Totensonntag: Berufsbild mit Zukunft: Bestattungsfachkraft
Es ist ein Geschäft mit dem Tod. Doch Fabienne Hense liebt ihre Tätigkeit: Sie macht eine Ausbildung zur Bestatterin.
Als der Pfleger die Maschinen abstellt, die ihre Großmutter am Leben hielten, singt Fabienne Hense: „In den Armen des Engels, flieg weg von hier.“ „Angel“ von Sarah McLachlan war das Lieblingslied ihrer Großmutter, 76, verstorben am 29. Mai 2018 in einem Dortmunder Krankenhaus. Für einen kurzen Augenblick ist die junge Frau einfach nur die trauernde Enkelin. Sie weint. Dann sagt sie zu ihrem Vater: „Ich werde Oma selbst bestatten.“
Am nächsten Tag macht sie ihre Arbeit: Sie bestellt einen Sarg und kleidet die Oma ein. Schwarze Leggins, dazu Hausschuhe und den Lieblingspullover, aprikot-rosé, passend zum Nagellack. Einen nach dem anderen lackiert sie die Finger, vorsichtig, damit sie nicht daneben malt und bettet die Verstorbene auf Kissen und eine Kuscheldecke, so, dass sie bequem im Sarg liegt. „Das war mein letzter Liebesdienst“, wird sie später sagen. Fabienne Hense ist 22 Jahre alt, 1,58 Meter groß, 50 Kilo leicht, trägt das blonde Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden und künstliche Wimpern. Sie sagt, sie sei meistens gut gelaunt, lache viel, auch im Job.
Vor einem Jahr hat Hense ihre Ausbildung bei einem Bestattungshaus in Dortmund begonnen, alle paar Monate hat sie Blockunterricht an der Berufsschule. In zwei Jahren ist sie Bestattungsfachkraft, ein Beruf, auf den die meisten ihrer Freunde argwöhnisch reagieren. So richtig versteht niemand, warum die zierliche, junge Frau ihr Leben dem Tod verschrieben hat.
Überwältigt von der Endgültigkeit
"Ich komme mit dem Tod klar“, sagt Hense. Sie hat keine Berührungsprobleme mit Leichen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen. Deshalb bemüht sie sich um sprachliche Diplomatie. Ein Beispiel: Nicht jeder stirbt im Krankenhaus. Manchmal werden Tote erst nach einer Woche aufgefunden - zuhause. Hense fährt in Schutzkleidung hin, öffnet die Wohnungstür und hält kurz die Luft an. Ein stinkender, süßlich-saurer Verwesungsgeruch schlägt ihr entgegen. „Der Verstorbene verändert sich noch. Er riecht. Es wäre besser, Sie behielten ihn so in Erinnerung, wie Sie ihn kannten“, sagt sie später zu den Verwandten, die Abschied nehmen wollen.
„Meine Freunde finden Tote eklig. Ich finde es eher eklig, einen Verstorbenen so zu beerdigen, wie er stirbt.“ Ohne ihn zu waschen. Ohne Feier. Ohne würdevollen Abschied. Sie fühle sich, wie eine Hebamme am anderen Tor des Lebens, schreibt die Bestatterin Angela Fournes in „Den Tod muss man leben“. Hense sieht das auch so. Im Frühling 2018 malt Hense Schmetterlinge und Punkte in pastellgrün und -orange auf eine Kiste aus Kiefernholz. Auf der Innenseite des Deckels lacht eine gelbe Sonne, „weil die Kleinen die Sonne nie sehen werden“, sagt sie. Sie wird 42 Embryos darin begraben, fingernagelgroß, Fehlgeburten. Man nennt sie Sternenkinder.
Hense zieht ihren schwarzen Hosenanzug und eine weiße Bluse an, steckt sich das Haar mit einer Schmetterlingsspange nach hinten, packt den Sarg unter den Arm und fährt auf den Dortmunder Hauptfriedhof. Um 14 Uhr erscheint ein einziges Elternpaar zur Sammelbestattung der Embryos. Hense steht mit Tränen in den Augen am Grab und legt Schmetterlinge aus Pappe auf den Sarg. „Ich war überwältigt von dieser Endgültigkeit. Dass diese Kinder, nie gelebt haben.“
Bestatter brauchen keine Ausbildung
Über den Tod, findet Hense, wird in Deutschland zu wenig geredet. Das Thema Sterben sei tabu und das Wissen über den Beruf Bestatter gering. Bis zu dem Punkt, an dem man selber betroffen ist. Was viele nicht wissen: Dafür braucht man keine Ausbildung. Jeder kann Bestatter werden. Der Bundesverband Deutscher Bestatter versucht das zu ändern und den Beruf zu professionalisieren. Seit einigen Jahren empfiehlt er eine Aus- und Weiterbildung und schickt jährlich etwa 500 Lehrlinge aus ganz Deutschland nach Münnerstadt in Bayern. Hense ist eine von ihnen.
Die Zustände, in denen Angehörige zu Hense kommen: Trauer, Wut, Angst, Hilflosigkeit, Schmerz, Erleichterung. Kein Todesfall ähnelt dem anderen. „Ein Mann hat meine Chefin mal als Arschloch bezeichnet. Andere kommen total organisiert und gefasst. Manche lachen. Und alle sind dankbar dafür, dass sie mit jemandem reden können.“ Den Angehörigen zu helfen, sei das Schönste an ihrem Beruf, sagt Hense. Sie organsiert die Trauerfeier, den Trauerredner, die Sterbeurkunde, klärt die Formalitäten von den Versicherungen des Verstorbenen bis zu den Rundfunkgebühren.
Die Aufgaben eines Bestatters lassen sich in drei große Bereiche einteilen: Die Arbeit mit den Behörden. Die Arbeit mit den Hinterbliebenen. Die Arbeit an den Verstorbenen. All das lernt der Nachwuchs im Ausbildungszentrum in Münnerstadt, wo sich eine Lehrkapelle, eine Werkstatt für Sargtechnik und ein in Europa einmaliger Lehrfriedhof befinden. An einem Dienstag im September steht Fabienne Hense vor einem Grab, das sie gerade geschaufelt hat, und wischt sich mit dem Handschuhrücken den Schweiß von der Stirn.
Geschäft bleibt Geschäft, auch mit dem Tod
„So. Und jetzt machst’ des Loch wieder zu“, sagt der Dozent. Heinz Pusz, 61, verschränkt die Arme vor der Brust, aus der rechten hinteren Hosentasche ragt ein gelber Messstock. „Und zwar flott. Bei der Abschlussprüfung hast’ dafür auch nur 60 Minuten Zeit.“ Die junge Frau schnaubt „Horror“ und schaufelt los. Unter den verschlafenen Blicken ihrer Klassenkameraden, die in Kapuzenpullis drumherum stehen, verschwindet das Grab wieder. Pusz, ehemaliger Berufssoldat aus der Oberpfalz, der nach der Wende in eine Bestatter-Familie eingeheiratet hat, ist zufrieden. Kaffeepause.
Die Gruppe schlendert an der Unterrichtsausstattung am Lehrfriedhof vorbei: Natur-Grabsteine, Zypressen, schmucklose Holzkreuze, Schaufeln, Schubkarren und Bagger. Der Kies knirscht unter den Turn- und Bergschuhen.„Ganz ehrlich, ich könnte mir eine Erdbestattung in meiner Ausbildungszeit gar nicht leisten“, sagt Hense zwischen zwei Zigarettenzügen. Mit zwei, bis viertausend Euro muss man für eine Bestattung rechnen.
Die meisten ihrer Kollegen machen sich darüber keine Gedanken: 60-70 Prozent der Lehrlinge kommen aus einer Bestatter-Familie und kennen das Geschäft von klein auf, vor allem den wirtschaftlichen Aspekt. Ein Unternehmen bleibt ein Unternehmen, selbst wenn es sein Geschäft mit dem Tod macht.
Ein Beruf, der zukunftssicher ist
Hense ist Quereinsteigerin, wollte eigentlich in die Gerichtsmedizin, fand dafür aber keinen Ausbildungsplatz. Sie hatte keine Lust auf den typischen Ausbildungsweg, im Einzelhandel oder als Friseur, und entschied sich für den Beruf des Bestatters. Irgendwo zwischen Handwerk und Dienstleistung und zukunftssicher: Im Jahr 2017 starben in Deutschland laut der statistischen Bundesbehörde 933.000 Personen, 2,4 Prozent mehr als im Vorjahr.
Als das Ausbildungszentrum im Jahr 2003 nach Münnerstadt kam sorgten sich die Bewohner um ihr Image. „Die Stadt der Bestatter“, titelten die Zeitungen damals. Münnerstadt, ein Synonym für den Tod? Und wenn schon, heute profitieren Hoteliers und Restaurants von den Lehrlingen, denn die Anzahl der Touristen ist gering. Man kann wohl sagen: Die Bestatter bringen Leben in den Ort.
Das Schulungszentrum ist ein modernes Gebäude mit Glasfassade, direkt neben dem „Dicken Turm“. Im Warenlager glänzt ein schwarzer Designersarg in Diamantform, erhältlich ab 10.000 Euro. Darunter steht ein mit Strass besetztes Exemplar. Unter einem Leichensack zeichnet sich ein Körper ab. Ein Dummy.
Übungsaufgabe: Plane eine Trauerfeier
In der Werkstatt daneben riecht es nach Propangas. Der Dozent erklärt seinen Schülern, wann ein Zinksarg notwendig ist: bei Auslandsüberführungen und im Falle einer infektiösen Krankheit des Verstorbenen. Eine große junge Frau mit Dutt nickt. Neben ihr freut sich eine Kollegin aufs Löten, auf ihrem Kapuzenpullover steht „Saltatio mortis“ geschrieben, der Name einer deutschen Mittelalter-Rock-Band. Ein junger Mann, der mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einem Schemel sitzt, so, dass seine Rentier-Socken vorscheinen, hebt die Hand: „Und wofür verwendet man den Aktivkohlefilter?“
Der Dozent, erfreut über die aktive Mitarbeit, erinnert daran, dass dieser nicht nur den Geruch des Leichnams mindert, sondern in Kombination mit dem Überdruckventil dafür sorgt, dass der Sarg im Flugzeug durch den Außendruck nicht explodiert. „Oder noch schlimmer“, er hebt den Zeigefinger und lacht: „Implodiert.“
Gegenüber, in der Lehrkapelle, löst ein junger Bestatter mit silberner Totenkopfhalskette eine Aufgabe: „Plane eine Trauerfeier für einen verstorbenen Braumeister.“ Er war Bayer. Und katholisch. Deshalb nimmt der junge Mann einen Bierkrug, stellt ihn vor dem Sarg ab und ein silbernes Gefäß für das Weihwasser daneben.
"Es wird erwartet, dass wir abgebrüht sind"
Im Hygieneraum beißt das Desinfektionsmittel in der Nase. Es sieht es aus, wie in der Rechtsmedizin. Zwei sterile Versorgungstische aus kühlem Stahl stehen in der Mitte des Raums. Um ihn versammelt eine junge Frau in Highwaist-Jeans, eine Brünette mit Rasierklingen-Halskette und Rammstein-Top, ein Langhaar-Typ mit schwarzem Bandshirt, Heavy Metal.
Sie lauschen den Tipps des Dozenten: „Beim Waschen muss der Leichnam mit den Füßen am Abfluss liegen, damit der Schmutz nicht wieder ins Gesicht fließt.“ Die medizinischen Scheren so halten, wie ein Chirurg. Die Gesichter immer schminken, das gehört einfach dazu, zur hygienischen Grundversorgung. Lieber zwei als ein Paar Plastikhandschuhe tragen, man wisse ja nie – „Bakterien, Viren, ansteckende Krankheiten. Passen Sie auf“, sagt er und geht über zum Thema Wundverschließung.
Gegen einen Bestatter, ein Mitglied des Bundesverbands Deutscher Bestatter, wird gerade wegen der Bereitstellung von Verstorbenen an das Bundesausbildungszentrum ermittelt. „Gegen ihn besteht aufgrund einer Strafanzeige der Verdacht der Störung der Totenruhe“, teilt die Staatsanwaltschaft in Schweinfurt mit. Der Generalsekretär des Bundesverbands, Stephan Neuser, will aufgrund des schwebenden Verfahrens keine Angaben zur Sache machen. „Wir üben an Schweinepfoten“, sagt Hense.
Wunden verschließen und das Rekonstruieren zerstörter Körperteile sind vor allem nach Unfällen notwendig. Die hat Fabienne Hense bis jetzt noch nicht erlebt. „Es wird immer erwartet, dass wir abgebrüht sind“, sagt Hense. Mit ihren Kollegen spricht sie auch über Ängste. „Für mich wäre das Schlimmste, ein totes Kind vor mir liegen zu haben. Oder eine Mutter mit Kind.“ Doch selbst dann würde sie ihren Job machen.
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