Ausflugsziel Spreewald: Yes, we Kahn
In der Reformation spielten sie eine Rolle, der Dichterpfarrer Paul Gerhardt wirkte hier. Wer Geschichte(n) sucht, findet sie in Lübben und Lübbenau. Ein Spaziergang von Hafen zu Hafen.
Alles Gute kommt von oben, für Paul Gerhardt war das noch selbstverständlich: „Gib mir Verstand aus deiner Höh’ / auf dass ich ja nicht ruh’ und steh’ / auf meinem eignen Willen.“ An ihm, dem lutherischen Kirchenlieddichter aus dem 17. Jahrhundert, kommt man in Lübben nicht vorbei, schon gar nicht am Turm der nach ihm benannten Kirche, seinem letzten Wirkungsort. Immerhin 22 Meter hoch, zu erklimmen über 115 steil nach oben führende Stufen, liegt unser Ausguck. Verglichen mit Gottes Höh’ ist das nichts, und dennoch: Was für ein Blick!
Vera Städter, die Türmerin von Lübben, hat die hölzernen Läden der drei Fenster aufgeklappt und preist die herrliche Fernsicht. Doch sie erzählt lieber von ihrem Turm, in dem auf halber Höhe mit Blick auf die drei Glocken eine alte Türmer- Wohnstube eingerichtet ist – das passende, in Kindern vermutlich wohliges Gruseln auslösende Ambiente für ihre dort angebotenen Märchenstunden. Aber auch für die Erwachsenen hat sie bei ihren Führungen, stilvoll in mittelalterlich anmutender Tracht, Wissenswertes parat. Der Turm gehört der Stadt, war ursprünglich Teil der Stadtbefestigung. Nur das Kirchenschiff, wo an unbekannter Stelle auch Paul Gerhardt ruht, gehört der Gemeinde. Und als der Turm 1987 neu verputzt wurde, habe man für die aufgetragene Schicht ein historisches Rezept benutzt, erzählt die Türmerin: „Natürlich Kalk, dazu Ochsenblut, 400 Kilo Quark und zehn Säcke Haare, die die Lübbener Friseure gestiftet hatten.“ Durch sie habe der Turm zusätzliche Stabilität bekommen. Die konnte er gut gebrauchen, war er doch im Krieg völlig ausgebrannt; noch heute riecht es dort leicht angekokelt.
Immerhin ist das Gemäuer stehen geblieben, anders als die Mehrzahl der Gebäude in der Innenstadt. 85 Prozent wurden in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs zerstört, als die Wehrmacht versuchte, die Rote Armee zu stoppen. Ein in sich geschlossenes Stadtbild ist da nicht zu erwarten, die Altstadt wirkt eher neu, vollgestellt mit durchschnittlicher Nachwende-Architektur, mit einigen allerdings hübschen historischen Solitären hier und da: die aus dem frühen 16. Jahrhundert stammende Paul-Gerhardt-Kirche eben, das Gasthaus „Goldener Löwe“ am Marktplatz, das älteste in Lübben, oder eine alte Postmeilensäule aus der Postkutschenzeit, die die Fahrtzeit nach Berlin mit 18 Stunden angibt.
Erinnerung an den Besuch Napoleons
Auch finden sich Reste der Stadtmauer mit dem Napoleonbogen, einem Mauerdurchbruch mit einer Kerbe an der Spitze. Über die Herkunft des Namens gibt es mehrere legendenhafte Versionen. Fest steht, dass der französische Kaiser 1813 einige Stunden in Lübben weilte. Eine Version besagt, er soll seinen Kanonieren befohlen haben, ein Loch in die Mauer zu schießen, die andere behauptet, er sei beim Hindurchreiten oben mit seinem Dreispitz hängengeblieben, daher die Kerbe im Mauerwerk.
Als Stadtführer muss Manfred Dreiucker auch solch wenig glaubhafte Anekdoten kennen, den Touristen gefällt das. Und die kommen reichlich nach Lübben, Familien vor allem und Aktivurlauber – Radfahren, Paddeln, Rudern oder, wenn man vom Aktivsein die Nase voll hat, auch Kahnfahren kann man hier mehr als genug. Letzteres durchaus in vielen Varianten: nachts mit Unterwasserbeleuchtung oder begleitet vom Lübbener Nachtwächter – ja, den gibt es auch – und sogar Kahnausflüge zu den in die Spreeauen gepflanzten Werken des jährlichen Kunstfestivals Aquamediale.
Klar, dass Dreiucker, ehemals mit der Landschaftspflege und besonders der Wasserwirtschaft befasst und nunmehr Experte für Lübben, seinen Rundgang am Hafengelände beginnt. Dort werben schon die Namen der Gaststätten („Gurken-Paule“!) für die regionalen Spezialitäten. Die architektonische Hauptattraktion des Städtchens, das Schloss mit seiner Renaissancefassade, liegt nur wenige Spazierminuten entfernt.
Und dann ist man auch schon fast auf der Schlossinsel, ehemals eine sumpfige, kaum nutzbare Freifläche, die man zwischen 1996 und 1998 zur idyllischen Parklandschaft umgestaltet hat. Eltern dürften ihre liebe Mühe haben, ihre Kleinen abends vom Wasserspielplatz wegzubekommen, wenn diese nicht längst im Irrgarten verlorengegangen sind. Ein Klanggarten mit Pfeifenwippe, Riesentriangel, Mega-Xylophon und anderem Musikgerät fehlt ebenso wenig wie die mit Holzstegen, Strand und Kanu-Raststätte gestaltete Naturbadestelle. Wem diese Natur zu künstlich, zu angelegt erscheint: Es gibt auch einen kurz „Hain“ genannten Eichenwald, die Reste eines schon im Mittelalter erwähnten Auwaldes – und mittendrin ein Denkmal für die Namenspatronin der Stadt, Liuba, sorbische Göttin der Liebe und der Fruchtbarkeit. Auch Lübbenau verdankt ihr seinen Namen.
Der Schlosspark wurde von Lenné entworfen
Wobei die beiden Gemeinden im Stadtbild kaum zu verwechseln sind, leider, muss man sagen. Lübben dürfte, bevor es zum Schlachtfeld wurde, ähnlich ausgesehen haben wie heute Lübbenau, an dem der Zweite Weltkrieg weitgehend spurlos vorbeigegangen ist. So blieb es ein beschauliches Städtchen, die Straßen mit Fachwerkbauten, selbst aus dem frühen 18. Jahrhundert oder Stuck aus der Zeit des Wilhelminismus gesäumt. Das klassizistische Schloss der Grafen zu Lynar ist erhalten, dient heute als Hotel und ist nur Gästen zugänglich, anders als der auf einen Entwurf Peter Joseph Lennés zurückgehende Landschaftsgarten, in den jeder darf.
Auch hier gibt es einen Spreehafen, großzügiger als in Lübben. Auch ein Spreewald-Museum fehlt nicht, ein dreistöckiger Backsteinbau am Westrand der Altstadt. Dort werden typische Läden und Werkstätten einer Spreewaldstadt vor 100 Jahren gezeigt samt einer Dampflok mit Pack- und Personenwagen, eine imposante Erinnerung an die Spreewaldbahn, aber untergebracht in einem modernistischen, so gar nicht in die Altstadt passenden Anbau.
Der ästhetische Frevel ist schnell vergessen, tritt man in den Torbogen, durch den es raus aus der Altstadt geht. Alles hätte man hier als Wandschmuck erwartet, vielleicht das Riesenmodell einer Gurke oder auch eine der seltsamen Metallfiguren, die an vielen Orten der Altstadt die Plätze bevölkern und die Lutken, zwergenhafte Wesen aus der sorbischen Sagenwelt, darstellen sollen. Aber was hängt dort an der Wand? Der aus dem 18. Jahrhundert stammende, 5,65 Meter lange und 238 Kilo schwere Kieferknochen eines Grönlandwals. Ein aus Lübbenau stammender Hamburger Kaufmann hatte ihn seiner Heimatstadt geschenkt – vielleicht eines dieser Angebote, die man nicht ablehnen kann.
Der Beitrag stammt aus dem Tagesspiegel-Magazin „Spreewald“ mit den besten Tipps für Ausflüge zu jeder Jahreszeit in diese schöne Region. Jetzt erhältlich am Kiosk und im Tagesspiegel-Shop.
Weitere Tipps für den Spreewald
AUF DICHTERS SPUREN
Durch den Spreewald mit einem Kahn wie ihn Fontane einst beschrieb: „Drei Bänke mit Polster und Rücklehne versprachen möglichste Bequemlichkeit, während ein Flaschenkorb von bemerkenswertem Umfang auch noch für mehr als bloße Bequemlichkeit sorgen zu wollen schien.“ Die Kahnfahrt „Auf Fontanes Spuren“ bietet der Große Spreewaldhafen Lübbenau für maximal sechs Personen an. Fahrtdauer zwischen zwei und 8,5 Stunden, der Preis inklusive großem Flaschenkorb: 200 bis 410 Euro.
Lübbenau, Dammstraße 77a, Tel. (03542) 22 25, grosser-kahnhafen.de
LANGSTRECKENTOUR
Karl-Heinz Marschner organisiert neben vielen anderen auch sechsstündige Touren vom Großen Spreewaldhafen in Lübbenau zum Waldgasthaus Wotschofska. Angelegt wird auf der Fahrt auch am Freilandmuseum Lehde. Die Schleusenfahrten kosten 295 (bis 10 Personen) bzw. 330 Euro (bis 16 Personen).
Lübbenau, Dammstraße 77a, Tel. (03542) 20 75, kahnfahrten-luebbenau.de
BURG BEI NACHT
In der kalten Jahreszeit lädt der Spreehafen Burg freitags und samstags um 17 Uhr zur Lichterkahnfahrt ein. Die einstündigen Touren, die zwischen November und März angeboten werden, kosten für ein bis vier Personen pauschal 65 Euro. Glühwein oder Tee sind im Preis enthalten, hinzugebucht werden kann eine „spreewaldtypische Begrüßung“ mit Brot, Zucker und Leinöl.
Burg, Am Hafen 1, Tel. (035603) 758 00, spreehafen-burg.de
VORGLÜHEN
Mit Glühwein, Tee oder Kakao gemütlich am Feuer sitzen – und das auf einem Kahn! Von der Pension „Zum Schlangenkönig“ führt die Kaminfahrt ab Burg-Kauper eine Stunde durch die Fließe. Preis ab vier Personen: 16,50 Euro pro Teilnehmer, bis drei Personen pauschal 65 Euro.
Burg, Tel. (035603) 758 00, spreehafen-burg.de
WINTERVERGNÜGEN Eingehüllt in Decken und ausgestattet mit einem Becher Glühwein geht es bei den Mummel-Kahnfahrten durch den winterlich-stillen Spreewald rund um Burg-Kauper. Die Touren dauern eineinhalb Stunden. 12 Euro kostet die Fahrt pro Person, optional hinzugebucht werden kann auch ein Picknick auf dem Kahn oder ein Grillbuffet am Hafen.
Burg-Kauper, Waldschlösschenstraße 29c, Tel. (035603) 536, spreewaldhafen-online.de
FÜR WHISKY-LIEBHABER
Statt eines normalen Whisky-Tastings bieten die „Spreewood Distillers“ aus Schlepzig hochprozentige Kahnfahrten mit Darsteller Frank Selbitz, der als „Wendenfürst Wussilo“ auftritt. Die Teilnehmer besichtigen die Brennerei und verkosten dort produzierten Stork Club Rye und Single Malt. Nach Kaffee und Kuchen geht es durch die umliegenden Fließe. Auf der Fahrt gibt es Gelegenheit, fünf weitere Single-Malt-Whiskys zu probieren. Das dreistündige Komplettpaket kostet 85 Euro.
Schlepzig, Dorfstraße 56, spreewood-distillers.com. Kahnfahrten: Frank Selbitz, Tel. (03546) 39 41, spreewaldnachtwaechter.de
WIE IM FERNSEHEN
Auf die Spuren der Spreewaldkrimis, die seit 2006 im ZDF laufen, begibt man sich mit Schwerdtners Kahnfahrten. Die fünfstündigen Touren ab Lübbenau führen zu Drehorten wie der Insel Wotschofka und werden mitunter von Fährleuten geführt, die selbst als Statisten in der Serie mitgespielt haben.
Lübbenau, Dammstraße 81, Tel. (03542) 24 23, schwerdtners-kahnfahrten.de
Andreas Conrad
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