Berliner Schnauzen: Sibirischer Steinbock: Der Hipster unter den Zoobewohnern
Modisches Ziegenbärtchen und dicke Hörner sind seine Markenzeichen. Noch ist der alte Steinbock der Chef am Fels. Doch das kann sich bald ändern.
Es gibt vier Männer und neun Frauen auf dem Felsen. Das riecht nach Ärger, nach Hahnenkampf. Der findet aber nicht statt. Wie jeder weiß, der im Sternzeichen des Steinbocks geboren wurde, sind wir Steinböcke eher vernunftbegabte Wesen, vielleicht manchmal stur und etwas dickköpfig, aber beharrlich und gelassen.
Nicht nur die menschlichen Steinböcke, auch die sibirischen. Das kann sich indes bald ändern im Zoo. Der Chef am Fels ist 14, das ist der Herbst bei einer Lebenserwartung von etwa 20 Jahren. Und die Jungspunde werden sich bald versuchen. Noch schützt den Chef sein mächtiges, gewundenes und oberarmdickes Gehörn, mit dem er sich schon noch erwehren kann gegen das bisher nicht so stark ausgeprägte, sagen wir es ruhig: Gemächt der Stoppelhopser.
Nicht immer, erzählt Kurator Tobias Rahde, könne man sagen, wer nun wirklich Vater des Jungtiers sei. Wenn das der Alte wüsste! Sibirische Steinböcke – das unterscheidet sie auf jeden Fall von den menschlichen – sind nicht sehr intelligent, der Alte weiß von nichts, oder ist doch weise genug, es nicht wissen zu wollen.
Immerhin ist er noch fit genug, ganz nach oben auf den Elbsandstein im Zoo zu kraxeln mit seinen Füßen und den rauem Radiergummi ähnelnden Sohlen. Da sonnt er sich dann, erfreut sich seiner Macht, ist schwer erreichbar für menschliche Pfleger, die müssen sich nämlich anseilen, um dort hinzukommen, wo der Steinbock mit spielerischer Leichtigkeit hinkommt. Satt von Stroh und Kräutern und alten Weihnachtsbäumen, die hat er schon auf der Mittelstation zu sich genommen.
Sein Gehörn ist ihm überlebenswichtig
Es ist ein ziemlich bequemes Leben, was der Alte, die Jungen, die Weibchen dort auf dem Naturstein führen. Den Steinadler, auf den sie in der Heimat achten müssen, weil er gierig auf sie ist und auch stärker, haben sie nicht zu fürchten. Den Menschen, der schon wieder, der ihm seinen Lebensraum raubt, hier, in gesicherter Obhut, auch nicht. Und ob es nun Winter ist oder Sommer, was kümmert es ihn, er wechselt eh sein Fell. Sehr zur Freude der Vögel, die gerne auf ihm rumpicken. Er lässt sie großzügig gewähren, liegt einfach nur da im Gebirge, steigt, wenn ihm der Sinn danach steht, auf den Gipfel, lässt den Herrgott einen guten Mann sein. Reinhold Messner, auch ein Bergfex, hat es wesentlich schwerer, würde sich so einen Lebensentwurf wohl wünschen, aber der ist im September geboren, mithin kein Steinbock.
Dem sibirischen Steinbock ist sein Gehörn wichtig, wichtiger noch als sein Ziegenbart, den er ein wenig hipstermäßig mit sich rumträgt, überlebenswichtig im Kampf mit der Natur und notgeilen Konkurrenten. Aber was hat der Mensch vom Horn? Er hängt es sich auf im Wohnzimmer, was dümmlich genug ist. Oder er zermalmt es und nimmt es zu sich, weil er glaubt, mindestens so gut und ausdauernd Berge besteigen zu können, wie es der vierbeinige Steinbock kann.
Nun ist der Mensch also so dumm, jagt Trophäen, deshalb ist der sibirische Steinbock vom Aussterben bedroht. Noch gibt es etwa 250 000 Exemplare in den Gebirgsregionen Asiens, bis hoch auf über 6000 Meter. Aber die werden wir Menschen auch noch schaffen, geborene Steinböcke ausgenommen, die sind vernunftbegabt. Also Jungs und Mädels im Zoo, strengt euch an, schafft eins, zwei, viele Nachkommen!
Sibirischer Steinbock im Zoo
Lebenserwartung: Bis zu 20 Jahre
Interessanter Nachbar: Asiatischer Elefant
Helmut Schümann