsten Seiten der Buchmessestadt

In der Nationalbibliothek fühlt man sich weise, in der Apotheke wird Literatur verkauft. Unterwegs in Leipzig.

11 Uhr

Freude, Freude, Götterfunken! Kein Wunder, dass Schiller in Leipzig seine berühmte Ode zu schreiben begann. Ein sonniges Februarwochenende reicht, um sich bezirzen zu lassen von der Stadt, die so jung und lebendig wirkt. Schiller hat hier anno 1785 einen ganzen Sommer verbracht. Wie Leipziger Freunde den Schriftsteller aus einem Tief holten und ihm neuen Schwung gaben, erfährt man im Schillerhaus, mehr ein Häuschen, Deutschlands älteste Literaturgedenkstätte (Menckestraße 42).

Wenn’s wärmer wär’, würde man im Bauerngarten des Hauses einer Lesung lauschen. In dieser Jahreszeit empfiehlt sich Bewegung. Den ganzen Tag könnte man, fernab der innerstädtischen Touristenströme, durch die Straßen von Gohlis ziehen, die Villen des Stadtteils bewundern, sich durchs Schlösschen führen lassen, den gackernden Hühnern lauschen. Mit einem Buch in der Hand: „Leipziger Spaziergänge – Alt-Gohlis“ aus dem Lehmstedt Verlag. Man muss nur dessen Spuren folgen.

13 Uhr

Leipzig, Stadt der Dichter und Verleger, Drucker und Illustratoren. Literatur allüberall, selbst die Kaschmir-Boutique in Specks Hof hat ihr Schaufenster damit bestückt: Nikolaj Gogol, „Der Mantel“, Carl Sternheim, „Die Hose“, Luigi Pirandello, „Das schwarze Umschlagtuch“. Die gemusterten Umschläge der Werke aus der Insel-Bücherei würden selber fantastische Stoffe ergeben.

Ebenfalls in Specks Hof liegt die preisgekrönte Connewitzer Verlagsbuchhandlung, die grafisch besonders schön gestaltete Bücher herausbringt – Literatur und Kunst sind in Leipzig nie weit voneinander entfernt. Die Connewitzer bringt jedes Jahr die Anthologie der angehenden Schriftsteller aus dem legendären Literaturinstitut heraus, einer DDR-Einrichtung, die über die Wende gerettet wurde.

14 Uhr

Ein paar Schritte weiter: Barthels Hof, wo der 2003 gegründete Lehmstedt Verlag seine Bücher produziert. Die Spezialität neben Reiseführern und Kulturgeschichtlichem: Fotografie, vor allem aus dem Osten. Die großen Leipziger Traditionshäuser – Reclam, Insel, Brockhaus – sind der Stadt abhandengekommen. Andererseits, erzählt Mark Lehmstedt, gibt es heute mehr Verlage als zu Zeiten der DDR. Viele kleine zwar, sind sie doch auf jeden Fall Beleg für Leipzigs Lebendigkeit. Und dass der Lehmstedt Verlag (der selbst nicht zu besichtigen ist, wohl aber der Hof) an einem so schönen zentralen Ort sitzt, ist ein Beispiel dafür, dass Kreative hier noch ein Zuhause finden.

15 Uhr

Augen zu, Worte hören. Mit Ohr und Herz, empfiehlt der Pfarrer. Schier himmlisch klingt der Motettengesang des Chors in der Thomaskirche.

17 Uhr

Den schönsten Schriftzug der Stadt entdeckt man, nein, nicht auf einem Buch, sondern an der Milchbar namens Pinguin (Katharinenstraße 4). Seit 1964 treffen sich die Leipziger in dem Café. Köstliches Mokkaeis, selbst gemacht. Man kann draußen in der Sonne sitzen. Oder, wenn sie untergegangen ist, die leuchtenden Pinguine an der Ladenfront bewundern.

18 Uhr

Auf in den coolen Westen der Stadt, zu Polylogue (Merseburger Str. 47). Internationaler Buchladen, Café, Weinhandlung. Im polyglotten Wohnzimmer lässt man sich auf dem altrosa Fransensofa nieder, die französische Betreiberin bringt Cappuccino, man blättert in spanischen Graphic Novels. Wie in vielen Leipziger Shops gibt’s feinste Schreibwaren, etwa die kunstvoll collagierten Ansichtskarten vom „Planet Leipzig“. Die Kunden des charmanten Ladens scheinen alle Freunde zu sein, Küsschen links, Baiser rechts. Nach durchfeierter Nacht deckt sich ein Paar mit Lektüre für den ruhigen Abend zu Hause ein.

19 Uhr

„Jeder Schluck ist ein guter Schluck“, steht über den Fenstern von „Pilot“, dem Bistro des Schauspielhauses. Der hohe Raum im 60er-Jahre-Look ist wieder gefüllt mit jungen Leuten. Durchgefroren wärmt man sich mit einer Soljanka der guten Art, mit frischen Tomaten, viel Wurst und Kresse auf dem Schmand.

Dann ins Theater, „Atlas“, ein Auftragsstück über vietnamesische Gastarbeiter in der DDR. Durch riesige Fenster schaut man nach draußen, plötzlich wird die Stadt zur Bühne. Dick eingepackt spielen die Akteure im Scheinwerferlicht draußen weiter. Passanten werden zu Mitspielern, Autos und Straßenbahnen zur bewegten Kulisse. Einmal fährt draußen ein blauer Trabi vorbei. Die Akteure ringen um Worte, als sie von Abtreibungen mit dem Kleiderbügel erzählen – schwangere „Fidschis“ wurden abgeschoben.

23 Uhr

Enorm, wie präsent die DDR in Leipzig ist. Weniger in Form von Ostalgie (wobei es dafür sogar ein eigenes Museum gibt), eher als Erinnerung, Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, als Fortsetzung von Traditionen. Im Leipziger Hof im Osten der Stadt kann sich, wer mag, in der DDR-Suite einmieten. Vom Korbsessel bis zur gemusterten Tapete alles original, einschließlich der Lektüre. Die Möbel wurden ersteigert aus den Beständen des Gästehauses des Ministerrates und Politbüros. Neulich kam eine Schulklasse vorbei, um das Zeitdokument zu besichtigen.

Im Eckzimmer im dritten Stock träumt es sich besser. Auf dem Nachttisch liegt ein Roman von Erich Loest, „Löwenstadt“, mit persönlicher Widmung für die Hotelgäste, denen der Leipziger Schriftsteller eine gute Nacht wünscht. Loest ist ein Freund des Hausherrn gewesen, ein Physikprofessor aus München, der 1992 schon die Herberge in den denkmalgeschützten Altbauten eröffnete. Treppenhaus, Flure, Zimmer und Galerie hat Klaus Eberhard mit seiner Sammlung von Bildern der Leipziger Schule gefüllt, der alten wie der neuen (Führungen auch für Nicht-Hotelgäste).

Am nächsten Morgen ein kleiner Spaziergang durch das Quartier, das sich in den vergangenen Jahren so radikal verändert hat. Ein saniertes Gründerzeitviertel, auferstanden aus Ruinen. Viele Studenten-WGs sind eingezogen, noch sind die Wohnungen erschwinglich.

Die halbe Stadt ein Park

Zum Schauen. Das Schauspielhaus
Zum Schauen. Das Schauspielhaus
© Andreas Schmidt, Leipzig

11 Uhr

Das ganze Wochenende könnte man in den Bibliotheken der Stadt verbringen. Neidisch steht der Berliner vor dem Palast von Stadtbibliothek am Wilhelm-Leuschner-Platz, bewundert das Treppenhaus der Bibliotheca Albertina, fühlt sich in den imposanten Lesesälen der Deutschen Nationalbibliothek gleich weise. Jedermann kann hier einkehren, sich auf die Bauhausstühle setzen, denken und dichten, in den gigantischen Beständen lesen oder an einer Führung teilnehmen (dnb.de). Und dann im angeschlossenen Buch- und Schriftmuseum lernen, wie die Helvetica oder Times New Roman erfunden wurden.

14 Uhr

„Nikolaikirche – offen für alle“, steht auf dem Fahrradständer. Das war das Motto des evangelischen Gotteshauses Ende der 80er Jahre, als die montäglichen Friedensgebete Tausende Menschen zum Protest bewegten und Leipzig zur Heldenstadt wurde. In der Ausstellung neben dem Altarraum liegt Erich Loests „Nikolaikirche“ über die heiße Zeit des Protests, in der kircheneigenen Bücherstube kann man den Roman auch kaufen. Der Geist wird fortgesetzt, noch immer finden jeden Montagnachmittag um fünf Friedensgebete statt.

Aber erst mal schnappt man verblüfft nach Luft. Alles so prächtig heiter und hell! Fast glaubt man, in einem Sommerschloss gelandet zu sein. Cremefarbene Bänke, zartrosa Säulen, aus denen grüne Palmen wachsen. Hinsetzen, genießen. Und hinterher einen Blick ins Antiquariat an der Nikolaikirche werfen. Filmreif.

16 Uhr

Wenn der Reclam Verlag, anno 1828 in Leipzig erfunden, schon nicht mehr hier arbeitet, so gibt’s seit Kurzem im alten Graphischen Viertel doch ein kleines Reclam-Museum mit großer Sammlung (Kreuzstraße 12). Ein spannendes Kellerkind. Der Westler erfährt, dass Reclam mal weit mehr als gelbe Heftchen bedeutete, nämlich brisante DDR-Literatur.

17 Uhr

Die halbe Stadt ein Park. So wandelt man durch den Palmengarten, über das Wehr, durch den Wagner-Hain, in dem die Schriftstellerin Rebecca-Maria Salentin einen Bauwagen zum Café „Zierlich-Manierlich“ umfunktionierte und so ihr Schreiben finanzierte. Im April wird ihre Nachfolgerin es wieder eröffnen. Schon jetzt herrschen Frühlingsgefühle im kahlen Park. Paare liegen sich in den Armen, radeln Hand in Hand, schieben einen der vielen Kinderwagen vor sich her. Kugelrund hängt die Sonne über den Bäumen am anderen Ufer.

17:30 Uhr

Ins Café der Galerie für Zeitgenössische Kunst ist der Schriftsteller Saša Stanišic gern gegangen, als er am nahe gelegenen Literaturinstitut studierte. Da sah das Café noch anders aus: Alle paar Jahre gestaltet ein Künstler den Pavillon, die aktuelle Version stammt von Markus Dreßen, Professor an der benachbarten Hochschule für Grafik und Buchkunst. Im Café „Das Kapital“ sitzt man unter farbenfrohen 70er-Jahre-Lampen, die im Spiegel der Fenster wie Lampions wirken. Gartenfest-Stimmung. Am Nachbartisch wird Literatur besprochen: „Ich hasse Houellebecq!“, sagt die junge Frau.

19Uhr

Noch ein Café?! Muss sein. Auch Schiller ging in Leipzig gern ins Kaffeehaus. Wo sonst soll man denn lesen und dichten. An der ruppigen Eisenbahnstraße des Ostens, Nr. 99, liegt die „Kulturapotheke“ mit angeschlossener Buchhandlung. Ein Gläschen Wein, ein Wichtelkrauttee, Lektüre. Behaglich dunkelgrün die Wände, aus Holz die Vitrinen. Fontane-Feeling. Während der Buchmesse werden hier wieder Lesungen stattfinden. Vom 21. bis 24. März verwandelt sich ganz Leipzig in eine Lesebühne: 3600 Veranstaltungen an 550 Orten. Auch für Einheimische eine Gelegenheit, die Stadt neu zu erkunden.

Reisetipps für Leipzig

Hinkommen

Mit der Bahn ab Berlin eine gute Stunde Fahrzeit, Sparpreis ab 14,90 Euro. Mit Flixbus zwei bis drei Stunden, ab 9,99 Euro.

Unterkommen

Galerie Hotel Leipziger Hof, Hedwigstraße 1–3, Doppelzimmer mit Frühstück ab 89 Euro, leipziger-hof.de.

Im Book Hotel, Auguste-Schmidt-Straße 6, dienen Bücher als Dekoration. Doppelzimmer mit Frühstück ab 99 Euro, book-hotel-leipzig.de.

Während der Messe liegen die Preise generell höher.

Rumkommen

Mit der Leipzigcard (drei Tage für 24,40 Euro) kann man das ganze Nahverkehrssystem benutzen.

Mehr unter: leipzig.travel

Geführte Stadtrundgänge: leipzig-erleben.com

leipziger-buchmesse.de

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