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Marco Ammer.
© Doris Spiekermann-Klaas

Ein Trauerredner im Interview: „Im Sarg will ich Jogginghose tragen“

Marco Ammer ist Schauspieler und Synchronsprecher. Seit vier Jahren arbeitet der 41-Jährige zudem als Trauerbegleiter, Sterbebegleiter und auch Trauerredner.

Herr Ammer, ihre ersten Worte bei einer Trauerrede sind …

„Niemand geht gerne auf Trauerfeiern.“ Weil sich da alle im Raum einig drüber sind. Manchmal auch: „Ich kann mir gut vorstellen, Sie hätten sich heute lieber woanders getroffen.“ Alles ist aus meiner Sicht passender als „wir sind heute hier zusammengekommen …“.

Was muss drin sein in einer guten Rede?

Das, was den Menschen ausgemacht hat. Das Wichtigste ist, dass man den Angehörigen gut zuhört und in der Rede dann das Wesentliche trifft. Ich vermeide Floskeln wie „war von allen geliebt“, wenn mir das so niemand gesagt hat.

Müssen Sie manchmal ein bisschen stochern, bis Angehörige erzählen?

Selten, aber wenn ihnen gar nichts einfällt, dann kann ich zum Beispiel fragen: Was würden denn seine ehemaligen Kollegen über ihn sagen? Es lässt sich über jeden etwas Interessantes sagen. Aber ich bin auch immer gut vorbereitet. Meine erste Ausbildung war Bankkaufmann, ich bin vielleicht der Bankkaufmann unter den Trauerrednern. Nach dem ersten Telefonat verschicke ich einen Leitfaden zur Vorbereitung des Vorgesprächs.

Was steht denn da drin?

Klassiker: Name? Geschwister? Damit ich mir einen Familienstammbaum machen kann, um einzuordnen, wer auf der Trauerfeier wer ist. Dann kann ich, während ich rede, auch die Richtigen ansehen. In jeder meiner Reden kommt früher oder später auch der Satz: Wie wir alle wissen, bin ich der Einzige, der XY nicht gekannt hat.

Tatsächlich?

Ja, ist doch auch so. Das sollte man offen sagen. Ich bin auch kein Fan von Standardreden. Ich schreibe jede Rede individuell. Natürlich habe ich bewährte Texte für den Anfang und das Ende, aber selbst die schreibe ich immer um.

Wie lang sollte eine Rede dauern?

Ich teile meine Reden gerne auf. Zwischen Begrüßung und Hauptteil lasse ich ein Lied spielen. Meistens fordere ich die Leute dazu auf, sich währenddessen an einen Moment zu erinnern, der ihnen gerade einfällt. Und dass sie gern die Augen schließen können.

Dann heulen doch alle.

Viele, aber so kommen alle erst mal an und können anschließend besser zuhören. Der Moment, in dem man in die Kapelle kommt, ist der Schlimmste. Zusammen mit dem Abschiednehmen am Grab. Reinkommen und die Urne oder den Sarg und das Bild sehen. Und am Ende weggehen und wissen, jetzt ist es wirklich ganz vorbei. Bei kirchlichen Bestattungen finde ich schön, dass oft in der Kapelle gesungen wird. Aber bei den weltlichen ist das seltener. Meistens will niemand singen.

Zu fröhlich?

Vielleicht, wobei ich es völlig in Ordnung finde, wenn man bei einer Trauerfeier schmunzelt oder sogar lacht. Ich erfahre immer Geschichten von den Angehörigen, bei denen sie sagen: Das können Sie aber nicht erzählen. Ich frage dann, ob ich es darf, wenn ich das Gefühl habe, dass es passt. Wenn ich es dann erzähle, wird genickt, gegrinst, gelacht. Dafür bekomme ich am häufigsten positives Feedback.

Was ist im Umgang mit Angehörigen zu beachten. Wann treffen Sie die?

Das kommt ganz darauf an, ob es eine Erd- oder eine Urnenbestattung ist. Bei einer Erdbestattung geht es sehr schnell, weil ja oft schon die Woche nach dem Tod die Beisetzung ist. Bei Urnenbestattungen manchmal erst ein, zwei Wochen nach dem Todesfall. Ich rufe nie am gleichen Tag an. Bei mir auf der Webseite steht, dass das Vorgespräch eine Stunde dauert. Aber ich brauche immer deutlich länger.

Klingt fast therapeutisch.

Therapeutisch sicher nicht. Aber man begleitet die Leute in einer sehr schwierigen Zeit. Ich gehe auch immer mit zum Grab und sage dort noch etwas. Ich bin da, weil ich merke, dass die Leute unsicher sind. Es ist einfach niemand so häufig bei Bestattungen. Wenn man sie dann ansieht und nickt und sagt, „Sie können jetzt zum Grab gehen“, dann gibt das Sicherheit.

Sicher ein komisches Gefühl, Sie gehören schließlich nicht zur Familie. Alle weinen …

Ich versuche während der Rede …

… ein Familienmitglied zu werden.

So weit würde ich nicht gehen. Aber: kein Fremdkörper mehr zu sein. Erreicht habe ich das in dem Moment, in dem die Leute sagen: Vielen Dank, genauso ist XY gewesen.

Haben Sie schon über Ihre eigene Beerdigung nachgedacht?

Ich weiß sogar genau, was ich im Sarg anhaben will, bevor ich verbrannt werde: Jogginghose und dicke Wollsocken, die meine Mutter gestrickt hat. Weil ich es bequem haben möchte.

Wer soll die Rede halten?

Wenn ich es lange vorher weiß, mein Ende absehbar ist, dann kann ich mir vorstellen, dass ich Freunde zu mir befrage, die Rede selber schreibe und einen Profi buche, der sie vorliest. Ich hatte sogar schon die Vorstellung, sie selber aufzunehmen und dann abspielen zu lassen. Aber dann dachte ich, dass ich das niemandem antun kann. Das ist ja ultragrausam.

Absolut.

Ja, aber ich war neulich bei einer Trauerfeier, da hat der Sohn der Verstorbenen selber die Rede geschrieben, hat aber gemerkt, dass er nicht schafft, sie zu halten, und hat sie vorab auf sein Handy gesprochen und abgespielt. Ich habe nur geheult. Das war so toll und so persönlich. So etwas schafft kein gebuchter Redner.

Die Fragen stellte Katja Demirci.

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