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Schwere Entscheidung: in den großen oder kleinen Pool?
© Milaidhoo Resort

Inselurlaub auf den Malediven: Blau-Pause im Milaidhoo

Auf den Malediven soll der Gast vergessen, wo er sich befindet. In diesem Resort lernt er mit scharfen Gewürzen und Angelausflügen die Insel kennen.

In der Showküche streckt ein kleiner Mann mit glatt rasiertem Gesicht seine Arme aus. Narben, blaue Flecken, Stichwunden. Könnten die Arbeitsverletzungen eines Berufsschlägers sein. Sivath Sikthi ist Chefkoch des Milaidhoo Resorts auf den Malediven. Der 32-Jährige zählt die Stationen seiner Karriere auf, Hotel in Sri Lanka, Hotel auf Mauritius, Küche im Milaidhoo, jede Wunde zeugt von den Stationen des Kochs, den alle nur Seabass rufen.

Seebarsch also leitet das Fine-Dining-Restaurant im Resort, es ist das Einzige des gesamten Inselstaats, das sich traut, konsequent maledivisch zu kochen. Der Koch hat dafür die Rezepte der Großmütter modern zugeschnitten, frischen Thunfischsalat mit gewürztem Kürbis kombiniert, Hummer in ein angenehm scharfes Curry getunkt. Man merkt die Nähe zum indischen Subkontinent. Isst man ein bisschen scharf in Ihrer Heimat, Seabass? Sivath guckt erstaunt. „Nein, man isst scharf.“ Punkt.

Das schicke Restaurant in Form eines traditionellen Fischerboots ist eine Anomalie auf den Malediven. Normalerweise kennt der Tourismus auf den Hunderten von Inseln nur ein Ziel: Der Gast soll vergessen, wo er sich befindet. Die Hotelanlagen schmücken sich mit importiertem Luxus. Tropenholz aus Indonesien, Porzellan aus Deutschland, Wein aus Südafrika. Unverfälscht strecken sich höchstens die Palmen in den Himmel, klatschen die Wellen des Indischen Ozeans an den Sand, träge und hypnotisch, mehr Frieden als Drama.

Auf der kleinen Insel setzt man auf Authentizität

Die Originalität der Inselgruppe geht im Fünf-Sterne-Dschungel unter. Darunter leiden die Einwohner der Malediven ein wenig. Nicht mal die Villen auf Stelzen, die im flachen Wasser stehen, haben sie erfunden, da waren die Hoteliers in Tahiti schneller. Der einzige Beitrag zur Weltkultur: Das Wort Atoll stammt aus dem Wortschatz des Dhivehi, der Sprache der Insulaner. Und deshalb setzt Milaidhoo auf das andere Extrem. Luxus gibt es auch hier, Champagner, Gästebetreuer und Villenpool, aber alles einen Hauch maledivisch. Der einheimische Architekt hat sich an natürliche Materialien wie Holz und Schilf gehalten, die Erlebnisse vor Ort sollen das Inselleben reflektieren, die Speisekarte stellt lokale Gerichte in den Mittelpunkt. Auf der kleinen Insel im nördlichen Baa-Atoll – 300 mal 150 Meter, die man in knapp zehn Minuten zu Fuß umrunden kann – setzt man auf das eine Gut, das woanders vernachlässigt wurde: Authentizität.

Aus der Küche holt der Koch nun eine Frucht, die wie ein riesiger Kiefernzapfen aussieht, doppelt so groß wie eine Ananas. Screw Pine, Schraubenpalme, die Früchte gedeihen vor Ort. „Schmeckt nach Erdbeere“, sagt Seabass. Und verarbeitet das Obst zu Eis und Pannacotta.

Sivath Sikthi alias Seabass (links) steht für maledivisches Fine-Dining.
Sivath Sikthi alias Seabass (links) steht für maledivisches Fine-Dining.
© Ulf Lippitz

Sivaths Spezialität sind jedoch Fischgerichte, daher kam auch der Spitzname. Als er mit 18 Jahren auf die Hotelfachschule in die Hauptstadt Malé ging, entdeckte er nach sechs Monaten die Sushiküche. „Mir gefiel daran, dass ich kreativ sein durfte“, sagt er, dass er mit Zutaten experimentieren, Rezepte interpretieren konnte. Ein wenig hat er dieses Prinzip nun auf das Fine Dining übertragen. Obwohl er zugibt, dass Fische nicht zu seinen Lieblingsspeisen gehören, sie seien „zu gewöhnlich“, findet der Koch. Fleisch ist sein Gemüse – Steaks sind in einem extrem landarmen Gebiet wie den Malediven auch viel exklusiver.

Hardy kennt die Resortinsel seit seiner Geburt

Knapp 300 Quadratkilometer Land verteilen sich auf etwa 1000 Inseln, das entspricht nicht einmal einem Prozent der gesamten Staatsfläche, der Rest ist Wasser. Kein Wunder, dass es die Strände sind, weswegen die Urlauber kommen, wegen des Ozeanpanoramas, vor dem sie ihre Selfiepositionen einnehmen, der Aussicht aufs Meer, bei der sie Delfine entdecken. Das Land im Rücken interessiert die Besucher oft nicht.

Von dort stammt Abdulhadi, der in der Transportabteilung des Resorts arbeitet und auf dessen Namensschild „Hardy“ steht. Er wuchs auf der Nachbarinsel Kamadhoo auf, ein paar Minuten mit dem Motorboot entfernt und deutlich größer. Dort leben etwa 400 Menschen, es gibt eine Moschee, eine kleine Schule und ein paar Cafés.

Hardy kennt die Resortinsel seit seiner Geburt. Früher fuhren die Eltern mit dem kleinen Sohn für ein Picknick auf das unbewohnte Eiland Milaidhoo, aßen Mangos und Reis unter den Palmen, manchmal übernachteten sie am Strand. Seit drei Jahren steht dort nun das Resort, 50 Villen verteilt am Ufer und in der Lagune, es gibt zahlreiche Pools, ein Sportstudio und tipptopp funktionierendes Internet.

Lange schien so ein Leben unmöglich

Abdulhadi freut sich. Mit der Eröffnung des Resorts ist seine Pendlerstrecke phänomenal kurz geworden. „Ich sehe meine Familie jeden Tag!“ Das ist ungewöhnlich für jemanden, der in der Wachstumsbranche Tourismus arbeitet. Viele Malediven sind in Anlagen am anderen Ende des Landes angestellt, bis zu 500 Kilometer weit weg, und sehen Frau und Kind höchstens einmal im Monat. Der 41-Jährige muss nur mit dem Motorboot fahren. Nahverkehr heißt sein großer Luxus.

Lange schien so ein Leben unmöglich. Vor 25 Jahren gehörte das Baa-Atoll zu den ärmsten Regionen der Malediven, kaum ein Hotel öffnete auf den kleinen Inseln, rund 120 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Hardys Vater lebte vom Fischfang, verkaufte Thunfisch an die Fabrik auf eine der größeren Inseln, wo die Tiere kleingeschnippelt in Konserven endeten. Für den Sohn gab es keine Zukunftsperspektive, er zog nach der Schule bei seinen Eltern aus und fand im Kurumba Resort eine Anstellung im Zimmerservice.

Kurumba, dieser Name steht für einen wirtschaftlichen Neuanfang. Das Hotel in der Nähe der Hauptstadt wurde 1972 gegründet und war das erste Urlauberresort überhaupt auf den Malediven. Davor waren Hippies von Indien aus zu den Inseln gelangt, sie brachten Rauschmittel mit und rannten nackt über den schneeweißen Sand. Ein Paradies, riefen die Fremden. Die Hölle, schrien die Malediven. Das Land ist streng muslimisch, Alkohol bis heute verboten, Nudismus verpönt.

Tourismus ist der wichtigste Wirtschaftsfaktor

Also verfügte die Regierung in den 70ern, dass Tourismus fortan nur auf Inseln möglich sein sollte, auf denen niemand lebte. Kein Problem, bloß 200 von 1000 Eilanden sind bewohnt. Die Urlauber residierten nun abgeschottet in ihren Villen, die Einheimischen in den Fischerdörfern. Die Politik drang kaum in die Ferienanlagen vor, egal ob Putschversuche oder Willkür den Staat heimsuchten. Im vergangenen November wurde ein neuer Präsident eingeschworen, er versprach, mit Korruption und Vetternwirtschaft aufzuräumen.

Aus Holz und Schilf wurden die Villen für die Gäste errichtet.
Aus Holz und Schilf wurden die Villen für die Gäste errichtet.
© Milaidhoo Resort

An den Urlaubsinseln geht der Regierungswechsel spurlos vorüber. Der Tourismus ist der wichtigste Wirtschaftsfaktor, niemand will ihn beeinträchtigen. Mit ihm stieg der Lebensstandard. Die Weltbank listete in den frühen 80er Jahren den Inselstaat als eines der 20 ärmsten Länder der Welt. Heute sind die Malediven ins Mittelfeld aufgestiegen. Ginge es nach Abdulhadi, dürften ruhig noch mehr Hotels gebaut werden. Mehr Hotels, mehr Geld, mehr Chancen. Er träumt davon, dass seine Tochter eines Tages Ärztin wird.

Hier angelt der Hoteldirektor noch selbst

Shuhan Ahmed hat seinen größten Wunsch bereits erfüllt. Er wollte Hoteldirektor werden, nun leitet er Milaidhoo. Ahmed, 34 Jahre, steuert gerade ein Motorboot aus dem türkisfarbenen ins dunkelblaue Wasser. Er will frischen Fisch besorgen. Das Boot tuckert vorbei an Kamadhoo, wo Hardy lebt und momentan ein Festival stattfindet. Musik scheppert aus den Lautsprechern, etwas übersteuert. Shuhan dreht ab, weg vom flachen Riff, hinaus in die Tiefen, wo Barrakudas und Thunfische schwimmen.

Hier angelt der Chef noch selbst. Er holt einen Haken hervor, der hinter allerlei bunten Glitzerfäden versteckt ist, und zieht sich weiße Handschuhe an. Kommt jetzt eine Michael-Jackson-Einlage auf hoher See? Shushan braucht den Disco-Haken, um Bewegung im Wasser zu simulieren und Fische anzulocken. Die Handschuhe sollen Wunden verhindern, wenn Ahmed die Sehne durch die Handfläche ins Wasser gleiten lässt und plötzlich ein Tier anbeißt.

Der Direktor trägt ein knallrotes T-Shirt mit dem Wappen von Manchester United, seiner Lieblingsfußballmannschaft. Er stammt aus dem Süden des Landes, wo die Briten bis Mitte der 70er Jahre einen Luftwaffenstützpunkt unterhielten und viele Malediven arbeiteten. Der Großvater schuftete in einer Textilfabrik für die Engländer, damit die Kinder einmal auf eine bessere Schule gehen konnten. Der Enkel besuchte wie Seabass die Hotelfachschule, lernte danach zwei Jahre in Malaysia und kehrte anschließend in seine Heimat zurück.

Nur wenige Malediven haben einen Chefposten

Vor 13 Jahren begann er, in einem örtlichen Resort zu arbeiten. Als sein Chef ihn eines Tages fragte, wo sich Shuhan in der Zukunft sehe, zeigte der junge Mann auf den Stuhl des Hoteldirektors. Jetzt sitzt er darauf. Nur wenige Malediven haben solch einen Posten, in anderen Resorts stehen oft Briten, Deutsche oder Franzosen an der Spitze der Hierarchie. Shuhan reist regelmäßig nach Europa, um sich die Tempelruinen von Rom anzusehen oder im Berliner KaDeWe einzukaufen.

Wenn er einmal genug von der kleinen Insel hat, fährt er hinaus aufs Meer und geht fischen. So wie es sein Vater und Großvater vor ihm gemacht haben. Was er vermisst? „Manchmal ein bisschen Unterhaltung“, sagt er. Ins Kino gehen, sich die neuesten Superheldenfilme ansehen, Serien auf Netflix hält er nicht durch, weil er nach zwei Stunden wissen will, wie eine Geschichte ausgeht. Das färbt vom Land ab: Wenn man es gewohnt ist, die Geheimnisse einer Insel in kurzer Zeit zu erkunden, hat man keine Geduld für langatmige Plots.

Beim Fischen zeigt er hingegen Ausdauer. Nach drei Stunden haben bei Shuhan Ahmed ein paar Barrakudas angebissen, die an Bord um ihr Leben zappeln, bis sie jemand erschlägt. Die Tiere werden in der Küche bei Seabass landen. Heute Abend gibt es keine Importware.

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