Die Wahlkampfbeobachter (16): Das linke Gleichgewicht des Schreckens
Lange Zeit sah es so aus, als hätte die Linkspartei nur im Westen Probleme. Offenbar befindet sie sich aber auch im Osten im Stimmungstief. Das könnte die Rivalität zwischen Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht befeuern.
Die ostdeutschen Landespolitiker der Linkspartei wirkten geschockt. Dass die Nordostdeutsche Angela Merkel auch in den südostdeutschen Ländern Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt hohes Ansehen genießt, gilt seit langer Zeit als gesichert. Doch als dieser Tage die Meinungsforscher von Infratest dimap im Verbreitungsgebiet des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) die Wähler nach ihrer Parteienpräferenz bei der Bundestagswahl fragten, zeigte sich: Nicht nur Merkel und ihre CDU liegen besser als im Bundesschnitt. Sondern auch die Linke wird bei der Bundestagswahl am 22. September wohl deutlich Federn lassen müssen. Im Osten der Republik lag sie früher sowohl bei den Wahlen zum Bundestag und zu den Landtagen und den Umfragen dazu deutlich vor der SPD.
„Nach längerer parteiinterner Krise“ befinde sich die Linke „noch mitten in der Aufholjagd seit ihrem Tiefpunkt“, kommentiert der sächsische Landes- und Fraktionschef Rico Gebhardt die Sonntagsfrage, die für Sachsen nur noch 13 Prozent für die Linke prophezeit, 2009 war seine Partei im Land auf 24,5 Prozent gekommen. Zulegen kann demnach die SPD, von 14,5 auf 17 Prozent. Die CDU baut ihre Hochburg aus, ihr werden 48 Prozent vorhergesagt – sie hatte vor vier Jahren mit 35,6 Prozent der Zweitstimmen für Freistaat-Verhältnisse ziemlich schlecht abgeschnitten. Für die Landtagswahl im kommenden Jahr ist nun sogar eine absolute CDU-Mehrheit in Sicht, die Sachsen-Union würde damit an Erfolge von Kurt Biedenkopf anknüpfen.
Das Problem mit dem Westen
Auch Sachsen-Anhalt und Thüringen werden bei der Wahl in knapp vier Wochen wohl mehr Menschen die CDU wählen als noch vor vier Jahren, die Linke muss in beiden Ländern um ihren zuletzt klar errungenen Rang zwei im Parteiensystem bangen. In Sachsen-Anhalt lag die Linke 2009 fast doppelt so gut wie die SPD, holte fünf der neun Direktmandate im Land (vier gingen an die CDU). Diesmal aber gehen Linke und SPD mit einer fast ausgeglichen Prognose in den Wahlkampf-Endspurt.
Ähnlich sieht es in Thüringen aus. „Kein Selbstläufer“ werde die Bundestagswahl, sagt Sachsen-Anhalts Linken-Chefin Birke Bull. Ihr Genosse Bodo Ramelow aus Thüringen gibt zu, der Linken seien „die Flügel gestutzt“ worden. Ohnehin sah sich die Linke in beiden Ländern nach vergangenen Landtagswahlen gedemütigt, weil sich die SPD für die Juniorrolle in einer schwarz-roten Regierung entschied, anstatt Rot-Rot eine echte Chance zu geben. In allen drei Ländern liegen die Grünen übrigens inzwischen klar bei mehr als fünf Prozent.
Nach Wahlniederlagen in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen hatte sich die Linkspartei bei der parteiinternen Problemanalyse auf den Westen konzentriert. Manche in der Partei glaubten irgendwann selbst, was der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel immer wieder behauptet: Dass die Linke im Osten ganz in Ordnung sei. Und dass auch nichts gegen Koalitionen spräche, wäre die ganze Partei so wie dort. Für den Westen aber sieht Gabriel noch immer nur „eine Partei von Sektierern und SPD-Hassern“. Nur in Nordrhein-Westfalen machte Rot-Grün ausnahmsweise mit der Linken einmal ein wenig Staat, als Hannelore Kraft mit deren Hilfe zur Ministerpräsidentin gewählt wurde. Bei erstbester Gelegenheit organisierten die Sozialdemokraten dann Neuwahlen, mit denen die Linke aus dem Landtag bugsiert wurde.
Der Trend zeigt nach unten
Die demoskopische Erhebung der Dreiländeranstalt MDR nun hat Auswirkungen über diese drei Länder hinaus. Denn erstens weist der Trend für die Linke auch in Brandenburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern nach unten. Und zum anderen zeichnet sich ab, dass sich die innerparteilichen Kräfteverhältnisse in einer neuen und geschrumpften Linken-Bundestagsfraktion wohl kaum verschieben. Die Linke verliert im Vergleich zu 2009 im Westen und im Osten gleichermaßen.
Die Hälfte der Abgeordneten in der neuen Fraktion werden wohl wieder die häufig radikaleren Westdeutschen sein - damit bleibt auch „das Gleichgewicht des Schreckens erhalten“, wie es ein Parteistratege hinter vorgehaltener Hand formuliert. Gregor Gysi wird manch ein pragmatischer Genosse aus den neuen Ländern fehlen, während über die West-Landeslisten wieder allerlei sektiererisches Volk ins Parlament einzieht. In seiner Rivalität mit Sahra Wagenknecht, die seine Nachfolge an der Fraktionsspitze anstrebt, macht das die Sache für Gysi nicht gerade einfacher.