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Ihr Wunsch wäre es, bald nicht nur ein paar Beete zu haben, sondern einen ganzen Gemeinschaftsgarten bepflanzen zu dürfen: Die Zehlendorfer Stadtgärtner
© Raack

"Zehlenwandel": Die Stadtgärtner aus Zehlendorf: Ein Beet für alle

Endlich haben die Zehlendorfer Stadtgärtner ein eigenes Eckchen für ihre Beete gefunden. Doch nicht um das Gärtnern allein geht es den "Zehlenwandlern", sondern vor allem um die Gemeinschaft und ein verantwortungsbewussteres Kiezleben.

Wie in der Achterbahn muss sich Julia Käsmeier anfangs gefühlt haben. „Einmal waren wir oben auf, da dachte ich, schöner geht’s nicht. Dann steckten wir wieder in einer Sackgasse. Es war wirklich turbulent.“ Dabei geht es hier eben eigentlich gerade nicht um das „nach oben“-Kommen. Eine Art Bewegung ist die Gruppe um Julia Käsmaier aber schon. Aber der Reihe nach: Bis vor etwa anderthalb Jahren gab es an der Stewartstraße ein Baseballfeld. Ein paar Anwohner klagten dagegen (wir berichteten), sie bekamen Recht, die Baseballer mussten einpacken und eine Hügellandschaft wurde angelegt.

Etwa zur gleichen Zeit gründet Julia Käsmeier mit ein paar Gleichgesinnten die Initiative „Zehlenwandel“ und macht sich auf, eine Fläche für ihre Idee zu finden: Sie wollen einen Gemeinschaftsgarten errichten, wollen Beete im öffentlichen Raum mit Obst und Gemüse für alle bepflanzen. Wohin sie kommen, ob auf dem Platz zwischen Sven-Hedin- und Fischerhüttenstraße oder auf dem Marga-Meusel-Platz – vor ihren Fenstern und Balkonen wollen die Anwohner keine gärtnernden Menschen mit ihren Beeten. “Frau Markl-Vieto hat letztes Jahr einen Gesprächsabend mit den Anwohnern des Marga-Meusel-Platzes moderiert. Aber die Anwohner waren ähnlich erregt wie beim Hundeverbot“, sagt Julia Käsmaier. „Die Argumente waren total verdreht, das war wirklich unangenehm."

Unkompliziert sei hingegen der Umgang mit dem Grünflächenamt gewesen. "Das Grünflächenamt hat unsere Idee, öffentlich und für alle zu gärtnern, von Anfang an positiv aufgenommen. Wir haben einige Flächen vorgeschlagen, dann kam eine Dame sogar mit zur Besichtigung der Fläche hier an der Stewartstraße. Seit zwei Monaten dürfen wir nun hier auf dem Randsaum insgesamt fünf Hochbeete errichten. Aber", fügt Käsmaier lächelnd hinzu, "die Leute vom Grünflächenamt werden beobachten, wie und ob unsere Beete gepflegt werden." Wo bis vor etwa anderthalb Jahren Baseballspieler ihre Runs machten, sind die Tomaten nun in den beiden Hochbeeten der Stadtgärtner schon reif.

Etwa 14 Zehlenwandler zwischen zehn und Mitte siebzig sitzen an diesem Abend auf den Picknickdecken, ein Dutzend Fahrräder liegen im Gras. Es gibt selbst gemachte Pizza, selbst gebackenes Brot, und es geht um die Einteilung des Gießdienstes. Eine Dame hat einen Schredder zu vergeben. Dann meldet sich ein Herr und möchte Kapuzinerkresse und Sonnenblumen aus seinem eigenen Beet stiften. Jeden ersten Donnerstag im Monat um halb acht ist das "Orgatreffen", um das weitere Vorgehen zu besprechen, die anderen Donnerstage trifft man sich schon gegen 18h. Zum Teil kommt die ganze Familie mit und gießt und zupft und pflanzt und picknickt.

Ein bisschen ungläubig freut sich Käsmaier: "Die Anwohner waren hier von Anfang an sehr freundlich, manche haben sogar beim Aufbau der Beete geholfen, brachten uns Stühle und Kuchen. Das war phänomenal." Und eine Anwohnerin lässt die Stadtgärtner bei sich am Haus Wasser zapfen. „Wir geben ihr natürlich was dafür und wenn wir mehr verbrauchen, zahlen wir auch mehr“, sagt Käsmaier. Die Anwohnerin ist gerade auch da und besieht sich die Pflänzchen, die gerade frisch gegossen werden. „Ich finde das gut“, sagt sie. “Im Vorbeigehen dachte ich anfangs: Was ist das denn, das ist ja toll, und habe auch mal was abgezupft. Ich finde es toll, wenn Menschen was für die Gemeinschaft machen. Und die Aussicht auf die Beete ist für uns hier doch ein nettes Nebenprodukt."

Eine Stadtgärtnerin bindet gerade die Ranken der Kürbispflanzen an. „Es fühlt sich ein bisschen an, als wären wir zu Hause angekommen“, freut sie sich. „Wir sind sehr glücklich.“ Überhaupt hört man an diesem Abend oft „wir“, statt „ich“ oder „du“. Schließlich geht es beim Stadtgärtnern, neudeutsch "Urban Gardening", ja auch um das "Wir". "In England nennt sich die Initiative "Transition Town", also Stadt im Übergang", erklärt Julia Käsmaier. "Dahinter steckt das Ziel, bis zum Jahr 2030 unabhängig vom Erdöl zu sein und dies nur über die Vernetzung der Menschen vor Ort zu schaffen." Auf der Website nennen die Zehlenwandler ihr Ziel, durch „die sinnvolle Nutzung von öffentlichen Flächen ein verantwortungsbewussteres und lebendigeres Kiezleben umzusetzen, dadurch Ressourcen sparen und unabhängiger von globalen Einflüssen zu werden“.

Eine Neigung zu "grünen Sachen"

Zunächst gehe es aber darum, mit beiden Beinen dort anzukommen, wo man lebt, sagt Käsmaier. Die Ärztin und Mutter von drei Kindern steht neben einem der beiden Hochbeete, in einer Ecke steckt ein rundes Holzschild. „Ein Beet für alle“, hat jemand darauf geschrieben. Fast wird das Schild überdeckt von Paprikapflanzen, Tomaten, Karotten, Mangold, Zucchini und Kürbis, die sich munter recken. "Ich wünsche mir, dass die Menschen, die hier im Kiez wohnen, sich kennen lernen, und sich hier gerne treffen und gegenseitig helfen“, lächelt Julia Käsmeier.

Bei den Zehlenwandlern jedenfalls funktioniert das schon recht gut. Erster Härtetest für das gemeinschaftliche Vorgehen war das Besorgen der Materialien für die Hochbeete. "Wir haben alle zusammen in ruhigen Gesprächen die Paletten ausgesucht, alles ging gut, das war wirklich schön", lacht eine Zehlenwandlerin. "Und wir haben uns eingelesen und zum Beispiel erfahren, dass man in die Hochbeete am besten erst so genannte Starkzehrer pflanzt. So lerne ich auch noch nebenbei eine Menge dazu." Eigentlich habe sie ja zuhause einen eigenen kleinen Garten, so wie übrigens die meisten hier: "Aber mir gefällt der Gedanke, hier was gemeinschaftlich zu machen. Und ich habe eine große Neigung zu „grünen Sachen““, sagt sie und besieht sich die Zucchinipflanzen. Zwei Mal pro Woche fährt sie mit ihrem Fahrrad bei den Beeten vorbei. "Letztes Jahr sind unsere Zucchinipflanzen im Beet an der Onkel-Tom-Straße nichts geworden, da bekucke ich jetzt die Pflanzen natürlich besonders aufmerksam und liebevoll.“ Sie meint das erste Beet an der U-Bahn-Station Krumme Lanke, das es vor einem Jahr schon gab.

Jeden Donnerstag treffen sich die Zehlenwandler zum gemeinsamen "Garteln" und Picknicken
Jeden Donnerstag treffen sich die Zehlenwandler zum gemeinsamen "Garteln" und Picknicken
© Raack

„Das sieht wirklich schön aus, wie es dort wuchert. Passanten dürfen auch ernten, und das machen die auch. Und keiner reißt da was ab.“ Mitarbeiter der Ernst-Moritz-Arndt-Kirche und vom Reformhaus Demski wechseln sich ab mit dem Gießen. Und genau so ist das gedacht beim Urban Gardening: "Jeder macht einen kleinen Anteil und gibt etwas, damit nicht alles auf wenigen Schultern lastet. Das gilt natürlich auch für die Ernte", lacht Julia Käsmaier, "jeder darf ernten." 

Eigentlich habe man ja eine Fläche für einen Gemeinschaftsgarten gesucht. „Aber wir üben nun hier erstmal dafür. Und hoffen, dass das Grünflächenamt sieht, dass das gut funktioniert. Wenn sie eine Vorstellung davon haben, was Zehlenwandel ist, und wir mehr Aktive werden, vielleicht gibt es ja dann eine Fläche, die sie abtreten wollen“, hofft sie.  

In Berlin gibt es ähnliche Projekte bereits im Wedding und in Pankow und auch auf dem Tempelhofer Flugfeld stehen Gemeinschaftsbeete.

Auch Wolf Schmelter ist überzeugter Stadtgärtner. Heute hat er seinen zehnjährigen Sohn dabei. Die Schmelters sind erst im September aus der Schweiz nach Berlin gezogen. „Ich denke, das ist eine nette Sache, hier Leute aus der Nachbarschaft kennen zu lernen. Wir kommen donnerstags meist schon gegen 18h mit den Kindern her, um mitzuhelfen und im Anschluss mit allen hier zu essen." Durch die Beete habe sich hier viel verändert. "Vorher war das ein Platz, da fragte man sich, was soll ich hier. Aber nun ist das hier ein ganz anderer Ort, schon allein durch die Stellung der Beete. Und dann ist da der Sonnenuntergang hinter der freien Fläche, mitten in der Stadt. Das gibt es nicht so häufig. Und", verspricht er verschmitzt, "gleich kommen bestimmt auch noch die Fledermäuse raus."

Die Autorin schreibt für den Tagesspiegel und für Tagesspiegel Zehlendorf, das digitale Stadtteil- und Debattenportal aus dem Berliner Südwesten, auf dem dieser Text erscheint. Folgen Sie Maike Edda Raack auch auf Twitter.

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