750 Jahre Nikolaikirche: Türme einer Weltstadt
Das erste steinerne Gotteshaus machte Berlin erst bekannt - durch die Kirchenlieder seines Pfarrers Paul Gerhardt. Es entstand im 13. Jahrhundert auf einem Friedhof, der noch älter ist.
Bischof Heinrich von Brandenburg gab sich großzügig: „Wir erteilen (...) allen, die ihre Sünde wahrhaft bereuen und bekennen und die Kirche des heiligen Bekenners Nikolaus in Berlin am Jahrestage ihrer Weihung in frommem und andächtigem Sinne besuchen oder an anderen Tagen zu ihrem Ausbau freiwillige Gaben der christlichen Liebe opfern oder sonst hilfreiche Hand leisten, 40 Tage Ablass und erlassen ihnen gnädiglich im Herrn 40 Tage Fasten von der ihnen auferlegten Pönitenz.“ Gegen eine angemessene Spende Befreiung von allen Sünden, und schlemmen darf man auch noch? Ein gutes Geschäft. Den Gläubigen bot es über einen Monat lang ein Leben ohne Angst vor Höllenqualen und ohne knurrenden Magen; die Kirche, also indirekt der Allmächtige, dagegen durfte sich einen Baufortschritt ohne drohende Finanzierungslücke erhoffen.
„Ecclesia S. Nicolai confessoris in Berlin“ – die kurze Erwähnung in dem auf den 18. April 1264 datierten, am Karfreitag 750 Jahre zurückliegenden Schreiben ist für die Nikolaikirche, Berlins ältestes Bauwerk, von besonderer Bedeutung: Es war das erste Mal, dass sie in einem Dokument erwähnt wurde. Das Schreiben des Bischofs stellt damit gewissermaßen die (im Original nicht mehr vorhandene, doch glaubwürdig überlieferte) Gründungsurkunde für die Nikolaikirche dar – ähnlich der (erhaltenen) Berliner „Geburtsurkunde“ von 1237, die den Pfarrer Symeon aus der Teilstadt Cölln erwähnte und den Anlass zur 775-Jahr-Feier 2012 gab. Dabei war klar, dass Berlin/Cölln noch älter waren, auch die Nikolaikirche muss es lange vor dieser ersten schriftlichen Spur gegeben haben.
Die Kirche entstand auf einem Friedhof
18. April 1264 also. Ein Datum, an dem man sich orientieren kann. Doch auf welche Bauarbeiten sich der Ablassbrief bezieht, ist umstritten, berichtet Albrecht Henkys, in der Stiftung Stadtmuseum Berlin als Kurator zuständig für die nur noch museal genutzte Kirche. Als ziemlich gesichert gilt der Bau des ersten steinernen Sakralbaus um 1220 bis 1230, und da er, wie Grabungen zeigten, auf einem älteren Friedhof entstand, dürfte es einen hölzernen Vorgänger gegeben haben. Die Kirche, aus behauenen Feldsteinen zusammengefügt, war eine spätromanische Basilika, übrig geblieben sind der untere Teil des Westriegels der Nikolaikirche, auf dem die Türme sitzen, wie auch im Inneren freigelegte Fundamente.
Möglicherweise – neuere Forschungen legen das nahe – wurde die Basilika mit dem hohem Mittelschiff und den flacheren Seitenschiffen aber erst Mitte des 13. Jahrhunderts fertig. Sie behielt ihre Ur-Form ohnehin nur kurz: Das Langhaus wurde bald abgebrochen und das Gotteshaus zur frühgotischen Hallenkirche umgebaut, in Backstein, einem Baustoff, der zuvor klerikalen und landesherrlichen Bauten vorbehalten war. Die Berliner liebten es eben schon damals, ein wenig aufzutrumpfen, demonstrierten daher ihr steigendes Selbstbewusstsein mit Mörtel und Ziegel. Bezieht sich der Ablassbrief von 1264 nun aber auf die Fertigstellung der spätromanischen oder den Bau der frühgotischen Kirche? Kurator Henkys neigt zu Letzterem.
Die Kirche wurde zu dem bekannten Wahrzeichen Berlins
Die Nikolaikirche erlebte im Laufe der Jahrhunderte noch manche Veränderungen. Auf die Silhouette mit den Doppeltürmen mussten die Berliner dabei noch lange warten. Ein Gemälde von 1827 zeigt das Gotteshaus nur mit einem Spitz- und einem Stummelturm. Erst nach 1876, im Rahmen einer historisierenden Restaurierung, wurde die Kirche zu dem bekannten Wahrzeichen Berlins.
Sie ist aber nicht nur das älteste Gebäude Berlins, sondern, wie Henkys gerne betont, auch das, von dem aus Berlin das erste Mal als Kulturstadt europa-, ja weltweit Strahlkraft gewann. Verbunden ist dieser kulturhistorische Rang besonders mit den Namen Paul Gerhardts und Johann Crügers, im 17. Jahrhundert Pfarrer und Kantor an der Nikolaikirche. Gerhardt dichtete, Crüger wie auch sein Nachfolger Johann Georg Ebeling und Stadtpfeifer Jakob Hintze komponierten – so entstanden viele, darunter einige der berühmtesten Kirchenlieder, so „Nun ruhen alle Wälder“ und „Befiehl du deine Wege“.
Das Ende für die Nikolaikirche als Sakralbau kam am 5. November 1939 mit dem Festgottesdienst zum 400. Jubiläum der Einführung der Reformation in Brandenburg. Danach sollte sie, so hatten es Kirche, Magistrat und Reichsregierung vereinbart, für fünf Jahre zwecks Restaurierung geschlossen werden. Zugleich wollte man das Viertel auf sein mittelalterliches Idealbild zurückführen – ein Großprojekt, aus dem bekanntlich nichts wurde. Im Juni 1944 zerstörte ein Bombenangriff die Turmhelme, im April 1945 stand das Dach in Flammen. Das der Witterung preisgegebene Gebäude verkam immer mehr, bis 1949 bei einem Sturm das Gewölbe einstürzte.
Nach dem Wiederaufbau anlässlich der 750-Jahr-Feier dachte an eine Reaktivierung als Gotteshaus niemand mehr. Zur Wiedereröffnung am 14. Mai 1987 hatte das Märkische Museum eine Ausstellung „Berlin als mittelalterliche Handelsstadt“ vorbereitet – eine museale Nutzung, bei der es blieb, doch nutzte gelegentlich auch die Politik die alte Kirche als Bühne: So fand hier am 11. Januar 1991 die konstituierende Sitzung des ersten gewählten Abgeordnetenhauses für das wiedervereinigte Berlin statt.
1998 später wurde die Kirche erneut geschlossen, zwei Jahre lang für Reparaturen und Modernisierungen. Auch die Ausstellung wurde neu konzipiert, betont nun wieder den sakralen Ursprung des Raumes – mit teilweise überraschenden Ausflügen ins Profane. Was hätte wohl Bischof Heinrich zu den zwei ausgestellten Walknochen gesagt? Die hingen gleich um die Ecke an der beim Bau des Nikolaiviertels rekonstruierten Kneipe „Zur Rippe“. Dort sieht man nur noch Kopien, die Originale, wohl einst von Handelsreisenden mitgebracht, schmücken in der Kirche den Ausstellungsteil zum Nikolaiviertel. Aber irgendwie passen Walknochen sehr gut in ein altes Gotteshaus. Es gab da doch diesen Jonas …
Lesen Sie hier mehr über die Rekonstruktion der Nikolaikirche im Jahr 1987 zum Berliner Stadtjubiläum.
Die Nikolaikirche ist montags bis sonntags zwischen 10 und 18 Uhr geöffnet. Freitags, 16 Uhr, gibt es eine Führung, um 17 Uhr folgt ein Orgelkonzert. Näheres auf www.stadtmuseum.de. Im Shop gibt es zwei Büchlein zur Geschichte zu kaufen, verfasst von Kurator Albrecht Henkys: Die Nikolaikirche. Gotteshaus – Denkmal – Museum (4,90 Euro); Musicalisches Lustgärtchen. Berühmte Lieder aus der Berliner Nikolaikirche. Buch und CD (12,90 Euro).