Erhalt historischer Grabstätten in Berlin: Zur Untermiete im Mausoleum
Auf Berlins historischen Friedhöfen verfallen Gräber. Doch neue Ideen und Geld vom Bund sollen Restaurierungen möglich machen.
Das schmiedeeiserne Gitter ist verrostet. Auf der Grabplatte wächst das Moos. Nur ein Nachname ist noch zu erkennen: Böhmer. Einst muss seine Trägerin zum aufstrebenden Berliner Mittelstand gehört haben. Einst, Ende des 19. Jahrhunderts. Die Familie muss genügend Geld besessen haben, um sich auf den Luisenstädtischen Kirchhöfen am Kreuzberger Südstern ein eigenes Familienbegräbnis zu bauen. Wenn am heutigen Totensonntag Berliner über den Friedhof gehen, erinnert sich niemand mehr an die Böhmers.
Gleich nebenan: ein weiteres Bild des Verfalls. Ein neogotisches Mausoleum. Die Steine bröckeln aus der Wand, die Kapitelle der Säulen sind kaputt, der Eingang ist behelfsmäßig mit einer hölzernen Tür und einem Vorhängeschloss verschlossen. „Wir haben 118 Mausoleen, und rund 100 davon sind vom Verfall bedroht“, sagt Tillmann Wagner, Geschäftsführer des Evangelischen Friedhofsverbands Stadtmitte. 21 der 46 Friedhöfe seines Verbands gelten als historisch erhaltenswert. Die Liste der denkmalpflegerisch wertvollen Gräber ist lang. 933 historische Wandgräber gebe es, 831 Grabstellen, die mit einem Gitter eingezäunt sind. Dazu 47 Kilometer Wege, 48 Kilometer Mauern, 18 Kilometer historische Alleen. Das zu unterhalten kostet Geld.
Rund 75 000 Euro koste die Sanierung eines Mausoleums, sagt Wagner. Aber Geld haben die Friedhöfe immer weniger: Denn in der Gesellschaft geht der Trend zu Urnenbestattungen, zu anonymen Grabstellen, auch zu Beisetzungen in Friedwäldern oder auf hoher See. Verglichen mit einer Erdbestattung bringt das den Friedhöfen weniger Geld und verbraucht weniger Fläche.
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„Insgesamt brauchen wir wohl nur noch etwa 54 Prozent unserer Fläche für Bestattungen“, sagt Wagner. Weswegen überschüssige Flächen auf manchen Friedhöfen für Bauprojekte im Gespräch sind. „Wir entwickeln Bauland, vorzugsweise natürlich auf Flächen, die nie als tatsächliche Begräbnisfläche genutzt wurden“, sagt Wagner. In Neukölln allerdings sei auch eine Fläche betroffen, wo vor 30 Jahren die letzte Bestattung stattgefunden habe.
Die Wohnungsknappheit in Berlin kann den knappen Kassen der Friedhöfe durchaus zugute kommen. Die historischen Grabdenkmäler der Berliner Bürgerfamilien des 19. Jahrhunderts werden so allerdings nicht gerettet. Dafür braucht es andere Maßnahmen: zum Beispiel eine Bundesförderung. Zusammen mit dem Kirchenkreis Stadtmitte bewarb sich Wagner um Mittel aus der Kulturförderung des Bundes. Und in der jüngsten Sitzung des Haushaltsausschusses des Bundestags wurden dem Friedhofsverband Stadtmitte 23,4 Millionen Euro für die Sanierung und den Erhalt der historischen Friedhöfe Berlins zugesprochen. „Wir freuen uns sehr“, sagt Wagner. Was genau nun saniert werden soll, kann Wagner aber noch nicht sagen: Denn noch hat der Friedhofsverband keinen genauen Förderbescheid mit einer Erklärung der Bedingungen erhalten.
Gegen das Vergessen
Völlig anders ist es dort, wo der Verband selbst die Bedingungen festlegen kann. Zum Beispiel bei einer Art „Jenseits-WG“: Wer zu Lebzeiten eine Patenschaft für ein historisches Mausoleum oder ein Familiengrab übernimmt und sich um dessen denkmalgerechte Sanierung kümmert, kann nach dem Tod darin bestattet werden. „Dafür ist eine Ausnahmegenehmigung vom Gesundheitsamt nötig“, sagt Wagner. Und auch schon mal eine 350 Kilo schwere Stahl- oder Steinplatte, damit die Gruft dann nicht von Unbekannten geöffnet werden kann. Dafür wird dann am Mausoleum eine kleine Tafel befestigt, die an den Menschen erinnert, der es sanieren ließ – und der nun dort selbst bestattet ist, quasi als Untermieter der ursprünglichen Erbauer.
Dem Chef des Friedhofsverbands ist es wichtig, dass die steinernen Zeugnisse der Vergangenheit auf diese Weise erhalten werden können. Denn die Gräber auf den historischen Friedhöfen berichten von der Geschichte Berlins. Und von einer Bestattungskultur, die heute mehr und mehr auszusterben droht. Wer anonym oder unter einer Rasenfläche bestattet wird, dessen Grab gerate schnell in Vergessenheit. „Aber am Ende hat doch jeder ein Recht, nicht vergessen zu werden“, sagt Tillmann Wagner.
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