Indien: Dicke Luft in Delhi
Der Smog in Indiens Metropolen ist so stark, dass die Lebenserwartung rapide sinkt. Messwerte werden inzwischen nur noch verzögert und nach Prüfung herausgegeben. Von unserer Korrespondentin aus Neu-Delhi
Die Schlagzeilen sollten eigentlich aufrütteln. Vor allem Indien selbst. „Delhi-Besuch könnte Obama sechs Stunden seines Lebens kosten“, rechneten Medien vor, als der US-Präsident Anfang des Jahres Indien besuchte. Dabei atmete Barack Obama Delhis Luft nur drei Tage ein. Wie dramatisch die Bilanz für jene ausfällt, die in Indien leben, offenbart eine aktuelle Studie von US-Umweltökonomen: Danach verkürzt die miese Luft das Leben der 660 Millionen besonders betroffenen Inder rechnerisch um 3,2 Jahre.
Gut ist die Luft in den meisten Städten Indiens schon lange nicht mehr. Aber inzwischen nimmt die Verschmutzung so alarmierende Ausmaße an, dass die „New York Times“ bereits von nationalem „Notstand“ redet. Nach Zahlen der WHO liegen 13 der 20 am meisten verpesteten Städte der Welt in Indien. „Inder müssen erkennen, dass dies eine Frage von Leben und Tod ist“, warnte der frühere US-Vizepräsident Al Gore bei einer Delhi-Reise.
In Konkurrenz mit Peking
Besonders schlimm ist es in der 18 Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt Delhi. Inzwischen wird Delhi in einem Atemzug mit Peking genannt. Die beiden Städte liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den zweifelhaften Titel der „Metropole mit der weltweit schlechtesten Luft“. Je nachdem was und wann man misst, liegt mal die eine oder die andere Stadt vorne. Vor allem im Winter schweben zuhauf winzige krebserregende Partikel herum, die tief in die Lungen eindringen und Bronchitis, Lungenkrebs und Herzkrankheiten begünstigen.
Von „Luft, die tötet“ spricht die indische Wirtschaftszeitung „Mint“. Immer öfter sieht man Passanten mit Atemmasken, die Ärmeren halten sich Tücher vor Nase und Mund. Atemwegserkrankungen breiten sich aus. Jedes dritte Kind hat laut Studien eine eingeschränkte Lungenfunktion. Gesundheitsbewusste verzichten auf ihre Morgenspaziergänge aus Angst vor der verseuchten Luft. Und einige Eltern mit Kindern suchen das Weite und ziehen ganz weg.
Botschaften raten von einem Leben in Delhi ab
Die Verkäufe von Luftfiltern schießen in die Höhe. „50 Prozent unserer Käufer sind Ausländer, aber auch Inder fragen immer mehr nach“, sagt Jayati Singh, der solche Geräte vertreibt. Gute Luftfilter kosten leicht 50.000 bis 100.000 Rupien, umgerechnet 750 bis 1500 Euro. Allein die US-Botschaft soll laut Medien 1800 hochpreisige Luftfilter gekauft haben. An Smogtagen warnt sie auf ihrer Webseite Kranke, Ältere und Kinder vor langen Aktivitäten im Freien. Einige Botschaften raten Diplomaten mit Kindern bereits ganz davon ab, nach Delhi zu gehen.
Ohnehin ist Delhi kein einfaches Pflaster. In den Sommermonaten ist es mit 45 Grad so heiß, dass man kaum außer Haus kann. Wer Geld hat, meidet die Stadt. Erst in den Herbst- und Wintermonaten blüht Delhi wieder auf. Es ist die Zeit der Partys, Hochzeiten und Picknicks. Doch nun verleidet der Smog auch Delhis kühlere Monate. Immer öfter hängt der Giftnebel so dicht in den Straßen, dass man nicht einmal die Fenster öffnen mag, geschweige sich im Freien aufhalten. Die Probleme ähneln denen Pekings.
Täglich 1400 Autos mehr auf den Straßen
Doch Indien hinkt China wirtschaftlich um Jahre hinterher. Umweltschutz wird von vielen als Störfaktor angesehen, der das Wachstum bremst. Die Gründe für den zunehmenden Smog sind vielfältig. Allein in Delhi rollen jeden Tag 1400 Autos mehr auf die Straßen. Überall wird gebaut. Im Umland blasen Kohle befeuerte Fabriken ihre Abgase in die Luft, Müll und Felder werden abgefackelt und der Rauch trägt gefährliche Partikel mit sich.
Nur Lippenbekenntnisse
Dennoch beginnt auch in Indien ein Umdenken: Medien greifen das Thema verstärkt auf. Auch Regierungschef Narendra Modi bekannte sich zwar zu sauberen Energien, doch konkrete Pläne lassen auf sich warten. Stattdessen werfen die Zuständigen den Medien vor, das Problem aufzubauschen.
Wurden die Messwerte bisher zeitnah bekanntgegeben, behält sich nun die staatliche Verschmutzungskontrollbehörde die Herausgabe vor. Umweltschützer fürchten, dass die Oberen die Daten frisieren könnten, um das Problem unter den Teppich zu kehren. „Sie wollen nicht, dass die Leute die wahren Daten sehen“, mutmaßt der pensionierte Umweltbeamte B. Kumar in der „New York Times“.