Berliner Schnauzen (27): Asiatische Löwinnen
Es waren einmal zwei Schwestern. Zwillinge, Wurfgeschwister, Asiatische Löwinnen. Man nannte sie Shakira und Churchilla.
Morgens wachten sie gemeinsam auf, abends gingen sie zusammen ins Bett, an manchen Tagen schliefen sie 21 Stunden. Keine Sekunde verbrachten Shakira und Churchilla getrennt. Als sie umzogen vom Tiergarten Nürnberg in den Tierpark Berlin, in eine neue, fremde Stadt, blieben sie beieinander. Sie verfolgten Fliegen, spielten Verstecken in Steinhöhlen, jagten über Mauervorsprünge, bis es Zeit war, noch mehr zu schlafen.
Churchilla mit dem Hängeohr war stärker als Shakira mit dem vornehmen Punkt unterm Auge. Einen Fauchkampf gewann sie locker. Beim Abendessen langte sie ordentlich zu, drei bis vier Kilo Rindfleisch waren ihr nicht genug. Fortan separierten die Tierpfleger die Löwinnen wenigstens beim Dinner. Es hätte ewig so weitergehen können.
Nur ein Mann fehlte noch zu ihrem Glück, fanden die Kuratoren im Tierpark. Weltweit leben noch 350 asiatische Löwen in Freiheit, alle im indischen Gir-Nationalpark. Ein paar zusätzliche Löwenbabys aus Zoos könnten nicht schaden. Das Europäische Erhaltungszuchtprogramm, das den Austausch zwischen Zootieren regelt, hatte jedoch keinen Löwenmann für die Schwestern parat. So blieben sie weiter unter sich. Zwischenzeitlich, berichten Stammgäste, ahmten die alten Jungfern den Paarungsakt schon mal aneinander nach.
Auch in freier Wildbahn bestehen Löwenrudel aus Löwenfrauen: Schwestern, Mütter, Großmütter, Tanten und Cousinen locken die Beute vereint in einen Hinterhalt. Löwendamen einer Generation passen ihren Zyklus so an, dass sie zeitgleich Junge bekommen. Sogar ihre Zitzen teilen die Löwinnen: Die Kleinen dürfen an allen saugen. Die Männchen kommen nur zum Fressen vorbei. Alte Löwen werden senil, Männer verhungern einsam in der Steppe, demente Löwenomas werden von ihren Enkelinnen versorgt.
Und wenn sie nicht gestorben sind, möchte man schreiben, dann schlafen Churchilla und Shakira heute noch Seite an Seite im Tierpark Friedrichsfelde.
Doch dann kam Boris. Ein Ausländer aus Helsinki, der ersehnte Mann. Ganze drei Jahre jünger als die Mädels, nicht einmal geschlechtsreif, trotz prächtiger Mähne. Was für ein Loser! Das Schwestern-Gespann mobbte ihn, wie es nur Schwestern können. An einem Tag ignorierten sie seine kindlichen Kontaktversuche, am nächsten jagten sie ihn über die Anlage. Einmal holte Churchilla mit der Tatze aus. Boris hatte Nasenbluten.
Als Boris, nach Jahren, endlich geschlechtsreif war, zog Zwietracht ein ins Brehm-Haus des Tierparks. Was das Leben neben der Schwester doch alles zu bieten hatte! Lasziv rollten sich die Löwinnen nun im Sand, schritten aufreizend mit erhobenem Schwanz durchs Gras. Wer ist die schönste im Gehege? Boris roch mal an dem einen, mal an dem anderen Hinterteil und entschied sich schnell für die Chefin: Churchilla. Wobei er auch Shakira nicht ablehnte. Churchilla kratzte Shakira die Pfoten wund. Wenn sich Shakira für Boris bereit zeigte – Löwinnen legen sich zum Sex hin, dann folgt der Nackenbiss des Mannes – scheuchte ihre Schwester sie gleich wieder auf. Schwanger ist bislang noch keine.
ASIATISCHE LÖWEN IM TIERPARK
Lebenserwartung: 20 Jahre
Fütterungszeit: 18.30 Uhr
Interessanter Nachbar: Sumatra-Tiger
Vorherige Schnauzen: Flachlandtapir, Sekretär, Bonobo