Kampf gegen Islamismus in Berlin: Zu wenig Geld für Prävention gegen Radikalisierung
2000 labile Jugendliche, die empfänglich sind für radikale IS-Botschaften, hat Violence Prevention Network 2016 aufgeklärt. Aber 2017 fehlt Geld für diese wichtige Arbeit.
Thomas Mücke redet über das Attentat auf dem Breitscheidplatz und sagt, dass "wir nichts gehört haben, das uns beunruhigt". Das ist die gute Nachricht, die er hat. Mückes Mitarbeiter haben sich nach dem Anschlag sofort umgehört bei ihrer Klientel: muslimische Jugendliche oder junge Erwachsene, sozial nicht gefestigt, empfänglich für radikale Botschaften des IS. Aber niemand zeigte Verständnis für diesen Anschlag, niemand empfand Freude über die zwölf Toten und mehr als 50 Verletzten. "Da gab es eher die Diskussion, warum der Pakistani so schnell als Hauptverdächtiger behandelt wurde."
Der Diplom-Pädagoge Mücke ist Geschäftsführer des Vereins "Violence Prevention Network" (VPN), der zwei Hauptziele hat: labile Jugendliche aufzuklären und damit zu verhindern, dass sie radikal-islamistische Propaganda aufsaugen, und, zweitens, IS-Mitläufer, die aus dem Dschihad zurückkehren, wieder in die Gesellschaft zu integrieren.
In einem karg eingerichteten Büro in Weißensee verkündet Mücke die schlechten Nachrichten. "Uns bricht ab 1. Januar das Geld für einen Großteil unserer Präventivarbeit weg. Seit November schon können wir deshalb keine Anfragen von Schulen zu Workshops annehmen. Wir können dann auch keine Fortbildungen von Lehrern und Jugendhilfe-Mitarbeitern mehr anbieten."
Gerade jetzt fehlt dem Projekt die nötige finanzielle Unterstützung
Gerade jetzt, da der Terror die Stadt erreicht hat, da viel über Maßnahmen gegen Anschläge geredet wird, da fehlt einem der wichtigsten Projekte gegen radikalen Terror die gesicherte Perspektive. Konkret fehlen Mücke und seinem Verein 285 000 Euro für das nächste Jahr, Geld für Präventivarbeit. Geld für das VPN-Projekt "Maxime", das sich um Workshops an Schulen, um die Erwachsenen-Fortbildung kümmert.
Die VPN-Finanzierung ist ziemlich kompliziert. 2016 erhielt der Verein für "Maxime" aus Lottomitteln 500 000 Euro. Es gibt noch weitere Quellen für VPN, eine davon ist das Landesprogramm Radikalisierungsprävention der Senats-Innenverwaltung. Das Gesamt-Budget des Programms umfasst 760 000 Euro, damit werden verschiedene Träger unterstützt. Vor allem aber VPN: 450 000 Euro. Das Geld aus dem Programm fließt allerdings nur noch bis Ende Februar 2017.
Wie viel Geld VPN danach von der Innenverwaltung erhalten wird, ist derzeit unklar. Ein Sprecher der Innenverwaltung sagt, "dass für 2017 generell die Fortführung der bisherigen Projektförderung angestrebt wird". Das Gesamt-Budget des Landesprogramms soll auf 860 000 Euro erhöht werden.
VPN hilft das aber nicht viel. Denn die Lottomittel fallen 2017 weg, sie werden nur teilweise aus anderen Quellen ersetzt, bleibt die Lücke von 285 000 Euro.
Wer die füllt, ist völlig offen. Die Innenverwaltung jedenfalls winkt ab. Deren Sprecher teilt mit, dass 2017 "eine über die bereits bestehenden Projekte hinausgehende Förderung von Violence Prevention Network aus Mitteln des Landesprogramms auf Grund des aktuellen Budgets wenig wahrscheinlich ist".
Soll sich doch eine andere Behörde um das Geld kümmern. "Da der Schwerpunkt von Maxime im Bereich Schule liegt", sagt der Sprecher, "wurde die (damalige) Senatsverwaltung für Bildung und Jugend und Wissenschaft gebeten zu prüfen, ob dort die Möglichkeit einer Finanzierung besteht".
Der Verein muss 2017 von 200 auf 90 Veranstaltungen reduzieren
Die Senatsverwaltung für Bildung teilt über ihre Sprecherin nur mit: "Wir prüfen das Projekt und die bisher erfolgten Finanzierungen (Förderung in 2014 oder 2015 von Teilprojekten) und werden mit dem Träger über das Projekt sprechen." Aber aus der Schulverwaltung, sagt Mücke, habe mit ihm keiner gesprochen.
Die finanzielle Lücke hat gravierende Folgen. 90 Workshops an 30 Schulen hat VPN im Jahr 2016 angeboten, das entspricht 200 Veranstaltungstagen. "2017 müssen wir die Zahl auf 90 Veranstaltungstage reduzieren", sagt Mücke. "Zuletzt haben wir nur noch die Workshops abgearbeitet, die wir vor Monaten zugesagt hatten."
Dabei sind gerade die Workshops enorm wichtig für die Prävention. An denen nehmen Schüler ab der 9. Klasse teil. Unterrichtet wird vor allem an Schulen mit einem hohen Anteil von Schülern mit palästinensisch-libanesischen Wurzeln.
Die VPN-Mitarbeiter regen die Schüler zu selbstständigem Denken an. Sie sollen plakative Propaganda-Sätze, die sie übernommen haben, in Frage stellen. Die Trainer haben einen Migationshintergrund und sind praktizierende Muslime. Sie erzählen den Schülern, die häufig wenig über den Islam wissen, vieles über ihre Religion. Aber es geht auch um die Rolle der Frau im Islam oder Toleranz und Respekt im Umgang mit anderen Religionen und Weltanschauungen.
Rund 2000 Jugendliche hat VPN 2016 erreicht. Die Nachfrage von Schulen ist enorm, doch Mücke kann viele Pädagogen nur noch enttäuschen. "So ein Workshop hat eine Vorlaufzeit von drei Monaten, deshalb können wir keine neuen Workshops mehr anbieten."
Und vom 1. Januar an muss Mücke erheblich sparen. Zwei Mitarbeiter müssen gehen, weil ihre Zeitverträge nicht verlängert werden können, acht müssen ihre Arbeitszeit von 40 auf 25 Wochenstunden reduzieren.
"Wenigstens bei den Risikofällen wird nicht gespart", sagt Mücke. Jedenfalls dann nicht, wenn weiter Geld aus dem Landesprogramm fließt. Risikofälle, das sind Frauen und Männer, die bereits in eine extreme Szene abgerutscht sind und vor der Ausreise in den so genannten Heiligen Krieg stehen. Oder Menschen, die bereits im Kriegsgebiet waren, in Syrien oder im Irak, die zurück gekommen sind, bei denen ziemlich klar ist, dass sie nicht an Mord und Totschlag beteiligt waren. 60 solcher Fälle betreut VPN zurzeit.
Immerhin: Einen Behörden-Termin hat der VPN-Geschäftsführer inzwischen ausmachen können. Am 4. Januar trifft sich Mücke mit einem Vertreter der Innenverwaltung.