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Seine Majestät, der Alpensteinbock! Die Wildziege ist ein kraftvolles Tier und ein exzellenter Kletterer.
© imago/blickwinkel

Der Alpensteinbock im Tierpark: Peter hatte Glück

Vor 100 Jahren stand er kurz vorm Aussterben. Jäger ließen nur 200 Tiere übrig. Doch dann beschloss der König Italiens, dem König der Berge zu helfen.

Natürlich. Ganz oben, auf einem der höchsten Berge Berlins, steht er: kräftige Flanken, gebogene Hörner, der König der Alpen. Wenn er wollte, könnte Peter, der größte Steinbock im Tierpark Berlin, an einer senkrechten Nordwand entlangbalancieren, über eine Felsspalte springen oder in Sekunden einen Gipfel erstürmen. Doch Felsen gibt es hier nicht und Nordwände schon gar nicht. Streng genommen steht Peter ja nicht mal auf einem Berg.

Es war das Jahr 1949, der Zweite Weltkrieg verblasste in den Köpfen der Berliner schon zur Erinnerung, da verluden sie das, was von den Stadtteilen Mitte, Friedrichshain und Lichtenberg übrig geblieben war und karrten es hinaus in den Osten der Stadt. 68 Meter hoch stapelten sie Betonbrocken und Dachziegel, Kacheln und Schutt. Den Haufen nannten sie Trümmerberg Friedrichsfelde. Und heute? Lebt hier ein König – und was für einer.

130 Kilogramm wiegt Peter. Auf seinem Kopf wölben sich Hörner lang wie Husarensäbel. Mit zwei beweglichen Zehen pro Huf krallt er sich in Felssimse und findet noch auf pfenniggroßen Vorsprüngen Halt. Wölfen und Luchsen klettert er davon. Wird so einem Protz überhaupt irgendwer gefährlich?

Seine Organe sollten vor Unheil schützen

Klar, der Mensch. Noch einmal ein halbes Jahrhundert bevor die Berliner den Trümmerberg aufschütteten, schossen Jäger die Wildziegen von den Felsen, wie sie Fliegen in der Stube jagten. Ein getöteter Steinbock versprach Ruhm und Ehre, seine Organe Linderung fast aller Krankheiten. Das Blut, warm getrunken, verwandelte Schwächlinge in Helden. Das Horn, pulverisiert, galt als universales Gegengift. Am wichtigsten aber war den Jägern das Herzkreuzchen, eine Geschwulst, verankert am Ursprung der Aorta, Quell allen Lebens. Wer eines besaß, besaß die Stärke des Steinbocks.

200 Tiere ließen die Jäger übrig gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Sie alle lebten im Nationalpark Gran Paradiso im nordostitalienischen Aostatal und gehörten König Vittorio Emanuele III, einst selbst leidenschaftlicher Jäger der Tiere. Doch der König Italiens beschloss, dem König der Berge zu helfen und schickte seine besten Jäger als Wildhüter aus. Von Wilderern gefürchtet, verhalfen sie dem Tier zu einer Jagdpause. Schnell vermehrten sich die Böcke wieder, bis ihre Anzahl innerhalb weniger Jahre auf 600 stieg.

Die Schweizer klauten drei Jungtiere

Vor allem die Graubündener blickten nun neidisch nach Süden, wo ihr Wappentier wieder über die Felsen sprang. Der italienische König aber zeigte sich bockig: Kein einziges Tier wollte er den Schweizern abtreten, die sich anders behelfen mussten. Bei Nacht und Nebel schlichen sie sich in den Nationalpark und stahlen drei Kitze.

Zurück in der Schweiz päppelten sie sie auf und siedelten die Jungtiere schließlich aus. So kam der Steinbock zurück in die Schweiz – und später auch nach Slowenien, Österreich und Deutschland. Alle 50 000 Tiere, die heute im Alpenraum leben, sind Nachfahren jener 200 aus dem Bestand des italienischen Königs. Genetischer Flaschenhals, nennen Wissenschaftler das.

Ob Peter weiß, wie viel Glück er hatte? Wuchtig tritt er mit den Hinterbeinen auf den Boden und reckt das Geweih empor. Ist ja gut, Ihre Majestät.

ALPENSTEINBOCK IM TIERPARK

Lebenserwartung:  15 bis 20 Jahre

Besonderes: 2011 wilderte der Tierpark Berlin zwei Steinböcke aus – in Österreich
Interessanter Nachbar: Bartgeier, Mufflon

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