Gemeinsame Sache in Steglitz-Zehlendorf 2015: Zehlendorf: Das "Wir" wachsen lassen
Die Initiative Zehlenwandel belebt mit einem Gemeinschaftsgarten das Miteinander in der Nachbarschaft.
Der Kürbis ist weg. Gestern lag er noch gelb und rund zwischen Tomaten- und Zucchini-Pflanzen, heute ist an der Stelle nur noch eine Delle in der Erde zu sehen. „Hat wohl jemand geerntet“, sagt Julia Käsmaier achselzuckend und wendet sich den Tomatenpflanzen zu. Die dreifache Mutter und Ärztin hat den Kürbis gepflanzt, bewässert und gepflegt – „für die Gemeinschaft“, sagt sie.
Der Kürbis wächst in einem Hochbeet. Daneben stehen zwei weitere Beete und bilden einen Halbkreis, dazwischen Rasenfläche, im Hintergrund Mietshäuser. Die Beete sind der Anfang eines Gemeinschaftsgartens, für den die Bürgerinitiative Zehlenwandel verantwortlich ist. Käsmaier hat die Initiative vor eineinhalb Jahren zusammen mit Sassa Franke und Ute Scheub gegründet. „Wir wollten den Boden in der Stadt nutzen und etwas Sinnvolles für unseren Kiez tun“, sagt sie und zupft Unkraut aus einem der Beete.
Projekt stieß auf Kritik
Also fingen sie an, die grauen Betonkübel auf dem Vorplatz des U-Bahnhofs Onkel Toms Hütte, Eigentum des Grünflächenamtes und der BVG, zu bepflanzen. „Dort wachsen jetzt Kartoffeln, Erdbeeren und Zwiebeln. Jeder, der vorbeigeht, darf ernten und sich was nehmen“, erklärt sie das Prinzip des gemeinschaftlichen Stadtgärtnerns. Nun kam der zweite Schritt.
Von Anfang an träumten Käsmaier, Franke und Scheub von einem größeren Gemeinschaftsgarten auf öffentlicher Fläche, in dem Obst und Gemüse für und mit allen Nachbarn angebaut, gepflegt und geerntet werden. Hier, am grünen Stadtrand, haben viele zwar einen eigenen Garten, aber beim Zehlenwandel geht es ums Miteinander, ums „Wir“.
In Kreuzberg, Neukölln und Wedding gibt es solche Gärten bereits; in Zehlendorf hingegen stieß das Projekt zunächst auf Kritik. „Eigentlich sollte der Garten auf dem Marga-Meusel-Platz entstehen“, erzählt Käsmaier. Aber die Anwohner beschwerten sich, sie fürchteten Ruhestörungen und wollten keine Hobbygärtner vor ihren Haustüren.
Drei Mal im Monat treffen
Also mussten sich die Zehlenwandler nach einem neuen Platz umsehen. Mit Unterstützung des Bezirksamts einigte man sich schließlich auf die Freifläche neben der Stewardstraße in der Nähe des U-Bahnhofs Oskar-Helene-Heim. Vor anderthalb Jahren war hier noch ein Baseballfeld, Anwohner hatten – ebenfalls wegen Lärmbelästigung – dagegen geklagt und gewonnen.
Über die Zehlenwandler hat sich aber noch niemand beschwert. Im Gegenteil: „Als wir die Beete errichtet haben, wurden wir sehr freundlich empfangen“, erzählt Käsmaier. Anwohner brachten Stühle, Kaffee und Kuchen vorbei. Vom Haus gegenüber bekommen die Hobbygärtner das Wasser für ihre Pflanzen.
Die rund 15 Zehlendorfer aller Altersgruppen treffen sich jetzt dreimal im Monat an den Beeten. „Der Garten soll die Bewohner im Kiez zusammenbringen“, sagt Käsmaier. Denn oft habe man zu den Menschen, die gleich nebenan wohnen, keinen Kontakt. Um das zu ändern, macht auch Eva Westmann beim Zehlenwandel mit.
Hochbeete sollen errichtet werden
Die Rentnerin hat zwar einen eigenen Garten, aber gemeinsam mit anderen macht ihr das Pflanzen, Gießen und Ernten mehr Spaß. „Meine Kinder sind aus dem Haus und ich arbeite nicht mehr. Da ist es doch toll, mit anderen Menschen aktiv etwas zu machen“, sagt sie.
Nach getaner Arbeit an den Beeten picknicken die Zehlenwandler zusammen. Sie sitzen auf Decken im Gras, es gibt frisch gebackenes Brot, dazu Tomaten und Gurken aus den eigenen Beeten. „Wir fühlen uns hier richtig wohl“, sagt Käsmaier und erzählt von den weiteren Plänen der Initiative: Am Aktionstag Saubere Sache sollen zwei weitere Hochbeete errichtet werden.
Was darin angepflanzt wird, steht noch nicht fest. „Viele von uns sind gärtnerische Laien“, lacht Käsmaier. Aber das tue dem Projekt keinen Abbruch. Im Gegenteil: „Bei jedem Treffen lernen wir etwas dazu“. Vom Grünflächenamt haben sie die Erlaubnisse, insgesamt fünf Beete zu errichten.
„Das ist zwar noch kein richtiger Garten, aber es wird“, sagt Käsmaier hoffnungsvoll. Auf dem ehemaligen Baseballfeld hat der Bezirk ohnehin begonnen, Obstbäume zu pflanzen. Auch ein Spielplatz soll entstehen. „Das passt super zu unserem Konzept“, sagt Käsmaier. Sie wünscht sich, dass auch Spaziergänger, die zufällig an den Beeten vorbeigehen, sich dort gerne niederlassen.
Neben dem Miteinander geht es beim Urban Gardening auch um den ökologischen Aspekt der Nachhaltigkeit. „Durch Gemeinschaftsgärten können Ressourcen eingespart werden“, sagt Käsmann. „Unser Motto ist: Einfach mal machen, nicht so viel denken“, lacht Käsmaier. Damit seien sie schon weit gekommen.
Wer beim Zehlenwandel dabei sein will, ist eingeladen, am Samstag, 19.9., von 9 bis 14 Uhr zu den Hochbeeten an der Stewardstraße zu kommen. Gemeinsam sollen zwei weitere Hochbeete errichtet werden.
Nora Tschepe-Wiesinger