Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin: Zweitwohnungen dürfen als Ferienwohnungen vermietet werden
Das Berliner Verwaltungsgericht hat ein Urteil gegen das Zweckentfremdungsverbot gefällt: Mehrere Kläger, die in Berlin Zweitwohnungen besitzen, dürfen diese künftig als Ferienwohnung vermieten.
Eine lichtdurchflutete Wohnung mit Dielen anstelle eines sterilen Hotelzimmers? Berlin-Besucher kommen oft gern in einem Altbau im Kiez unter. Doch angesichts des knappen Wohnraums in der Stadt dürfen Ferienwohnungen seit Mai endgültig nicht mehr gewerblich angeboten werden. Wer dennoch vermietet, riskiert bis zu 100 000 Euro Bußgeld. Das sogenannte Zweckentfremdungsverbot stößt auf großes Unverständnis. An diesem Dienstag hat sich das Verwaltungsgericht zum wiederholten Mal damit auseinandergesetzt - und im Sinne der Kläger und gegen das Interesse des Gesetzgebers geurteilt.
Das Gericht hatte über die Fälle mehrerer Kläger zu befinden, die in Friedrichshain und Pankow Zweitwohnungen besitzen und eigentlich in Dänemark, Italien und Rostock leben. Die Kläger wollen ihre Zweitwohnungen nutzen, wenn sie beruflich oder privat in Berlin sind, die Räume aber in der übrigen Zeit als Ferienwohnung vermieten, um Einnahmen zu erzielen. Die jeweiligen Bezirksämter hatten es abgelehnt, dafür eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen, die Eigentümer gingen vor Gericht - und bekamen nun Recht. Das Verwaltungsgericht urteilte, hier gingen schutzwürdige private Interessen dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung des betroffenen Wohnraums vor. Denn durch die Vermietung als Ferienwohnung während der Abwesenheit der Eigentümer trete ein Wohnraumverlust gerade nicht ein. Sprich: Die Zweitwohnung würde so oder so nicht als reguläre Wohnung vermietet - also kann der Besitzer sie ebensogut zeitweilig als Ferienwohnung anbieten. Dies wirke sich nicht auf die Wohnraumversorgung der Bevölkerung aus. Anhaltspunkte für eine missbräuchlich innegehaltene Zweitwohnung bestünden jeweils nicht. Das Gericht hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Berufung zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zugelassen.
Was folgt aus diesem Urteil? Können nun Anbieter von Ferienwohnungen mit Tricks dafür sorgen, dass ihre Wohnung als Zweitwohnsitz gilt und so das Gesetz umgehen? Die Auswirkungen des Richterspruchs sind noch nicht völlig klar.
Wie argumentieren beide Seiten?
Die Kläger haben ihren ersten Wohnsitz in Rostock, Dänemark und Italien. Sie sagen, dass es sich bei der Vermietung der Berliner Wohnungen um eine untergeordnete gewerbliche Nutzung handele, bei der Wohnraum erhalten bleibe. Eine Genehmigung müsste wegen der Verhältnismäßigkeit erteilt werden. Die Bezirksämter von Friedrichshain-Kreuzberg sowie Pankow hatten entsprechende Anträge abgelehnt. Nach dem Zweckentfremdungsverbot dürften auch Zweitwohnungen nicht Touristen überlassen werden, argumentierten die Behörden. Wenn mit Wohnraum ein höheres Entgelt erzielt werden solle, sei dies kein schutzwürdiges Eigeninteresse. Das Gericht hat sich nun der Sicht der Kläger angeschlossen.
Wurden bereits andere Fälle vor Gericht verhandelt?
Viele. Das Verwaltungsgericht hat nach eigenen Angaben schon an die 100 Fälle entschieden, über 120 Verfahren sind noch offen. „Das ist eine komplizierte Materie. Jeder Einzelfall muss genau geprüft werden“, sagte ein Sprecher. Anfang Juni hatten die Richter sämtliche Kritikpunkte einer Klage gegen das Zweckentfremdungsverbot abgewiesen: Ferienwohnungen dürfe es ja weiter geben - nur nicht in Wohnhäusern. Die Berufsfreiheit sei also nicht angegriffen. Außerdem gebe es deutliche Unterschiede zwischen Ferienwohnungen und Praxen, Kanzleien oder Räumen für Tagesmütter, die Bestandschutz haben.
Darf die Wohnung während des eigenen Urlaubs oder Auslandsaufenthalts an Gäste vermietet werden?
Ja und nein. Natürlich darf man seine eigene Wohnung (oder die Mietwohnung mit Einwilligung des Vermieters) befristet vermieten, aber nicht tage- oder wochenweise und nur „zum ortsüblichen Mietzins“. Wird die Wohnung auf den Plattformen Airbnb oder Wimdu vermarktet oder gibt es Serviceleistungen wie im Hotel, gehen die Ämter von einer illegalen Vermietung aus.
Dürfen einzelne Zimmer an Urlauber vermietet werden?
In den Ausführungsvorschriften zum Gesetz von 2014 steht noch klar drin, dass auch die Nutzung einzelner Zimmer „zur Fremdenbeherbergung“ verboten ist, doch das wurde inzwischen fallengelassen. Nach der Änderung des Verbotsgesetzes gilt nun die „50-Prozent-Regel“. Nutzt der Wohnungsinhaber seine Wohnung weiterhin selbst und überlässt weniger als die Hälfte des Wohnraums wechselnden Feriengästen, ist das ohne Genehmigung weiterhin möglich. Fällt den Behörden diese Form der Nutzung auf, durch Hinweise oder Internetrecherchen, muss der Vermieter bei einer Besichtigung nachweisen, dass er seine Wohnung tatsächlich überwiegend selber nutzt.
Dürfen Wohnungen für Urlaubszwecke getauscht werden?
Das ist weiterhin möglich, weil in solchen Fällen meistens vom Nutzer der Wohnung keine Miete kassiert wird. In der Regel erfolgt allenfalls ein finanzieller Ausgleich für unterschiedliche Wohnungsgrößen oder -lagen. Für die Berliner Bezirksämter ist das entscheidende Kriterium in diesem Fall, dass beim Wohnungstausch kein Wohnraum dauerhaft verloren geht.
Darf die Wohnung Praktikanten oder Seminarteilnehmern überlassen werden?
Ja, wenn sie ihren „Lebensmittelpunkt“ nach Berlin verlagern und eben nicht nur zum Vergnügen da sind. Allerdings sollte das Mietverhältnis mindestens zwei Monate dauern. In den Ausführungsvorschriften des Verbots werden konkrete Beispiele genannt: Au-pair-Mädchen, Schauspieler, Botschaftsangehörige, Stipendiaten, Praktikanten und nach Berlin entsandte Arbeitnehmer. Auf dieser Basis vermietet Berlin selbst rund 7000 möblierte Apartments über die Tochtergesellschaft Berlinovo. Daran entzündete sich immer wieder die Kritik der Gegner des Zweckentfremdungsverbots.
Warum hat Berlin das Verbot erlassen?
In der Hauptstadt sind bezahlbare Wohnungen knapp. Da soll der wenige Platz nicht auch noch von Touristen blockiert werden. „Wir müssen die Menschen vor steigenden Mieten, vor Verdrängung aus ihren Quartieren und vor Obdachlosigkeit schützen“, sagt Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD). Der Senat geht davon aus, dass zum Beispiel bis zu 10 000 Wohnungen allein bei Portalen registriert sind. Das wären fast so viele wie in ganz Berlin pro Jahr gebaut werden.
Kann das Gesetz den Wohnungs-Engpass denn lösen?
Allein sicher nicht. Denn die Ferienwohnungen machen nicht einmal ein Prozent des Berliner Mietwohnungsmarkts aus. Der Senat rechnet damit, dass nur wenige tausend Wohnungen jetzt zusätzlich vermietet werden. Das war auch ein Hauptargument der Kläger. Die Richter halten das Gesetz trotzdem für gerechtfertigt und verhältnismäßig, weil dadurch immerhin etwas Wohnraum für die Berliner zurückgewonnen werde.
Was passiert, wenn sich ein Vermieter nicht an das Gesetz hält?
Er muss Bußgelder bis zu 100 000 Euro pro Wohnung befürchten - je nachdem, wie viel er mit der Ferienwohnung einnimmt. Allerdings kommen die Bezirke mit den Kontrollen bislang überhaupt nicht hinterher. Sie hätten noch zu viele Anträge auf Ausnahmegenehmigungen abzuarbeiten, berichtet Stephan von Dassel (Grüne), Bezirksstadtrat von Berlin-Mitte. Aufgespürt werden die illegalen Ferienwohnungen übrigens unter anderem über eine Art Spitzel-Internetseite, auf der Nachbarn sie anonym anschwärzen können.
Schadet Berlin durch das Verbot nicht dem Tourismus?
Das sehen Senat und Vermieter unterschiedlich. Die Landesregierung verweist auf die Kapazitäten der zahlreichen Hotels und Hostels, wo auch die Ferienwohnungstouristen noch unterkommen könnten. Vermieter dagegen berichten von Familien, die ihren Urlaub absagten, weil sie statt der Ferienwohnung nur Hotelzimmer bekommen konnten. In Umfragen hätten 40 Prozent der Gäste angegeben, ohne Ferienwohnung wären sie erst gar nicht nach Berlin gereist, sagt der Anwalt der Vermittlungsplattform Wimdu, Peter Vida. (dpa, mit Tsp)
Im Urlaub werden Berliner weltweit in Ferienwohnungen unterkommen. Aber zu Hause dürfen sie nicht mehr Gastgeber sein. Dieser Irrsinn nennt sich „Zweckentfremdungsverbot“ – und gehört dringend wieder abgeschafft. Eine Wutrede.
Lesen Sie hier die Gegenposition: Es gibt kein Recht auf Billigtourismus im Kiez. Das Zweckentfremdungsverbot für Wohnungen bleibt in Berlin bestehen - eine richtige Entscheidung. Ein Kommentar.
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