Männerschmuck: Das Goldkettchen ist zurück
Pharaonen und Proletarier schmückten sich damit. Androgyne Millennials halsen es sich nun wieder auf. Warum?
Früher hing es um den Hals des Jugendtrainers im Fußballverein, selbstgeschmiedet, das erzählte er manchmal. Es kringelte sich durchs Brusthaar des italienischen Gastwirts, der gewonnene Heimspiele mit seinen käsetriefenden Pizzarädern krönte. In den Sommerferien, die damals endlos schienen, blinkte es aus den sonnenbrandgebräunten Nackenfalten der Bademeister im Freibad, stolz und männlich: das Goldkettchen.
Wie ein Ehrenzeichen trug es der echte Mann, sein einziger Schmuck außer dem eingewachsenem Ehering und dem Bierbauch, und wahrscheinlich tut er das noch immer, dort, wo es weiter echte Männer gibt, auf Fußballplätzen, in Kneipen und an Schwimmbeckenrändern. Einerseits. Es ist seltsamerweise aber auch dieses alte Symbol der Männlichkeit, womit sich die androgynen Internetkids von heute auf ihren Instagram-Kanälen am liebsten schmücken. Dort baumelt das Goldkettchen seit einiger Zeit von dünnen Hälsen, von dermaßen vielen Hälsen, dass praktisch alle Modemedien – „GQ“, „Vogue“, „Cosmopolitan“ – eilig Goldkettchen-Tragetipps herausgegeben haben. (Zusammengefasst: Starten Sie mit einer einzelnen Kette, außer Sie sind Rapper, Model oder Johnny Depp, dann gehen auch komplexe, kettenhemdartige Gehänge.)
2019, da scheinen sich die Luxusmodehäuser einig zu sein, braucht es ein Kettchen am Hals, um den eigenen Charakter einigermaßen nuanciert ausdrücken zu können. Dior Homme warb im Sommer die koreanisch-amerikanische Starjuwelierin Yoon Ahn als Schmuckdesignerin an. Das britische Label Alexander McQueen entwarf für die Frühjahrskollektion mehrere Ketten mit Swarovski-Kristallen. Chanel schickt seine Männermodels ebenfalls schmuckbehangen über die Laufstege, und das italienische Modehaus Gucci wird dieses Jahr eigens eine Kollektion mit edelsteinbesetztem Luxusschmuck herausbringen.
Junge Stilikonen verzichten auf Testosteron-Klischees
Im Vergleich zum weltweiten Umsatz mit Frauenluxusschmuck, 31,9 Milliarden Dollar im Jahr 2017, liegt der Verkauf von Ketten, Ringen und Uhren für Männer mit 5,3 Milliarden laut Euromonitor International zwar noch weit zurück, aber der Markt wächst schnell. Dafür sorgen vor allem die Millenials, junge Erwachsene zwischen 15 und 35. In den USA tragen sie schon zur Hälfte des Umsatzwachstums mit Männerschmuck bei, wie das Marktforschungsinstitut NPD Group ermittelt hat. Ketten machen ein Viertel der Verkäufe aus, übertroffen nur von Ringen. Stilikonen wie Will Smiths Sohn Jaden und Maurice Ernst, der Sänger der österreichischen Band Bilderbuch, und der Rapper „Tyler, The Creator“ – alle tragen Schmuck, alle tragen Goldkettchen.
Die drei eint auch, dass sie keine dieser Sportschau-Männer sind, stark am Weizenglas, ständig im Camp-David-Hemd. Wenn „Tyler, The Creator“ einen Song „Gelato“ nennt und im Duett mit dem Sänger Jacquees fragt, wer von den beiden nun „Oliv“ sei und wer „Elio“, dann ist das womöglich nur eine kokettierende Anspielung auf den Film „Call Me By Your Name“, die schöne Liebesgeschichte von Oliver und Elio. Vielleicht spricht da aber auch ein Rapper in seltener Offenheit über seine Homosexualität. Jaden Smith, ein Mann, der seine Haare manchmal rosa färbt, verkündete kürzlich, Tyler und er seien ein Paar, was Tyler mit „Du bist verrückt, Mann“ kommentierte.
Maurice Ernst singt seine Online-Liebeslieder zwar für eine Sie, oder mehrere, er wackelt schon gern mit dem Po dazu, tanzt an Stangen herum und streift sich einen gelben Lederhandschuh über. Als Boyband würden Maurice, Jaden und Tyler garantiert viele Geschlechtsgenossen begeistern.
Fragt sich, was sie und andere, die mit traditioneller Männlichkeit wenig anfangen können, gerade zum Goldkettchen bringt, einem besonders plumpen Testosteron-Klischee.
Protzschmuck in der Light-Version
Vielleicht macht es der Stil, der seit einigen Jahren Mode ist, das Proletenhafte der Trainingsanzüge und Turnschuhe. Gosha Rubchinskiy zum Beispiel, einer der prägendsten Designer dieses Looks, schickt seine Models regelmäßig mit schweren Ketten auf den Laufsteg. Und wenn Adiletten nunmehr im Alltag als adäquate Fußbekleidung gelten, passt ein Goldkettchen am Hals perfekt dazu. Immer schon mochte der moderne Hipster proletarische, also prollige Erkennungsmerkmale: In den späten Nullerjahren trug er Schnurrbart, Unterhemd und Truckercap.
In Sachen Männerschmuck dürfte auch der Wahnsinnserfolg von Hip-Hop seinen Teil beigetragen haben. Seit Jahrzehnten feiern Rapper mit Uhren, Ohrringen und untertassengroßen Namensschildern am Hals ihren sozialen Aufstieg. Die babyarmdicken Goldketten strapazieren manchmal die Grenze des Erträglichen, aber sie verschieben sie damit auch. Unterstützt von all den Profisportlern, Schauspielern und Youtubern, die gern wie Rapper aussähen, haben die Stars des Hip-Hops ihren Protzschmuck in der Light-Version für alle Männer tragbar gemacht: hier ein schlichter Ring, da ein Goldkettchen. Sicher liegt der Klunkertrend auch am Revival der 90er Jahre, einer Epoche, in der es Männern schon einmal kurzzeitig erlaubt war, sich eine Panzerkette um den Hals zu legen, sogar wenn sie nicht in der Erotikindustrie arbeiteten. Überhaupt ist es ja nicht so, dass Männerschmuck eine Errungenschaft des 21. Jahrhunderts wäre. Frühe Goldkettenträger der Menschheitsgeschichte waren Pharaonen und einige Jahrhunderte später, im Mittelalter, Könige.
Lange trugen in vielen Ländern Männer sogar mehr Schmuck als Frauen, nachzusehen auf Gemälden holländischer Patrizierfamilien und den Malereien vom Hofstaat indischer Maharadschas. In der Neuzeit verloren versilberte Waffengürtel und Siegelringe ihre Funktion, und Utensilien, die keinem Zweck dienten, wurden zu etwas Schmückendem, Femininem. Den Männern blieben Uhren(-ketten) und Manschettenknöpfe, im 20. Jahrhundert auch Hundemarken.
Und was halten Frauen heute davon?
Heute, in einer Zeit, da junge Frauen immer weniger Lust haben, einengende BHs zu tragen und sie durch bequemere Sportbustiers ersetzen oder weglassen, liegt es nahe, dass auch Männer gegen Konventionen aufbegehren, etwa gegen die, wonach mehr Schmuck als eine Uhr am Handgelenk als feminin gilt. Indem sich die Kleidung von Frauen und Männern angleicht, tut es auch der Wille, das Outfit um Gold und Silber zu ergänzen. Und der Unterschied zwischen Frauen- und Männerschmuck verwischt gleich mit. Jaden Smith hängt sich öfter mal Frauenketten um den Hals, was aber niemandem auffällt, der nicht für eine Modezeitschrift arbeitet, denn es könnte genauso gut Schmuck aus einer Männerkollektion sein. Der Überhipsterhändler Dover Street Market hat die Kategorisierung seines Schmuckangebots nach Geschlechtern daher ganz aufgegeben.
Die Kette ein Familienerbstück der Großmutter, der Ring ein Flohmarktfund während eines Wochenendausflugs nach Kiew, das Armband ein Weihnachtsgeschenk des Exfreunds. Mehr noch als eine Hose oder ein Hemd haben Schmuckstücke eine Geschichte, und die, das Individuelle, der eigene Stil, ist es doch, was alle wollen. Warum sonst die ganzen Einkäufe in Second-Hand-Läden und auf Flohmärkten, die Tattoos, im besten Fall gestochen von einem Freund, der das wirklich gut kann, nach dieser durchtanzten Nacht, #memories.
Und was halten Frauen heute von Goldkettchen an Männern? „Ich habe bei gebildeten Männern noch nie Goldketten gesehen, Gott sei Dank!“, schreibt die Nutzerin Angela ins Forum von Elitepartner, wo die Goldkette möglicherweise auch schon angekommen ist. Eine andere, namenlose Userin des Datingportals rät: „Ich würde zwar einen interessanten Mann deswegen nicht grundsätzlich ablehnen, würde es aber ggf. zur Sprache bringen, dass mir das weniger gut gefällt.“
Viel dürfte Tyler, Jaden und Maurice, die Anhänger einer neuen Männlichkeit, ja nicht mit Fußballtrainern, Pizzabäckern und Bademeistern einen. Das aber schon: Was die anderen über ihre Goldkettchen sagen, ist ihnen egal.
Florentin Schumacher