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Der Slawenfürst Niklot brannte 1160 seine Residenz nieder. Auf den Überresten entstand das Schweriner Schloss.
© Marieke Sobiech

Radtour in Schwerin: Bestes See-Vermögen

Ein Drittel Schwerins besteht aus Wasser. Und wo es trocken ist, stehen herrliche Herrenhäuser. Mit dem Fahrrad liegt alles ganz nah beisammen.

Der See hat Schwerin gerettet. Als die Alliierten im Zweiten Weltkrieg ihre Bomben abwarfen, landeten die meisten davon im Wasser. Es reflektierte den Mondschein, und da abends alle anderen Lichtquellen erloschen waren, um keine Angriffspunkte zu bieten, zielten die Piloten auf die glitzernde Oberfläche. Nur drei Prozent der Stadt wurden zerstört.

Heute gehören zehn Seen zum Stadtgebiet, ein Drittel von Schwerin besteht aus Wasser. Man kommt also nicht vorbei daran. Drumherum kommt man aber schon.

Die Geschichte Schwerins lässt sich wunderbar erfahren, wenn man sich an die Uferlinie hält. Im Blick die Insel, auf der schon im zehnten Jahrhundert die Wasserburg stand, von der aus der Obotritenfürst Niklot bis 1160 sein Slawenvolk regierte, bis er von Heinrich dem Löwen besiegt wurde. An dieser Stelle entstand das Schweriner Schloss, auf dem fortan die Herzöge residierten.

Ohne diese Insel im See und ohne den Prunkbau, der bis heute darauf steht, wäre Schwerin vielleicht nach der Wiedervereinigung nicht die Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern geworden. Einer der Gründe, sich gegen das größere Rostock zu entscheiden, war das repräsentative Schloss. Hier hat seitdem der Landtag seinen Sitz.

Das Herzogsgeschlecht gibt den Weg vor

Wie würde der Großherzog und Schlossvater Friedrich Franz II. reisen, wenn er die umliegenden Ländereien inspizieren möchte? Auf einem Pferd vielleicht, elegant und hat doch ein bisschen was von einem Feldherrn. Aufsatteln also, auf den Esel des modernen Großstädters, das Fahrrad. 60 Kilometer sind es einmal rundherum.

Wohin zuerst? Das Herzogsgeschlecht gibt den Weg vor. Unweit von Schwerin hat ein Sohn von Friedrich Franz II. sich seine eigene Residenz gebaut, hoch oben im Norden, an einer Steilküste des Sees. Schloss Wiligrad. Die Karte sagt, es sind 15 Kilometer.

Die ersten Tritte führen noch über Asphalt, Autos rauschen vorbei. Nicht besonders herrschaftlich. Endlich geht es auf einen Waldweg, direkt am Ziegelsee entlang. Beschilderungen finden sich erst, als man bereits ein paar hundert Meter gefahren ist. Einfach mal aufs Gefühl hören, so tun, als wäre es das eigene Land, über das die Räder ächzen.

Am Ende der Strapaze wartet der Blick auf den See

Ständig geht es hoch und runter, hoch und runter. Der Norden soll doch flach sein. Die Gangschaltung klemmt. Man wünscht sich eine Gerte. Dicht an dicht stehen die kahlen Bäume. Dann, ein steiler Anstieg, raus aus dem Wald, Felder neben Feldern neben Feldern. „Fast geschafft“, rufen fünf ältere Damen vergnügt, während man keuchend im ersten Gang nach oben strampelt. Vielleicht doch mal wieder Fitnessstudio. Am Ende der Strapaze wartet der Blick auf den See von der Hügelkuppe.

Doch leider wird aus der Wassersicht bald Landstraßenmonotonie. Eine Spur in jede Richtung, durchgezogene Sperrlinie. Einsetzender Nieselregen. Arme Seele, denken die Autofahrer, oder vielleicht murmeln sie etwas Gehässiges, weil sie einen nicht sofort überholen können.

Schloss Wiligrad liegt zwei Kilometer abseits der Hauptstraße, am Ende eines gewundenen Waldwegs. Das Gebäude besteht aus zwei Flügeln, in der Mitte ein Treppenturm. Die beiden Gebäudeteile wollen nicht zueinander passen, sehen aus, als hätte der Architekt zusammengefügt, was nicht zusammengehört.

Das herrschaftliche Gefühl ist da

Das Hotel Seewisch liegt direkt am Schweriner Außensee.
Das Hotel Seewisch liegt direkt am Schweriner Außensee.
© www.schwerinersee.de

Das Haus ist in zwei verschiedenen Stilen errichtet, was oft bei englischen Herrenhäusern zu finden ist, woran sich der Baumeister, Johann Albrecht, orientierte. Rechts roter Backstein, der Wirtschaftsflügel, fast schnörkellos. Links der Teil, in dem die Herrschaftsgemächer untergebracht sind. Er ist weiß angestrichen, rund um die Fenster und unter der Dachkante sind Verzierungen zu sehen, gehauen aus rotem Stein. Johann-Albrecht-Terrakottastil nennen sie das im Norden.

Der Kies auf dem runden Vorhof knirscht unter den Reifen, in der Mitte steht ein meterhoher Sockel, darauf ein Löwe. Einmal im Kreis, absteigen vorm Haupteingang. Das herrschaftliche Gefühl ist da. Bei grauem Himmel im Nieselregen. Wie muss es erst recht da sein, wenn hinter dem Löwen, über der Steilküste und dem See die Sonne aufgeht. Die Gemahlin Kaiser Wilhelms II., Auguste Victoria, hat ihn genossen, diesen Sonnenaufgang. Heute belebt der Kunstverein Wiligrad die Räume. Am Abend steht eine Ausstellungseröffnung an.

Lange Zeit war Wiligrad auf keiner Karte eingezeichnet. Das Gelände diente als Schul- und Ausbildungsstätte der Polizei in der DDR. Nun kommen Künstler und Touristen, und im Sommer gibt es Ferienlager für Kinder, auch für solche, die in der Schule oder zu Hause Probleme haben, erklärt der Wachmann, der vor dem Schloss auf- und abläuft. Die Kinder wohnen in kleinen Häusern auf dem Gelände und kommen abends gern vor das Schloss. Nicht etwa für die Aussicht, sagt der Wachhabende, hier gebe es das bessere Telefonnetz.

Weiterfahren ist unmöglich

Aufwärmen im Café auf dem Gelände der ehemaligen Schlossgärtnerei. Ein Raum, fünf Tische und Mango-Mohn-Kuchen. Herrlich. Der Blick fällt auf das Nebengebäude. Ein altes Gewächshaus, in dem statt Tomatenstauden nun Tische und Stühle den Raum füllen. Ein kleiner Junge bestellt, unter Protest von Mutter und Oma, einen Schwedeneisbecher.

Die müden Beine kommen nach der Pause rasch wieder auf Temperatur, denn sie sollen schneller treten als der nebenherlaufende Hund rennt. „Emil, Emil, komm zurück“, brüllt ein stämmiger Mann seinem Labrador nach. Emil hat einen renitenten Geist. Er hört nicht, will lieber mit den Radlern mit. Zumindest für ein paar Meter.

Nach einigen Kilometern Landstraße dann Vorfreude auf den Döpeweg, der gleich beginnen soll. Er führt mitten durchs Naturschutzgebiet und über einen schmalen Landstrich zwischen Schweriner See und Döpesee. Zwei Fußgänger mustern das Fahrrad skeptisch. Schütteln den Kopf. Was sie dazu veranlasst hat, wird klar, wenn die dicken Reifen einige hundert Meter weiter in Pfützen versinken und das Wasser bis zu den Pedalen steht. Traktoren haben tiefe Rillen in den Erdweg gepflügt, Weiterfahren ist unmöglich.

Ja, darüber beschweren sich die Gäste häufig, sagt Christian Börne, sie würden den unbefestigten Weg zwischen den Sonnenblumenfeldern mit Treibsand vergleichen. Börne arbeitet im Hotel Seewisch direkt am Ufer als „Mädchen für alles“, wie er sagt. An diesem Tag ist er Rezeptionist, Kellner, Auskunft für den einzigen Gast im Hotel.

Hier hört einen niemand schreien

Was darf es denn zum Abendessen sein, fragt Börne und reicht eine Menükarte. Der Koch, sein Bruder, bereitet die Gerichte zu. Uhrzeit frei wählbar.

Das Hotel mag kein Herrenhaus im klassischen Sinne sein. Erbaut 1996, Teppichböden in den Gästebereichen, Fliesen in der Lobby, Blumenmuster auf den einfachen Holzstühlen. Anfühlen tut es sich jedoch majestätisch, ein ganzes Hotel nur für sich zu haben. Dingdong, dringt es aus der Küche in den leeren Speisesaal. Der erste Gang, Salatvariation. Guten Appetit. Dingdong. Putenröllchen gefüllt mit Blattspinat und Saint Albray. Nachtisch? Wer kein Freund von Himbeertörtchen ist, bekommt ein Glas Sanddornschnaps. Die Zitrone des Nordens.

Gegen 22 Uhr sind Börne und sein Bruder fort. Dunkelheit draußen und in den Hausfluren. Beim Spaziergang ist das Rascheln der Kleidung das einzige Geräusch. Zurück ins Zimmer, Füße hoch. Niemand mehr da, 19 leere Zimmer, der Blick vom Balkon wandert über eine weitläufige Wiese, endet am dunklen Seeufer. Nach Jahren auf beengtem städtischen Raum ist diese Grenzenlosigkeit ungewohnt. Die Stille ebenfalls. Ein Gast ist deshalb sogar einmal abgereist, hat Börne erzählt. Zu ruhig hier. Und dann kriecht es hoch, dieses Unwohlsein. War da jemand an der Tür? Hier hört einen niemand schreien.

So kann es bleiben

Gut Vorbeck. Der zweigeschossige weiße Putzbau wurde 1912 errichtet.
Gut Vorbeck. Der zweigeschossige weiße Putzbau wurde 1912 errichtet.
© Stefan von Stengel

Am nächsten Tag ist der Hinterreifen platt. Ist jemand herumgeschlichen, oder haben die kilometerlangen Waldwege ihn zum Aufgeben gezwungen? Aufpumpen hilft nichts. Ein neues Fahrrad muss her. Natürlich kann Christian Börne helfen.

Der Wind treibt den Nebel vom See über die Wiesen, die Sonne beginnt die Eiskruste zu schmelzen, sie knackt und ächzt. So kann es bleiben. Der Radweg führt teilweise direkt am Wasser entlang und ist asphaltiert. Ein flacher Traum.

Nach etwas mehr als zwei Stunden biegt man auf die Zufahrt von Gut Vorbeck ein, das ein bisschen landeinwärts liegt. Der zweigeschossige weiße Putzbau mit dem Säuleneingang wurde1912 erbaut, 2010 renoviert und ist inzwischen ein Hotel, umgeben von Pferdeställen und einem Golfplatz. Gewieher, erst mal den Haflinger streicheln. Tagestouristen sitzen im Gutscafé und trinken Bier. Hinter dem Haus plätschert die Warnow vorbei. Es tut gut, die Füße ins eiskalte Wasser zu halten.

Jetzt ist es Zeit für das Schloss

Wieder der einzige Gast, doch nach der Eingewöhungsphase in Seewisch fühlt es sich diesmal nach Gutsherrin an. Als alle Angestellten weg sind, raus aus dem Zimmer, Kronleuchter in der Lobby an. Die braunen Ledercouches messen sicher zweieinhalb Meter. Deren Sitzflächen sind so groß, dass die Füße in der Luft baumeln, wenn man ganz nach hinten an die Lehne rutscht.

Abschalten. Die Gäste kommen nach Gut Vorbeck, um zu golfen und zu reiten.
Abschalten. Die Gäste kommen nach Gut Vorbeck, um zu golfen und zu reiten.
© Marieke Sobiech

Im ersten Stock befindet sich eine kleine Bibliothek, also ein Schrank voller Bücher und daneben ein Ohrensessel, Wasserkocher, Tassen und Teebeutel. Und nun den Abend genießen mit einem guten Buch, vielleicht noch eine Weile auf dem breiten Balkon stehen und sich über die frische Landluft freuen. Im Schrank steht „Das Kapital“, lieber nicht, bei gerechter Verteilung kommen Gutsherrinnen sicher schlecht weg. Dann lieber ein Cotton-Krimi.

Der letzte Abschnitt der Reise führt an der Südspitze des Sees entlang, doch nach einem Wolkenbruch hilft nur die Flucht mit dem Fahrrad in die Straßenbahn. Zum Glück ist die Endhaltestelle Hegelstraße nahe, umgeben von Plattenbauten. Die Tram kutschiert einen mitsamt Rad zurück nach Schwerin.

Ausstieg am Marienplatz. Von dort sind es nur ein paar Minuten zur Schlossinsel. Jetzt, wo man sich tagelang so herrschaftlich gefühlt hat, ist es Zeit für das Schloss. Die meisten Räume sind durch den Landtag belegt, doch in gut 30 Zimmern ist ein kleines Museum untergebracht.

Rubens, Rembrandt und Max Liebermann

Besucher schlendern durch das Teezimmer, das Blumenzimmer, den Thronsaal. Knarrender Holzboden, Ölgemälde, mannshohe Vasen, Geschenke aus Russland. Beim Bewundern der detaillierten Stuckarbeiten erzählt die Führerin, dass das gar kein Stuck aus Gips sei, sondern vergoldetes Papiermaché. Der Bauherr Georg Adolf Demmler hat das Papier aus der ganzen Stadt zusammentragen lassen. Bröckelt etwas von der Verzierung ab, könne man alte Zeitungen erkennen.

Der Grund für den Papierstuck: Das Schloss musste so leicht wie möglich sein, der Untergrund auf der Insel ist nicht so stabil. Man denkt an die riesigen Türme, die goldene Kuppel, das Reiterstandbild von Niklot an der Fassade, und dann sollen Verzierungen aus Papiermasché den Unterschied gemacht haben?

Auf fast 12 000 Quadratmeter erstreckt sich das Gelände von Gut Vorbeck. Das großzügige Anwesen ist umgeben von Pferdeställen und Weiden.
Auf fast 12 000 Quadratmeter erstreckt sich das Gelände von Gut Vorbeck. Das großzügige Anwesen ist umgeben von Pferdeställen und Weiden.
© Winstongolf

Neben der prunkvollen Residenz hat Großherzog Friedrichs Franz II auch ein Museum errichten lassen. Die steilen Stufen hinauf, die Oberschenkel brennen, ausgezehrt vom Radfahren der letzten Tage, und ab durch den Säuleneingang. Die Räume erinnern an das Schloss, wenn man von den Fischgrätböden absieht. Hier hängen Rubens, Rembrandt, Casper David Friedrich, Max Liebermann und lagert der „Mecklenburgische Planschatz“. Bis zum 7. Juni sind 600 barocke Architekturpläne und Kupferstiche aus dem 18. Jahrhundert zu sehen.

Vor sieben Jahren wurden sie in der Landesbibliothek entdeckt: Baupläne und Entwürfe für Schlösser, Denkmäler, Gärten oder Brückenanlagen, unter anderem für die Residenzen Schwerin und Ludwigslust. Dabei sind auch Skizzen aus Paris, Rom und Wien, an denen man sich orientierte. Die Herzöge Christian und Ludwig Friedrich, die einen Großteil der Zeichnungen in Auftrag gegeben haben, wollten nicht hinten anstehen, wenn es um die Präsentation der Macht ging. Sie wollten in einer Liga mit den europäischen Hauptstädten spielen.

Die Rundfahrt endet am Ziegelsee

Nach so viel geplantem und gebautem Prunk, nach der Rundfahrt um den See, den Schlössern und Gutshäusern, braucht es eine Stärkung. Mundschenk! Im Weinhaus Uhle ging 1751 das erste Glas über den Tresen. Dafür kamen die adeligen Herrschaften sogar aus dem Umland angereist. Getrunken und gegessen haben sie im Rittersaal im ersten Stock. Bunte Glasfenster, helles Parkett, weiße Tischtücher, weiße Stühle. Bis sie fertig waren, mussten die Kutscher unten warten.

Man stellt sich eine urige Kneipe vor. Raue Holzbänke, verschüttetes Bier am Boden. Die Kutscherkneipe gibt es schon lange nicht mehr, heute gehört auch dieser Teil zu einem Nobelrestaurant. Die edle Bar, die schachbrettartig arrangierten Tische und der samtene, rote Teppich passen irgendwie nicht in den Raum.

Spätabends bringt einen das Fahrrad zurück zum Wasser. Die Rundfahrt endet am Ziegelsee. Wieder geht es zuerst durch ein Industriegebiet, dann sieht man ihn schon, den riesigen Getreidespeicher aus dem Jahr 1939, der heute ein Hotel ist. Das Gebäude sieht aus, als hätte man einer Kirche den Turm abgeschnitten und nur den viereckigen Hauptbau stehen gelassen. Sieben Stockwerke fährt der Aufzug hoch, im „Hotel Speicher“. Wieder wartet der Blick auf den See. Diesmal ganz ohne Strapazen.

Reisetipps für Schwerin

Hinkommen

Mit der Bahn in zweieinhalb Stunden direkt von Berlin nach Schwerin und zurück ab 44 Euro ohne Bahncard.

Unterkommen

In Schwerin kann man direkt am Ziegelsee im Hotel Speicher ab 124 Euro absteigen, Frühstück inklusive (speicher-hotel.com).

Im Flairhotel Seewisch kostet ein Doppelzimmer pro Nacht ab 92 Euro, ebenfalls inklusive Frühstück (seewisch.de).

Ein Doppelzimmer auf Gut Vorbeck gibt es ab 120 Euro die Nacht inklusive Frühstück (gutvorbeck.de).

Rumkommen

Den besten Kaffee brüht in Schwerin das Café Fuchs am Marktplatz, der deshalb ständig nach gerösteten Bohnen riecht.

Im „Zum Freischütz“ kann man bis ein Uhr früh Chili bestellen, auch der Burger mit Grillkäse und Feigensenf ist zu empfehlen (Ziegenmarkt 11). Im Weinhaus Uhle in der Schusterstraße 13 kann sich der Gast durch sechs Gänge kosten. Besonders gut schmecken die Jakobsmuscheln als Vorspeise.

Info

Die Tourismusinformation liegt schräg gegenüber vom Café Fuchs, Am Marktplatz 14.

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