Berlin: Siegreicher Aufstand gegen Adenauer
Im Dezember 1967 unterschrieben 100 000 West-Berliner für die Rückbenennung des Kaiserdamms
Es ist Montagmorgen, der Wind pfeift die Häuserwände entlang, Regen plätschert auf die Straße, und der Leierkastenmann spielt im Mistwetter fröhlich seine Lieder. Ein Festakt steht an in Charlottenburg an diesem Januartag 1968, denn die meistbefahrene Straße West- Berlins darf wieder „Kaiserdamm“ heißen – und nicht mehr „Adenauerdamm“. Als die Bezirksmitarbeiter die Schrauben festziehen und die alten Straßenschilder mitnehmen, gibt’s Applaus und Punsch als „Festtrank“, wie der Tagesspiegel damals schreibt.
Dieser Montagmorgen war der Schlussakt einer denkwürdigen Stadtposse – ach was!, eines leidenschaftlichen West-Berliner Theaters. Mehr als 100 000 Berliner hatten im Dezember 1967 auf Listen unterschrieben. So viele sind es heute im Kampf für den Flughafen Tempelhof, damals waren sie es in einem sehr speziellen Kampf gegen Konrad Adenauer (CDU), den ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, der nach dem Willen vieler nicht geehrt werden sollte, zumindest nicht an dieser wichtigen Straße und nicht so schnell.
Seit 1906 gibt es den Kaiserdamm, jene Straße, die einst auf Wunsch Kaiser Wilhelms II. erbaut wurde, die später von den Nazis als Paradestrecke missbraucht und von den Alliierten zerbombt wurde. Es war jene Straße, auf der in den letzten Kriegstagen der „Flüchtlingsstrom gen Westen zog“, wie der Tagesspiegel schrieb, und auf der im Sommer 1945 die Engländer in die Stadt marschierten, samt Churchill. Dass diese wuchtige Meile acht Monate lang den Namen „Adenauerdamm“ trug, wissen heute nicht mehr viele.
Am 19. April 1967 war Konrad Adenauer verstorben. Vier Tage später kamen 250 000 Menschen in Köln zur Trauerfeier. Sieben Tage nach Adenauers Tod hingen bereits die neuen Straßenschilder, auch die U-Bahn-Station hieß plötzlich „Adenauerdamm“. Die Berliner fühlten sich überrumpelt, bevormundet, undemokratisch behandelt. Das Thema einte die Stadt, anders als heute Tempelhof auch Jung und Alt. Als am 26. April 1967 die Arbeiter anrückten und die Schilder anmontierten, übertrugen die Radiosender „direkt“, der Tagesspiegel schrieb: „Nach 61 Jahren muß der Kaiser abdanken“. Auf dem Foto ist ein Jugendlicher zu sehen, der ein großes Transparent hochhält mit dem Wort „Buh“.
Pfiffe, Schmähungen, Vandalismus. Konrad Adenauer war nur bedingt beliebt in der geteilten Stadt. „Wer Berlin zur neuen Hauptstadt macht“, hatte er gesagt, „schafft geistig ein neues Preußen“. Als am 13. August 1961 die Mauer gebaut wurde, war das Adenauer nicht einmal eine Unterbrechung seiner Wahlkampfreise wert. Er war erst am 22. August nach Berlin geflogen. Und war es nicht Adenauers Bundesaußenminister Gerhard Schröder (CDU), der im September 1961 vorgeschlagen hatte, West-Berlin zu evakuieren und mal eben in der Lüneburger Heide neu aufzubauen?
Der Kaiserdamm war schon immer mehr als eine schnöde Einfallstraße. Wer vom Theodor-Heuss-Platz abbiegt und den Hügel hinab in die Stadt schaut, dem erschließt sich auch heute die endlose Weite Berlins. Die alten Fassaden, die pompösen Eisenkandelaber, die Spitztürmchen an den Häusern – und am Horizont der funkelnde Fernsehturm am Alexanderplatz. Auf den acht Spuren rollen heute 60 000 Autos entlang, Tag für Tag.
Damals, vor 40 Jahren, hatten die Politiker schließlich ein Einsehen. In einem Dringlichkeitsantrag am 15. Dezember 1967 stimmten FDP und SPD in Charlottenburg dafür, die Straße wieder in „Kaiserdamm“ umzubenennen. Der SPD- Fraktionsvorsitzende Tuchel sagte in der Begründung, mit der Rückbenennung solle ein Fehler beseitigt werden, den niemand bewusst begangenen habe. Das Bezirksamt stimmte schnell zu.
Konrad Adenauer wurde wenig später doch noch geehrt, und der „Adenauerplatz“ samt neuer U-Bahn-Station wurde nach ihm benannt (allerdings etwas despektierlich, weil der Platz eigentlich eine missratene Kreuzung ist und – anders als bei Theodor Heuss oder Ernst Reuter – der Vorname ignoriert wurde). Die Berliner waren glücklich, auch die Arbeitsgemeinschaft Kaiserdamm. Sie machte sich schnell ans nächste Projekt: Eine Fußgängerzone in der Wilmersdorfer Straße, das wäre doch was Schönes, oder? Aber das ist eine andere Geschichte. André Görke
André Görke
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