Das Epos mit Charlton Heston von 1959: Ben Hur: Wie der Klassiker entstand
„Ben Hur“ soll 1959 die Leute weg vom Fernsehen und zurück ins Kino ziehen. Der Film ist sündhaft teuer. Doch das Risiko zahlt sich aus: Er gewinnt elf Oscars.
Kalter Nieselregen fiel auf die „ewige Stadt“ und die Fotografenmenge, die sich am Flughafen Rom-Ciampino versammelt hatte. Charlton Heston, mit seinen 1,90 Meter lässig alle anwesenden Italiener überragend, strahlte ins Blitzlichtgewitter.
Dabei bildete der amerikanische Filmstar an diesem Apriltag im Jahre 1958 nur das Empfangskomitee für den hochgerühmten Regisseur, seinen Produzenten und einen der Drehbuchautoren, die gerade aus Los Angeles eingetroffen waren. Mit ihnen würde Heston in den kommenden neun Monaten am teuersten Film arbeiten, den die Welt bis dato gesehen hatte.
William Wyler war der Regisseur, ein Elsässer, der mit 19 von seinem Cousin Carl Laemmle nach Amerika gerufen worden war und mit Cowboyfilmen begonnen, aber inzwischen zwei Oscars gewonnen hatte. Für die Mammutaufgabe in Rom bezahlte ihm das Hollywood-Studio Metro-Goldwyn-Mayer eine Million Dollar plus Profitanteile; das höchste Gehalt, das je ein Filmemacher ausgehandelt hatte.
"Das Buch ist grauenhaft", brach es aus Wyler hervor.
Was die Geldgeber erwarteten? Ein Wunder. Wyler sollte nicht nur einen erstklassigen Historienschinken nach Hollywood apportieren, nein, sein Auftrag lautete, das ganze ach-so-ruhmreiche Studio vor der Pleite zu bewahren.
Der Mann mit dem gut hörbaren deutschen Akzent sah blass aus an diesem nassen Frühlingstag, verzagt. Fand jedenfalls der Drehbuchautor: Das war Gore Vidal, jener flamboyante Politikerspross aus New York, der neben Romanen und Essays damals auch Filmskripts schrieb.
Vidal stieg mit „Willy“ Wyler in die Limousine, welche die Gäste aus Übersee in die Innenstadt brachte. Zwischen ihnen auf der Rückbank lag das Drehbuch, das sie nach Rom geführt hatte. Dick war es. Und alt: Seit fünf Jahren schon ging der Produzent – Sam Zimbalist – damit hausieren, etliche Schreiber hatten bereits ihre Finger drin.
„Das Buch ist grauenhaft“, brach es aus Wyler hervor.
„Ich weiß“, erwiderte Vidal. „Was machen wir bloß damit?“
Wyler sagte mutlos: „Diese alten Römer... Wissen Sie irgendwas über die?“
Er habe sich eingelesen, gab Vidal zurück.
„Hm“, machte Wyler. „Wenn ein Römer sich zum Beispiel entspannt zurücklehnen möchte, lockert er seinen Gürtel?“
So fing das damals an, das Drama um „Ben Hur“. Wobei die Frage, was Männer in Sandalen um die Leibesmitte – und womöglich unter der Gürtellinie – tragen, sich für Wyler und seinen Tross aus Hollywood als geringstes Problem erweisen sollte (in Sachen Mode wissen Italiener Bescheid).
Komplizierter schien da schon der Umstand, dass der steife Hauptdarsteller Heston trotz Knackkiefer nur bedingt zum „Leading Man“ taugte. Die Dialoge im Drehbuch lasen sich pompös und hölzern, und verloren zwischen Packen bedruckten Bla-bla-blas fand sich dort, in zwei schlichten Wörtchen, die größte Herausforderung für alle Beteiligten, ob sie nun vor oder hinter der Kamera agierten, ob sie zwei oder vier Beine hatten.
„Das Wagenrennen“ stand da, The Chariot Race.
Eine konkretere Beschreibung war dem Original-Drehbuchautor – einem Hollywood-Schlachtross namens Karl Tunberg – offenbar nicht eingefallen zu jener Szene, die zweifellos als größte Sensation galt in „Ben Hur“, dieser frommen Geschichte um einen jüdischen Prinzen und seinen römischen Erzfeind im Jerusalem von Pontius Pilatus. Schon 1907 waren in einem 12 Minuten langen Stummfilm Judah Ben Hur und der Hauptmann Messala aneinandergeraten; die beiden ehemaligen Jugendfreunde tragen ihren Zwist in der römischen Arena aus, in Streitwagen auf Leben und Tod. Drehort war damals der Strand von New Jersey, die örtliche Feuerwehr half dem Filmvolk mit Pferd und Wagen aus.
Studioboss Louis B. Mayer war ein Bulle und Proll
1925 nahm sich Metro-Goldwyn-Mayer zum ersten Mal des Stoffs an. Der Mexikaner Ramon Novarro gab den Helden, und zu den Regie-Assistenten zählte der junge Willy Wyler. Gedreht wurde ebenfalls in Italien, doch zahlreiche Unfälle und ein grotesk explodierendes Budget zwangen die Filmemacher nach zwei vergeudeten Jahren zurück aufs MGM-Gelände in Los Angeles. Finanziell musste der damalige Studioboss Louis B. Mayer das Stummfilm-Epos zwar abschreiben, doch begründete der schließlich fertiggestellte Film seinen Ruf als außergewöhnlicher Traumfabrikant; Mayer, ein Bulle und Proll im wahren Leben, und sein blitzgescheiter Vize Irvin Thalberg, „der Wunderknabe“ genannt, hatten nach „Ben Hur“ in der Branche die Zügel in der Hand, MGM entwickelte sich unter ihrer Ägide zur „Heimat der Stars“.
Der Preis für ihren Aufstieg war hoch, in jeder Hinsicht: Ein Stuntman war in der Arena tödlich verunglückt, viele Pferde brachen sich die Beine und mussten getötet werden. Wyler war dabei gewesen, er wusste, wie knifflig die Actionszenen aufs Neue werden würden.
Die Buchvorlage galt als einflussreichster Roman der Christenheit
Für MGM stand alles auf dem Spiel, und Produzent Sam Zimbalist bekniete Wyler: Der Mann aus Mulhouse entsprach genau Hollywoods Vorstellung von einem großartigen Regisseur – er war seriös und sorgfältig, seine Inszenierungen sahen prächtig aus und spielten bislang zuverlässig gutes Geld ein.
Gerade Literaturverfilmungen hatten es Wyler – wie auch MGM, den Spezialisten für visuelle Schlemmereien – angetan: Und bei „Ben Hur“ handelte es sich nicht um irgendeinen Jesus-Stoff aus dem 19. Jahrhundert. Nein, das Buch des ehemaligen Bürgerkriegsgenerals Lew Wallace galt in jener Zeit als einflussreichster Roman der Christenheit und verkaufte sich fast so gut wie die Bibel.
Als am 20. Mai 1958 die erste Klappe fiel, stellten sich die Filmemacher auf vier, fünf Monate Arbeit ein. Ein steter Strom von Filmbegeisterten pilgerte täglich nach Cinecittà im Südosten der Stadt, wo das Wunderwerk entstand.
Dabei machte sich Hollywood nicht das erste Mal in diesen Hallen breit: Wyler selbst hatte hier fünf Jahre zuvor „Ein Herz und eine Krone“ gedreht (und seine Entdeckung Audrey Hepburn in den Ruhm katapultiert). Sam Zimbalist wiederum hatte 1951 den Bibel-Bombast „Quo Vadis“ in den einst von Mussolini eröffneten Studios produziert – das kam die Amerikaner inzwischen weit billiger als zu Hause in Hollywood. Die lokalen Handwerker und Techniker kannten sich bestens aus mit Schwert, Toga und Testamentsfragen, alt wie neu. „Peplum“, Sandalenfilm, nannte man das Genre, das in den 50er Jahren Italiens Filmproduktion dominierte und durchdrungen war von herkulinischen Muskelbergen und christlicher Erleuchtung; günstig vor allem, dass in den Requisitenkammern von Cinecittà beispielsweise Gladiatorensandalen jeder Größe lagerten.
Mehr als 300 Kulissen wurden extra gezimmert
Unablässig prahlte die Presseabteilung von MGM von nun an mit „News“ von den Dreharbeiten. Nicht weniger als 100 000 Kostüme für mehr als 10 000 Statisten nähten die Schneiderinnen, mehr als 300 Kulissen wurden gezimmert, gemauert, mit über 450 000 Kilo Lehm verputzt und bemalt, darunter ein sieben Stockwerke hohes Jaffator wie in der Stadtmauer von Jerusalem.
Und dann das Juwel jeder Meldung zu „Ben Hur“: Auf einem fast 73 000 Quadratmeter großen Studiogelände entstand die Arena, jede Längsachse 460 Meter lang, in der Mitte eine Insel mit vier Statuen, jede zehn Meter hoch. Das Areal wurde mit 40 000 Tonnen Sand aufgeschüttet, die Kampfbahn erhielt einen Belag aus Kiesel und Lavageröll, und als sich nach einem Tag die Steinschicht als ungeeignet für die Pferde erwies, wurde eben alles wieder abgetragen. Mehr als 80 Rösser standen bereit, das Renn-Quartett des Helden sah natürlich am schönsten aus, prächtige Lipizzaner aus Slowenien. „Wir hatten ein Landhaus gemietet“, erinnert sich Charlton Hestons Sohn Fraser später an die Monate am Filmset in Rom. „Abends brachte mir mein Vater manchmal volle Säcke für meine Sandkiste mit. Das ist nicht irgendein Sand, sagte er lachend, das ist MGM-Sand!“ Aus Mexiko eingeflogen, weich wie Puderzucker.
Nichts war zu groß, zu teuer, zu prächtig für „Ben Hur“, MGM riskierte alles. Was sonst würde die Zuschauer noch in Scharen in die Kinos treiben, wenn nicht die Aussicht auf etwas, das ihre Flimmerkistchen zu Hause nie und nimmer hergeben könnten?
Seit Anfang der 50er Jahre hatte es sich Amerika, ja, die ganze westliche Welt vor der Glotze bequem gemacht. Und in Hollywood ging die Angst um vor diesem hässlichen kleinen Ding. 1948 besaß noch nicht mal ein Prozent der amerikanischen Haushalte einen Fernsehapparat, zehn Jahre später: 80 Prozent. Zu jener Zeit, sagt der Medienhistoriker Leo Bogart, hängte das Fernsehen jede andere Freizeitbeschäftigung wie Lesen, Radiohören oder eben Kinobesuche ab. Obendrein zwang ein Kartellurteil von 1948 die Studios, ihre eigenen Kinos an unabhängige Betreiber zu verkaufen; fortan mussten sie ihre Filme einzeln vermarkten, das wurde teuer.
Entsprechend kämpften alle Filmstudios mit sinkenden Zuschauerzahlen und Verlusten – Warner Brothers, Columbia, Carl Laemmles Firma Universal. Doch MGM – mit seinem Riesenstall an vertraglich gebundenen Superstars – traf es besonders hart.
Der legendäre Produktionschef Mayer wurde 1951 gefeuert, weil er dem Studio zu viele kostspielige Flops beschert hatte. Er habe den Anschluss ans Publikum, an den Zeitgeist verpasst, nörgelten die MGM-Vorsitzenden. Neue Bosse kamen, versagten, verschwanden. Und mitten in diesem Schlingerkurs sollte nun „Ben Hur“ den Glauben ans Kino restaurieren – und mit technischer Brillanz die TV-Konkurrenz beschämen.
Hollywood experimentierte damals mit einer ganzen Reihe von neuen Projektionssystemen, um verwaiste Kinosäle wieder sexy zu machen; man lockte mit 3-D-Vorführungen und Panoramaformaten. Die MGM-Entwicklungsabteilung nannte ihr Baby stolz „Camera 65“ (der Regisseur Quentin Tarantino hat neulich seinen Western „The Hateful Eight“ im gleichen „Ultra-Panavision“-Format gedreht).
Die dafür benötigten Kameras waren so schwer, dass sie von vier Männern getragen werden mussten. Jede war eine Viertelmillion Dollar wert. Von den sechs Exemplaren, die überhaupt nur existierten, befanden sich fünf im Einsatz in Rom.
Und prompt ging eine beim Wagenrennen drauf.
Zehn Wochen puzzelte das Team an den Wettkampfszenen
Das Geschehen in der Arena verschlang vier Millionen Dollar, bald ein Viertel der Gesamtkosten. Zehn Wochen lang puzzelte das Team ausschließlich an den Wettkampfszenen – die doppelte Drehdauer eines durchschnittlichen Hollywoodfilms. Und Wyler arbeitete tatsächlich jeden Tag, erst 12, dann 16 Stunden, auch sonntags, da besprach er Szenen und Dialoge mit dem britischen Dramatiker Christopher Fry, den er Anfang Mai als zusätzlichen „Skript-Doktor“ ans Set geholt hatte.
Der Sommer 1958 wurde heiß in Rom, eine Strapaze für Mensch und Tier. Als die Stunt-Leute das Wagenrennen probten, stellten sie fest, dass die Pferde höchstens acht Mal am Tag die Runde schafften. Selbst der athletische Charlton Heston, der in einer Szene seine Leinwand-Mutter tragen sollte, schwächelte und zog deren leichteres Double vor. Wylers Frau Talli erzählte später stöhnend: „Die Leute zu Hause dachten, wir hätten eine so tolle Zeit in Italien. Aber es war eine Schinderei. Anfangs sind Willy und ich noch ausgegangen. Als er auch abends arbeitete, habe ich Gäste eingeladen. Dann hörte auch das auf. Ich habe nur noch versucht, ihn am Leben zu halten. Er hatte weder die Zeit noch die Kraft für einen sogenannten netten Abend.“
Im Sommer war das Budget um die Hälfte überzogen
Der italienische Arzt, der die Dreharbeiten begleitete, peppte die Crew mit Vitaminspritzen auf. Jedenfalls nannte er sein Wundermittel so. Wyler ließ sich jede Woche verpflegen, mindestens. Doch nach Abschluss der Dreharbeiten litt er unter so brutalen Kopfschmerzen, dass Talli folgerte, ihr Gatte sei auf Entzug – der Dottore hatte seinen gestressten Patienten eine Art Speed verpasst.
Dabei war Wyler für seine Nüchternheit und Bedächtigkeit bekannt. Und berüchtigt. Als im Sommer das Budget um die Hälfte überzogen war, schickte die MGM-Zentrale in Hollywood wöchentlich Beobachter an die Front. Ob sie Wyler in irgendeiner Weise behilflich sein könnten, fragten die Manager nervös. „Nein, danke“, gab Wyler zurück und ließ sie stehen. Einer der Gesandten berichtete, er habe Wyler beim Inszenieren einer Szene zugesehen, sei dann in Urlaub gefahren. Als er vier Wochen später erneut am Set auftauchte, wurde an genau der gleichen Szene gewerkelt. Immer noch? Oder schon wieder? Die Buchhalter bekamen schweißnasse Hände.
Gore Vidal schrieb das Drehbuch zehn Mal um
Auch die Schauspieler trieb der Perfektionist Wyler zur Weißglut. Einmal fragte Heston, nachdem er Dutzende Male die gleiche Szene wiederholen musste: „Willy, wie willst du es denn haben?“
„Besser“, sagte Wyler.
„Okay, was genau stellst du dir vor?“
„Ich weiß nicht“, sagte Wyler. „Aber du bist nicht gut genug.“
Heston schluckte. „Damit kann ich jetzt wenig anfangen, Willy.“
„Ich weiß“, gab Wyler zurück, „aber ich dachte, ich sag’s dir.“
Gore Vidal brüstete sich hernach damit, dass er dem Regisseur sozusagen aufs Pferd geholfen habe, was das innere Drama von „Ben Hur“ betraf, jenseits von Schwert- und Wagenkämpfen. Was mochte nur zwischen den beiden Hauptfiguren vorgefallen sein, dass sie einander so leidenschaftlich hassten? Zehn Mal schrieb Vidal das Drehbuch um, Wyler war nie zufrieden. Da bog er eines Tages um die Ecke mit dem Vorschlag, Messala und Ben-Hur seien Ex-Geliebte, ein homoerotisches Geplänkel in ihrer Jugendzeit. Nun, da sie sich Jahre später wiedersehen – Messala inzwischen machtversessener Tribun, Ben Hur erfolgreicher Geschäftsmann –, will der Römer die Affäre wieder aufleben lassen. Wäre das nicht was? Wyler lachte nur. „Wir reden von Ben Hur! Das geht nicht.“
„Ganz subtil“, versprach Vidal. „Ich schreibe es so, dass das Publikum spürt, da läuft etwas zwischen den beiden. Aber es wird nie ausgesprochen.“
Er schlug vor, nur den Messala-Darsteller Stephen Boyd einzuweihen: Der solle jene Begegnung spielen wie eine Liebesszene, voller weicher, sehnender Blicke (es half, dass der irische Schauspieler als Römer braune Kontaktlinsen über seinen blauen Augen trug; die reizten ihn ständig zu Tränen). Und kein Wort zu seinem Kollegen: Der würde ausflippen.
Armer Charlton Heston. Und dabei strengte er sich so an für diesen Film, hatte Monate später noch Schwielen an den Händen – vom Zügelhalten. Wie Boyd konnte er das Wagenrennen nicht seinem Stuntman überlassen: Die beiden mussten für viele riskante Aufnahmen selber ran, Wyler wollte ihre angestrengten Gesichter in der 70-Millimeter-Nahaufnahme zeigen, jede Schweißperle so groß wie ein Fußball. „Am schwierigsten waren die Kurven“, sagte Heston später in einem Interview. „Wen man über die Schulter blickte, sah man immer dicht neben sich ein Pferd. Wir waren zu neunt in der Bahn, es war ganz schön eng.“ Neun Männer, 36 Pferde. Und ein Wagen auf Gummirädern mittendrin, der die monströse Kamera kutschierte.
Die letzte Klappe fiel am 7. Januar 1959
Elf Minuten dauert die berühmteste – Kritiker sagen: beste – Sequenz in Wylers Film. Und er hat sie nicht einmal selbst inszeniert: Andrew Marton, Chef der „Second Unit“, des zweiten Stabs, und der Stuntman Yakima Canutt planten und filmten das Rennen. Canutts Sohn Joe arbeitete als Hestons Double – und war der Einzige, der während der spektakulären Raserei verletzt wurde. Er flog buchstäblich aus der Kurve, als er sein Gespann zum Sieg peitschte, und landete unter Hufen; alle Augenzeugen waren überzeugt, er sei tot. Doch Joe Canutt schlitzte sich nur das Kinn auf, sein unglücklicher Fall ist im Film erhalten. Alle anderen Leiber, die von Pferdehufen zertrampelt werden: Attrappen.
Zwei Monate vor Ende der Dreharbeiten starb Sam Zimbalist mit nur 54 Jahren an einem Herzinfarkt. Aus Stress, hieß es in den Nachrufen. Der zwei Jahre ältere Wyler war erschüttert. „Ich fühle mich allein“, sagte er. „Ich fühlte mich nie allein, solange Sam um mich herum war.“
Die letzte Klappe fiel am 7. Januar 1959. Ben Hur vor Jesus am Kreuz. Nur eine Großaufnahme von Heston, Jesus selbst ist im Film nie von Angesicht zu sehen.
Wyler brachte 13 500 Stunden belichtetes Material nach Hause, 380 000 Meter Film. Zusammengeschnitten auf eine Spiellänge von drei Stunden und 32 Minuten (plus Pause) sei das Opus immer noch „eine Herausforderung fürs Sitzfleisch“, wie der Kritiker der „New York Times“ mäkelte. Aber doch insgesamt „majestätisch“.
Die New Yorker Premiere im November 1959 war ein überwältigender Erfolg. Bei der Oscar-Verleihung wenige Monate später wurde der Kraftakt mit elf Auszeichnungen überhäuft – ein bis heute ungebrochener Rekord. Zweieinhalb Jahre lang lief Wylers Film in amerikanischen und europäischen Kinos, MGM konnte noch einmal aufatmen.
Doch nicht lange.
Als 1969 der Casino-König Kirk Kerkorian die abgekämpften Studios kaufte, schraubte er die Filmproduktion drastisch herunter und verscherbelte auf einer mehrwöchigen Auktion im Mai 1970 fast den gesamten Fundus – von Judy Garlands roten Schuhen im „Zauberer von Oz“ bis zu Memorabilia aus Musicals. Ein Fan aus Kalifornien erstand für 4000 Dollar einen „Ben Hur“-Streitwagen und kurvte damit auf dem Highway, bis die Polizei ihn stoppte.
Heute gibt es keine Filmhallen und keinen Glamour mehr
Vor Kerkorian war ein kanadischer Spirituosenunternehmer MGM-Chef, nach ihm ein italienischer Betrüger, eine französische Kreditbank, dann der Medienunternehmer Ted Turner, der die Filmbestände für seinen Fernsehkanal ausweidete. Auch Mega-Star Tom Cruise versuchte MGM wiederzubeleben. Das mächtige Haus zerfiel unter immer neuen Mergern und Holdings, 2010 wurde Insolvenz angemeldet. Heute sitzt eine Produktionsgesellschaft mit Namen MGM, die von Managern einer Produktionsgesellschaft namens Spyglass geführt wird, in einem verglasten Bürogebäude in Beverly Hills. Es gibt keine Filmhallen, keine Stars, keinen Glamour. Nicht einmal Leo, der Löwe, der im Vorspann aller MGM-Filme röhrt, ist von außen zu sehen.
Er schweigt übrigens auch im Vorspann zu „Ben Hur“. Aus Pietät, wie vermutet wurde. Der Vatikan zeigte sich von so viel Zurückhaltung beeindruckt: „Ben Hur“ ist der einzige Streifen aus Hollywood auf einer Liste „großartiger Filme“ zum Thema Religion, die der Heilige Stuhl 1995 veröffentlichte. „Es brauchte eben einen Juden“, hat der als Wilhelm Weiller geborene Krämersohn Willy Wyler immer gesagt, „um einen richtig guten Film über Jesus zu machen.“
Im Sommer 2016 kommt Lew Wallaces Erbauungsroman in einer Neuauflage wieder ins Kino. Das Wagenrennen, verspricht der Regisseur, sei vergleichbar mit der Formel 1. Der Held wird es diesmal ein wenig leichter haben. Ben Hur muss nur seine eigene Haut in der Arena retten. Und nicht ein ganzes Studio.
Diesen Text finden Sie – neben vielen weiteren zum Thema Geschichte – in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „P.M. History“, die für 5,50 Euro am Kiosk erhältlich ist.
Christine Kruttschnitt
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